Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte kürzlich noch betont, die Klimaziele bis 2030 könnten erreicht werden. Die Experten sehen das anders.
Gegenwind für HabeckExperten halten Treibhausgas-Prognosen der Regierung für unrealistisch
Der von der Bundesregierung eingesetzte Expertenrat für Klimafragen hält deren Prognosen zur Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 für unrealistisch. Das geht aus dem am Montag in Berlin veröffentlichten Sondergutachten des Gremiums zur Bewertung der Projektionsdaten 2024 der Regierung hervor. „Wir gehen von einer Zielverfehlung aus“, sagte dazu der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning. Dies betreffe auch das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045.
Die Expertinnen und Experten gehen demnach davon aus, dass das Erreichen der 65-Prozent-Minderung der Emissionen bis 2030, zu der sich die Bundesregierung verpflichtet hat, eher unwahrscheinlich ist. „Nach Prüfung der Daten bestätigt der Expertenrat, dass die Gesamtemissionen bis 2030 substanziell sinken werden, allerdings vermutlich weniger stark als in den Projektionsdaten ermittelt“, sagte Henning.
Die Deutsche Umwelthilfe übte anschließend harsche Kritik an Bundesregierung und stellte Forderungen.
Klimaziele bis 2030 werden wohl nicht erreicht
So werde der projizierte Treibhausgasausstoß „in den Sektoren Energie, Gebäude und Verkehr sowie mit Einschränkungen auch in der Industrie unterschätzt“. Daher könne der Rat die von der Regierung ausgewiesene Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehe „im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus“.
Zum Ziel der Treibhausgasneutralität sagte die stellvertretende Ratsvorsitzende Brigitte Knopf, dass diese laut den Prognosen des Expertenrats „auch bis 2050 nicht erreicht würde“. Dies heiße, „dass das Ziel der Treibhausgasneutralität in weite Ferne rückt“. Ein Grund dafür sei eine zu erwartende Überschreitung der Emissionsmengen um etwa zehn Prozent bereits im Zeitraum 2031 bis 2040, was sich dann für die Zeit danach fortsetze.
Kritik der Umwelthilfe an Klimamaßnahmen der Bundesregierung
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ging nach der Vorstellung des Berichts des Expertenrats hart mit der Bundesregierung ins Gericht. Es sei nun offiziell bestätigt, dass die proklamierten Klimaschutzfortschritte der Bundesregierung einem Realitätstest nicht standhielten, so die DUH. Sie verlangte unverzüglich weitere Klimaschutzmaßnahmen.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sprach von einer „Blamage für die Bundesregierung, die nach dem Motto ‚Klimaschummelei statt Klimaschutz‘ Politik macht.“ Die Umwelthilfe forderte mehr Sanierungen statt Neubau im Gebäudesektor. Das Heizungsgesetz verfehle zudem seine Wirkung, denn derzeit würden wieder mehr Öl- und Gasheizungen eingebaut. Zudem müsste dringend das schon lange Tempolimit auf deutschen Straßen kommen.
Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), twitterte, die Erkenntnisse des Expertenrats kämen „wenig überraschend“. Eine Spitze in Richtung Opposition setzte Quaschning aber auch: Die (von der Union erneut aufgegriffene) Debatte um das in der EU beschlossene Aus für Verbrennermotoren und die „Wärmepumpen-Phobie“, die nach der von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) initiierten Reform des Heizungsgesetzes eingesetzt hatte, seien wenig hilfreich.
Der Expertenrat widerspricht mit seinem Gutachten aber auch Habeck, der Mitte März erklärt hatte: „Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030.“ Auch beim Bürgerdialog zum 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes hatte Habeck kürzlich betont, dass die Klimaziele bis 2030 insgesamt erreicht werden könnten.
Der Expertenrat sieht das grundlegend anders und empfiehlt der Regierung dringend, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Es mache Sinn, „nicht auf ein abermaliges Eintreten einer Zielverfehlung zu warten“, sagte Knopf. „Der Fokus sollte hier auf den beiden für die europäische Lastenteilung relevanten Sektoren Gebäude und Verkehr liegen, die zudem die größten Zielüberschreitungen aufweisen.“ Henning und Knopf verwiesen dabei auch auf drohende EU-Vertragsverletzungsverfahren, wenn nicht gehandelt werde.
Expertenrat für Klimafragen: Bundesregierung arbeitet mit veralteten Annahmen
Eine rechtliche Verpflichtung zum Gegensteuern gebe es jedoch auf Grundlage des neuen, von der Regierung reformierten Klimaschutzgesetzes vorerst noch nicht, räumen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein. Demnach müssen zusätzliche Maßnahmen erst beschlossen werden, wenn zweimal in Folge eine zu erwartende Zielverfehlung durch den Expertenrat festgestellt wird. Henning und Knopf machten aber deutlich, dass diese zweite Feststellung im kommenden Frühjahr zu erwarten sei, wenn nicht massiv gegengesteuert werde.
Die Aussagen des Expertenrats stützen sich zum einen auf die von der Regierung vorgelegten Prognosedaten selbst. Allerdings beruhten auch diese aber teilweise auf veralteten Annahmen, hieß es. Beispielsweise seien die Mittelkürzungen im Klima- und Transformationsfonds (KTF) ebensowenig berücksichtigt wie aktuell wieder niedrigere Preise für Gas sowie für Zertifikate im Rahmen des EU-Emissionshandels.
Zudem gebe es Unsicherheiten hinsichtlich der von der Regierung beziehungsweise in deren Auftrag vom Umweltbundesamt verwendeten Daten und Modelle, heißt es in dem Sondergutachten weiter. „Bei all diesen Punkten sieht der Expertenrat Verbesserungspotenziale.“
Das neue Klimaschutzgesetz ist parlamentarisch verabschiedet. Es wurde vom Bundespräsidenten aber noch nicht ausgefertigt und veröffentlicht und ist daher offiziell noch nicht in Kraft. (cme, afp)