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Experte im Interview„Das eigentliche Drama beginnt nach der Wahl“

Lesezeit 6 Minuten
Donald Trump Maga

Donald Trump

  1. Der Politologe Hans-Joachim Lietzmann glaubt an eine Niederlage Trumps.
  2. Doch dass Biden Präsident wird, ist laut Litzmann deshalb noch nicht gesagt.
  3. Ein Gespräch über Lagerbildung und die Möglichkeit eines Putsches.

Herr Professor Lietzmann, riskieren Sie doch mal eine Prognose zur US-Wahl.Ich bin im Augenblick doch ziemlich klar der Meinung, dass Trump verlieren wird. Nicht sicher bin ich mir aber, ob Biden dann tatsächlich der neue Präsident wird. Das eigentliche Drama wird sich erst nach der Wahl abspielen.

Weil Trump bereits angekündigt hat, eine Niederlage nicht akzeptieren zu wollen …

Deshalb, und weil die Institutionen in den Bundesstaaten, republikanische Gouverneure etwa, Wege suchen und vielleicht finden werden, das Electoral College zu boykottieren oder in ein Patt zu steuern.

Durch Ignorierung von Briefwählerstimmen etwa …

Das ist das eine Problem. Gravierender aber ist dies: In den USA kann jeder Bundesstaat, ja jeder County bestimmen, wie seine Wahlmänner im Electoral College abstimmen. Da ist jede Menge Streit etwa zwischen einem republikanischen Gouverneur und der demokratischen Mehrheit in dem jeweiligen Parlament möglich. Soll dann im Electoral College für die Demokraten oder die Republikaner gestimmt werden? Es kann sein, dass der Nachwahlprozess über solche Auseinandersetzungen völlig gegen die Wand fährt.

Daten zur Person

Hans-Joachim Lietzmann, geboren 1952 in Düsseldorf, hat, nach Professuren in Hamburg, Vechta und Essen, seit 2002 einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Bergischen Universität in Wuppertal. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter zur Totalitarismustheorie, zu den Schulen der Politikwissenschaft in Deutschland, zum Politikverständnis im 20. Jahrhundert und zur politischen Verfassung Europas. (MaS)

Das klingt schon sehr nach kaltem Bürgerkrieg. Ist auch, angesichts der Drohungen des Präsidenten, ein heißer, von seinen Anhängern angezettelter Bürgerkrieg denkbar?

Ich will da nicht den Teufel an die Wand malen. Aber es ist schon möglich, dass es erst mal so etwas wie einen institutionellen Putsch gibt, bei dem völlig unklar ist, wie sich die Situation entwickelt.

Das hieße ja, dass die institutionellen Sicherungen nicht mehr hielten. Wäre auch das ein Resultat der Ära Trump?

Sagen wir es so: Trump hat einen uramerikanischen Umgang mit den Institutionen auf die Spitze getrieben, der, anders als in Europa, in der politischen Kultur der USA tief verankert ist. Auch die Demokraten gehen, wenn sie es können, sehr instrumentell bis manipulativ mit den Institutionen um, vor allem mit dem Wahlrecht und den Wahlinstitutionen. Da geht es dann um den Zuschnitt von Wahlbezirken und Versuche, missliebige Minderheiten von der Wahl auszuschließen. Trump hat das nochmals verschärft; er hat den Zynismus gegenüber den Institutionen sozusagen zum Programm erhoben.

Wir beobachten in den USA eine Lagerbildung, die eine Auseinandersetzung nach geteilten demokratischen Regeln schwierig bis unmöglich macht …

Aus Untersuchungen wissen wir, dass die Wählergruppen in den USA seit mehr als einem Jahrzehnt einander völlig unbeweglich gegenüberstehen – als polarisierte, total getrennte politische Kulturen. Weder durch Obama noch durch Trump hat es da große Verschiebungen gegeben. Da kann es nur um die Frage gehen: Welche Gruppe kann am Wahltag ihre Leute am besten mobilisieren? Trump ist das beim letzten Mal mit seinem Potenzial besser als den Demokraten gelungen. Vor allem deshalb weil Hillary Clinton selbst bei den Demokraten nicht durchgängig beliebt war. Dieser Vorteil für Trump ist jetzt weg: Jetzt ist er der umstrittene Kandidat, auch im eigenen, republikanischen Lager, nicht Biden. Deshalb auch meine Erwartung, dass Biden gewinnen wird.

