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Gastbeitrag„Ministerin Gebauer pfeift auf Infektionsschutz für Lehrer“

Lesezeit 4 Minuten
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Großen Nachholbedarf sieht der Autor beim Infektionsschutz für Lehrerinnen und Lehrer. (Symbolbild)

  1. Jakob J. Koch (52) ist Kulturmanager und Musiker.
  2. In seinem Gastkommentar thematisiert er die Lage in Schulen, Corona-Schutz bei Lehrern und Sorgen vor dem Winter.

Bonn – Die vierte und schlimmste Coronawelle tobt. Ganz NRW unterliegt Notmaßnahmen wie 3G, 2G, 2G+ und Rückbesinnung auf die AHA-Regeln – ganz NRW? Nein! Die wunderbar heile Schulwelt der Yvonne Gebauer hört nicht auf, gegen die Notmaßnahmen tapfer Widerstand zu leisten.Vorgezogene Boosterimpfungen für alle geimpften NRW-Lehrerinnen und Lehrern? Doch, das hat Frau Gebauer irgendwann einmal „gefordert“ – und hat es dann offenbar wieder vergessen. Halb so schlimm: Die Lehrerschaft wurde im Frühjahr 2021 (zunächst mit AstraZeneca als Erstimpfung) bevorzugt immunisiert und hat damit aktuell durchschnittlich noch eine Antikörperkonzentration von sagenhaften 20 bis 30 Prozent. Das reicht dicke, um mit täglich bis zu 90 ungeimpften U12-Kindern in geschlossenen Räumen an bis zu fünf Tagen in der Woche gesund zu bleiben. Außerdem können sich die Lehrerinnen und Lehrern in die Impflotterie-Wartschlangen stellen – vielleicht haben sie Glück und bekommen nach vier Stunden Anstehen im Freien bei Minusgraden die dritte Spritze. Vielleicht... Fixe Boostertermine gibt’s außerdem schon ab Januar 2022, und in der Zwischenzeit hilft autogenes Training.

Der Winter ist die Zeit des Hustens, Niesens und Rotzens

Der Winter ist gerade an Grundschulen die traditionelle Zeit des Hustens, Niesens und Rotzens, was zusammen mit Corona eine delikate Mischung abgibt. Warum wird da nicht auch für die Schulen 2G angeordnet? Geht ja nicht, weil die Ständige Impfkommission (Stiko) frühestens ab 20. Dezember die U12-Impfung freigeben wird, und da kann NRW in der Tat nichts dafür.

Aber ersatzweise wenigstens Luftreinigungsgeräte für alle Klassenzimmer wie in Schweden? Welch Hirngespinst! NRW ist doch nicht Krösus. Filter gibt’s hierzulande nur für Klassenzimmer „mit eingeschränkter Lüftungsmöglichkeit“, die anderen haben schließlich viele Fenster, und alle 15 Minuten bei Frost ordentlich durchlüften hat noch niemanden umgebracht.

Die Vorstellungen sind nicht praxisnah

Dann aber doch sicherlich CO2-Messgeräte für jedes Klassenzimmer auf Staatskosten? Na, dass die Schulen aber auch immer den Hals nicht vollbekommen können. Die sollen sich bitteschön an ihre Kommunen wenden; bei Städten wie Opern-Köln, Beethovenhallen-Bonn, U-Turm-Dortmund usw. liegt schließlich das Geld auf der Straße.

Und 1,5 Meter Sitzabstand zwischen ungeimpften Kindern? Das geht in den engen Klassenzimmern natürlich nicht; da müsste man die Klassen halbieren und wieder in den Wechselunterricht gehen, aber dies führe zu schweren seelischen Schäden bei den Kindern und komme daher nicht mehr infrage, so das Schulministerium. Aussetzen der Schulpflicht wie in Sachsen? Schließt die Landesregierung für die Zukunft kategorisch aus, und zwar ungeachtet jeder Realitätszwänge.

Lehrersein wirkt wie der gefährlichste Beruf

Vor diesem ganzen Hintergrund könnte man meinen, das Lehrersein sei derzeit neben Arzt/Ärztin, Krankenschwester und Pfleger der gefährlichste Beruf in NRW – doch weit gefehlt: „Unsere Schulen wirken in der Pandemie wie ein Hygienefilter für Kinder und Jugendliche“ verlautbart Frau Gebauer auf der Website ihres Ministeriums. Ja potz Blitz! Wie konnte man das nur übersehen!

Die Inzidenz bei den Fünf- bis Zwölfjährigen hat sich seit den Herbstferien versechsfacht, tendiert aktuell gegen 600 und Frau Gebauer behauptet allen Ernstes, die Schulen mit nur zwei Schüler-PCR-Testungen wöchentlich (Grundschulen) bzw. drei Schnelltestungen (weiterführende Schulen) in einen „Hygienefilter“ verwandelt zu haben.

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Aber die dramatisch hohe Inzidenz bei Schulkindern!? „Das Risiko, schwer an Corona zu erkranken, tendiert bei Kindern gegen null“, springt die FDP-Landtagsabgeordnete Franziska Müller-Rech ihrer Parteikollegin bei. Super – und wie ist das bei Lehrerinnen und Lehrern? Ganz einfach: Beamte sind wegen ihres Diensteids quasi staatliche „Leibeigene“, und Angestellte sollen halt den Beruf wechseln, wenn sie keine Lust mehr haben. Sonst noch Fragen?

Ministerin Gebauer pfeift auf den Infektionsschutz für die Lehrerinnen und Lehrern der U12-Kinder; in ihrem vollklimatisierten großen Einzelbüro ist die Alltagswelt der Schulen einfach zu weit weg. Doch zu Beginn der vierten Welle hat Gebauer den NRW-Lehrerinnen und Lehrern einen prima Tipp gegeben, wie sie die Pandemie überstehen können: Sie dürfen gerne jederzeit bei der vom Schulministerium eingerichteten „psychosozialen Beratungshotline für Lehrerinnen und Lehrer“ anrufen. Mehr Zynismus angesichts der akuten gesundheitlichen Bedrohung der Lehrerinnen und Lehrer geht nicht.

Zum AutorJakob J. Koch, geb. 1969, ist Kulturmanager und Musiker. Zu kultur- und bildungspolitischen Themen wie Inklusion, Interkulturalität und Kulturelles Erbe nimmt er regelmäßig Stellung in Zeitungen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der promovierte katholische Theologe ist seit 2000 Kulturreferent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn.