Für den Klimastreik am Freitag kommt Luisa Neubauer nach Köln. Im Interview spricht sie über die Klimabewegung, die Europawahl und den Rechtsruck.
Luisa Neubauer„Die Rechtsradikalen stehen im Hausflur“
Frau Neubauer, seit der letzten Europawahl ist viel passiert. Wir leben seit mehreren Jahren im Dauerstress multipler Krisen. Die Kriege in der Ukraine und Gaza haben die Klimabewegung medial verdrängt. Wie kann diese wieder Fahrt aufnehmen?
Luisa Neubauer: Erstmal würde ich Ihrer Prämisse leicht widersprechen. Wir haben mehr Klimaschutz auf europäischer Ebene als je zuvor, weil wir richtig Druck gemacht haben. Gleichzeitig ist die Klimakrise weiterhin die größte existenzielle Krise unserer Zeit. In den letzten fünf Jahren sind viele weitere Krisen hinzugekommen. Aber ich werde nicht anfangen, diese Krisen gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sollten wir gesellschaftlich und persönlich eine Art Krisenmuskel entwickeln, um uns zu stellen und die Verhältnisse zu verbessern.
2019 haben sie mit Fridays for Future über eine Million Menschen auf die Straße gebracht. Solche Zahlen erreichen Sie derzeit nicht mehr. Wie erklären Sie sich das?
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Dieses Jahr waren wir ebenfalls bereits mit Millionen Menschen auf den Straßen, wir haben mit Fridays for Future maßgeblich die Demokratie-Demos mitorganisiert. Die Menschen sind da und mittlerweile sind wir gut darin geworden, die Krisen zusammenzubringen, die zusammengehören, wie Klimaschutz und Demokratieschutz. 2019 mussten wir eine Million Menschen auf die Straße bringen, damit die Bundesregierung die Klimakrise wahrnimmt. Heute gibt es Klimaabkommen, Klimaziele, eine Energiewende und eine Verkehrswende – zumindest in Ansätzen. Wir müssen nicht mehr mit Millionen Menschen auf der Straße stehen, trotzdem braucht es weiterhin Druck, deswegen machen wir am Freitag Lärm.
Die internationale Fridays for Future-Bewegung hat sich jüngst stark für die Palästinenser eingesetzt, vor allem Greta Thunberg beschäftigt sich aktuell fast ausschließlich mit dem Nahostkonflikt. Ihr wird aber auch Antisemitismus vorgeworfen. Die deutsche Bewegung hat sich distanziert. Warum polarisiert der Nahostkonflikt die Klimabewegung so stark?
Dieses Thema ist eine Herausforderung für jede Gesellschaft und Bewegung weltweit. Es betrifft uns alle und natürlich sind wir davon nicht ausgenommen. Gleichzeitig erlebe ich in Deutschland eine sehr selbstbewusste Bewegung. In ganz Europa streiken wir am kommenden Wochenende in 13 verschiedenen Ländern dafür, dass Klimagerechtigkeit und Demokratien verteidigt werden. Auftakt ist der 31.5. mit Protesten in voraussichtlich 100 Orten alleine in Deutschland.
Zurück zur Europawahl: Inzwischen diskutieren wir über „reiche Kids“, die rechten Parolen grölen, und die AfD ist auf TikTok extrem erfolgreich. Wie haben sich Ihrer Wahrnehmung nach junge Menschen und ihre Einstellung zur Politik über die letzten fünf Jahre verändert?
Rechtsradikale Parteien haben es scheinbar geschafft, junge, oftmals enttäuschte Leute abzuholen - aber die Jungen sind nicht alleine verantwortlich für den Rechtsruck in Deutschland. Alle Parteien und Medien müssen sich fragen, wo sie waren, als die AfD tausende Accounts auf TikTok großmachte. Wir haben mit #reclaimtiktok aber eine progressive Kampagne aufgebaut, die zeigt, dass man junge Menschen auch gewinnen kann. Die sind ja nicht ein Leben lang „im Abo" bei der AfD.
Ein möglicher Rechtsruck bei der Europawahl hätte drastische Auswirkungen auf die Klimapolitik der EU. Welche Bedeutung hat der EU-Klimastreik am Freitag vor diesem Hintergrund?
Wir wissen, dass Proteste vor Wahlen die Wahlbeteiligung steigern können, was dringend notwendig ist. Wir müssen unser Klima und unsere Demokratie schützen, beides wollen die Rechten verbrennen. Fridays for Future fordert, dass Europa bis 2035 aus Kohle, Öl und Gas aussteigt und die Klimainvestitionen bis 2030 mindestens verdoppelt, damit Menschen vor Katastrophen geschützt werden.
Warum haben Sie sich entschieden, ausgerechnet in Köln am Streik teilzunehmen?
Ich wollte an einem Ort sein, der Klima, Europa und alles, was wir gewonnen haben, zusammenbringt. Köln ist eine Stadt mit Haltung und einer wahnsinnig klimaengagierten Stadtgesellschaft. In der Nähe von Köln haben wir mit vielen demokratisch mobilisierten Menschen einen Kohleausstieg erkämpft. Und: Köln ist aus Berlin gesehen der letzte Stopp vor Brüssel.
Was können Städte wie Köln akut für den Klimaschutz tun – oder müssen diese Angelegenheiten auf höherer Ebene entschieden werden?
Es gibt nicht nur den einen Hebel. Wir brauchen überall Orte, die zeigen wie es geht und damit andere inspirieren. Städte wie Paris, Kopenhagen oder London sind Vorbilder. Gleichzeitig wird ein Großteil der Klimagesetze, die für ins Deutschland wirken auf europäischer Ebene gemacht. Und die Rechtsradikalen stehen gerade im Hausflur und wollen ganz viel davon zunichtemachen. Es gibt viel zu gewinnen, aber auch viel zu verlieren.
Veranstaltungstipp: „Strassenland“-Festival
Um das Thema „Klimaschutz“ geht es auch am kommenden Sonntag, 2. Juni, auf der Nord-Süd-Fahrt: Der Kölner Stadt-Anzeiger ist bei „Strassenland“ dabei. „Ksta Green“ präsentiert zusammen mit der Klimagenossenschaft „Heute Stadt Morgen“ verschiedene Projekte und Initiativen, die Beiträge zur Stadtentwicklung leisten wollen. „Stadt-Anzeiger“-Redakteur Helmut Frangenberg und Frank Schilling von „Heute Stadt Morgen“ begrüßen ab 10.30 Uhr zahlreiche Gäste zu Interviews. Der Stand des Kölner Stadt-Anzeiger befindet sich auf dem Straßenabschnitt zwischen WDR-Gebäude und Opernhaus. Informationen zu Straßenland und zum Programm unter: www.strassenland.de