Flutkatastrophe im AhrtalEx-Landrat Pföhler hätte früher warnen müssen
Bad Neuenahr/Köln – Als der Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse mit Beamten des Landeskriminalamts (LKA) am Morgen des 6. August in der Kreisverwaltung Ahrweiler erschien, um den CDU-Landrat Jürgen Pföhler persönlich zu sprechen, erhielt er zunächst eine Abfuhr. Der Landrat sei verhindert, hieß es. Man möge doch für einen späteren Zeitpunkt einen Termin vereinbaren. Erst als die Strafverfolger im Vorzimmer auf die Dringlichkeit der Angelegenheit pochten, wurde Pföhler informiert. Umgehend empfing der Landrat laut einem Vermerk die Besucher.
Drei Wochen nach der Flutkatastrophe an der Ahr mit ihren 134 Toten und 766 Verletzten präsentierte der Leitende Oberstaatsanwalt dem Landrat den Durchsuchungsbeschluss und erklärte ihm seine Rechte als Beschuldigter. Pföhler und sein Krisenstabsleiter wurden der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung durch Unterlassen beschuldigt. Der Anfangsverdacht steht im Raum, dass die Bevölkerung trotz erkennbarer Hinweise zu spät vor der tödlichen Flutwelle gewarnt wurde.
Landrat Pföhler ließ sich nur telefonisch unterrichten
Der zuständige Landrat Pföhler ließ sich in jener Flutnacht am 14. Juli nur ganz kurz bei der Technischen Einsatzleitung (TEL) im Keller der Kreisverwaltung Ahrweiler blicken. Während der Krisenstab die Hilfsmaßnahmen koordinierte, so gut es ging, hielt sich Pföhler weitgehend raus, ließ sich nur telefonisch unterrichten. Ein Umstand, der nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ manche Mitarbeiter der Einsatzleitung bis heute verwundert.
Zumal in anderen Krisenregionen die Landratskollegen diese Aufgabe selbst übernommen hatten. Auch stellte sich heraus, dass der Krisenstab laut Einsatztagebuch bereits um 22.04 Uhr die höchste Warnstufe 5 ausgerufen hatte, und nicht wie durch eine Pressemitteilung kolportiert, eine Stunde später. Allerdings wurde die Bevölkerung nicht rechtzeitig gewarnt, weil die Informationsflüsse nicht funktionierten.
Pföhler beteuert seine Unschuld
Den Hintergründen für das katastrophale Krisenmanagement wollten die Ermittler an jenem Augusttag im Büro des Landrats auf den Grund gehen. Dabei erlebten sie Überraschendes. Als die Durchsuchungsbeamten um das Diensthandy Jürgen Pföhlers baten, um die Kommunikation aus der Katastrophennacht nachzuvollziehen, musste der CDU-Politiker zunächst passen. Er habe es zwei Tage zuvor, so seine Aussage. Zwei Stunden später übergab er das Smartphone dann aber doch, er habe es just in seinem Wagen gefunden.
Den Ermittlern zufolge beteuerte der Chef des Landkreises Ahrweiler immer wieder, dass ihn keine Schuld treffe. Bereits drei Jahre zuvor hatte Pföhler seinem Brand- und Katastrophenschutzinspekteur die Einsatzleitung im Krisenfall übertragen. Seinerzeit wurde Michael Z. per Urkunde zum Kreisfeuerwehrinspekteur befördert. Folgte man dieser Argumentationskette, müsste der mitbeschuldigte Krisenstabsleiter in der Flutnacht die alleinige Schuld für den Tod vieler Bewohner im Ahrtal tragen. Pföhler wäre entlastet.
Zudem erging sich der CDU-Landrat in Schuldzuweisungen Richtung Mainz. Aus seiner Sicht lag eine mögliche Verantwortung für das desaströse Krisenmanagement bei der übergeordneten Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) und dem Innenminister. Pföhlers Anwalt Olaf Langhanki forderte vor diesem Hintergrund die Staatsanwaltschaft bereits früh auf, das Verfahren gegen seinen Mandanten einzustellen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse wies den Antrag ab: Zwar sei es rechtlich möglich, die Einsatzleitung abzugeben, so der Behördenleiter, allerdings gebe es Vorschriften, die eine solche Verfahrensweise beim Ausrufen der höchsten Alarmstufe unwirksam machten.