Die Wählerbindung ist ja eh eigentümlich motiviert.

Ja, wir haben dort sehr stark eine „negative Parteibindung“. Die Anhänger eines Lagers wählen die je eigenen Kandidaten nicht um derentwillen, sondern, um den Sieg der gegnerischen Seite zu verhindern. Das ist ein sehr ausgeprägter Zug der dortigen politischen Kultur. Derzeit ist Trump der Gegner, der die Demokraten an die Wahlurnen treibt. Die Republikaner wird Trump nicht in demselben Maß mobilisieren können.

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Für einen Politologen muss es schwierig sein, zur Darstellung des Trumpismus und der Trump’schen Regierungsweise geeignete Begriffe zu finden. Die fehlen nämlich, er betritt im Angesicht dieses Phänomens Neuland.

Das ist eindeutig so – wir diskutieren zurzeit ein Phänomen, das wir noch gar nicht endgültig begreifen. Wir haben ja eine breite Diskussion über Populismus gehabt – welchen Begriff man eilig auf Trump bezogen hat. Dabei wurde aber klar: Niemand weiß, was Populismus ist. Populisten sind halt immer die „anderen“, aber mit dieser Auskunft ist keinem geholfen. Im Übrigen: Trump ist nur ein Symbol, ein Symptom: Das Problem, das sich mit ihm verbindet, lässt sich durchaus ablösen von seiner konkreten, Troll-artigen Person, die völlig uninteressant ist. Trump schafft – wie übrigens auch Figuren wie Berlusconi, Salvini oder Comedians wie Beppe Grillo und Selensky „bei uns“ in Europa – nur Bilder. Er ist der „Bildermacher“, der Imaginator: Er ist Politiker-Darsteller und auch Geschäftsmann-Darsteller, ohne im Kern eine Grundkompetenz für diese Rollen zu haben. Gewählt wird er nicht wegen eines Programms, sondern, weil er als Figur ein subkulturelles Gegenprogramm zur herrschenden Politikelite darstellt. Insofern hat auch der Begriff „Trumpismus“ keinen Erkenntniswert. Das wirkliche Problem ist die tiefe gesellschaftliche Spaltung des Landes.

Wie kommt das Land aus dieser Sackgasse wechselseitiger „Hass-Blockade“ wieder heraus?

Zum Beispiel durch eine verbesserte Sozialpolitik und einen weniger instrumentellen Umgang mit Freiheitsrechten. Und die amerikanische Kernideologie eines heroischen Individualismus verlangt eben unglaubliche Opfer – aus deren Reservoir einer wie Trump dann wiederum schöpft. Es braucht eine soziale Abfederung, eine stärkere Besteuerung gerade der Wohlhabenden, damit die öffentlichen Kassen voller werden, einen deutlichen Umschwung in der Gesundheitspolitik, so etwas wie eine europäische Wohlfahrtsstaatlichkeit.

Eine realistische Erwartung?

Nein, leider nicht.

Was steht an, sollte Trump die Wahl doch gewinnen?

Das zu erahnen ist schwer. Mit Trump verband sich auch in den vergangenen vier Jahren kein konsistenter, kohärenter Politik-Stream, und das macht Vorhersagen doppelt schwierig. Was er macht, ist okkasionalistisch, auf den Moment bezogen. Er verficht ja auch keine Politikprogrammatik – wenn es ihm in den Kram passt, weil er andere Unterstützergruppen als die Evangelikalen sucht, wird er übermorgen zum Abtreibungsbefürworter. Was man sagen kann, ist wohl dies: Mit Trump verbindet sich ein Wechsel von einem demokratischen zu einem autokratischen, voluntaristischen System. Was zu befürchten wäre, ist ein echter Regimewechsel.

Aber auch wenn Trump jetzt gehen müsste – der Flurschaden ist angerichtet.

Der ist angerichtet. Die institutionelle Moral ist zerstört, und zwar nachhaltig. Es ist völlig offen, ob die USA zu jenem Ideal zurückkehren werden, das sie ja sowieso nie ganz eingelöst haben. Der goldene Glanz, in dem wir Europäer die USA oft gesehen haben – er war und ist nie wirklich gerechtfertigt.