Tatsächlich sieht der Paragraf 24 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über den Brand- und Katastrophenschutz vor, dass die Landrätin oder der Landrat dann die Einsatzleitung zur Gefahrenabwehr übernehmen müssen, „wenn innerhalb eines Kreisgebiets mehrere Gemeinden betroffen sind.“ Diese Voraussetzung scheint im vorliegenden Fall gegeben. Spätestens bei der höchsten Alarmstufe stellte sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die Frage, ob der Landrat sich nicht vor Ort im Krisenstab ein Bild über die Situation hätte machen müssen.
Staatsanwalt prüft "wirksame Delegierung"
Kurzum: Hier ging es schlichtweg um die politische Verantwortung für das Versagen im Katastrophenmanagement. Die Staatsanwaltschaft bestätigte dieser Zeitung, dass die Frage einer wirksamen Delegierung der Krisenbekämpfung weiterhin geprüft werde. Nähere Angaben zum Ermittlungsstand machte der Behördensprecher nicht.
Noch immer halten sich die Strafverfolger in der Sache bedeckt. Intern aber sind die Nachforschungen so weit fortgeschritten, dass man auf ein weiteres mutmaßliches Versäumnis gestoßen ist: So soll Landrat Pföhler, noch bevor die Flutwelle ihre zerstörerische Kraft im Juli entfaltete, Vorschläge zum besseren Katastrophenschutz in den Wind geschlagen haben. Bereits nach dem Hochwasser 2016 hatte der damalige Krisenstabschef ihn laut Dokumentation dazu aufgefordert, neben der technischen Einsatzleitung auch endlich einen Verwaltungsstab einzurichten. Dieses Gremium koordiniert etwa die Warnungen an die Anwohner. Daraus sei aber nichts geworden, gab der Zeuge zu Protokoll.
Inwieweit war der Landrat in die Kommunikation eingebunden?
Bis heute ist nicht klar, inwieweit der Landrat zumindest telefonisch in die Krisenbewältigung eingebunden war. Zeugenaussagen zufolge soll er sich kurz nach dem Ausrufen der Alarmstufe 5 stärker in seiner Nachbarschaft für den Katastrophenschutz engagiert haben als in der Einsatzzentrale. Kurz nach 22 Uhr soll Pföhler bei Nachbarn geklingelt und sie gedrängt haben, ihre Häuser zu verlassen. Zugleich kündigte der Christdemokrat in der Nachbarschaft spätere Evakuierungen 50 Meter links- und rechtsseits der Ahr an.
Über die prekäre Lage informierte die Kreisverwaltung Ahrweiler die Bevölkerung offiziell allerdings erst durch einen Post anderthalb Stunden später. Die Ermittler wissen nicht, wo sich Pföhler nach dem frühabendlichen Besuch im Krisenstab aufhielt. Fakt ist, dass auch sein Haus durch die Flut schwer beschädigt wurde.
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Befragt zu den Vorwürfen, erklärte sein Verteidiger Langhanki: „Bei einem Anfangsverdacht handelt es sich um die niedrigste Verdachtsstufe, die das deutsche Strafprozessrecht kennt. Ein Anfangsverdacht ist Grundlage dafür, dass überhaupt Ermittlungen durchgeführt werden können. Innerhalb des Ermittlungsverfahrens werden wir Tatsachen fundiert herausarbeiten, dass Herrn Dr. Pföhler keinerlei Verfehlungen zur Last gelegt werden können.“
Kurz nach Bekanntwerden der Ermittlungen legte Pföhler sein Amt nieder. Offiziell bat er aus gesundheitlichen Gründen um seinen Abschied. Im Januar stehen Neuwahlen an. Neben dem Christdemokraten Horst Gies wird die Verbandsbürgermeisterin Cornelia Weigand aus Altenahr kandidieren. Die parteilose Politikerin war es, die früh die Gefahr einer drohenden Flutwelle erkannt hatte. Bereits am Nachmittag des verhängnisvollen 14. Juli hatte sie Landrat Pföhler gedrängt, den Katastrophenalarm auszulösen – allerdings erfolglos.