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„Ich war Gefangene, Sklavin“Jesidin sagt gegen Ex-IS-Anhängerin aus Leverkusen aus

Lesezeit 6 Minuten
Nurten J.

Die Angeklagte (l, sitzend) mit ihren Verteidigern Martin Heising (2.v.r) und Serkan Alkan (r). 

Düsseldorf – An den Tag, an dem Barbaren ihre Freiheit raubten, kann sich Dana P. (Name geändert) gut erinnern. Am 3. August 2014 umstellten Terroristen des so genannten „Islamischen Staats“ (IS) ihr Dorf am Fuße des nordirakischen Sindschar-Gebirges, erschossen ihren Vater, zwei Brüder, drei Onkel und zwei Cousins. Andere Männer wurden enthauptet, manche auf der Flucht getötet, die Frauen in drei Gruppen eingeteilt: Jungfrauen und Unverheiratete, Mütter mit Kindern und Frauen über 50 Jahre. Die letzte Gruppe, 83 Frauen seien es gewesen, wurden hinter einem Haus exekutiert. Mit Dutzenden anderen Frauen und Kindern wurde Dana P. verschleppt und später auf einem Sklavenmarkt in der IS-Hochburg Rakka verkauft. P. ist Jesidin und Jesiden galten den Terroristen des IS als Untermenschen.

Es ist der dritte Tag im Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Nurten J. am Oberlandesgericht in Düsseldorf. Die 35 Jahre alte Leverkusenerin soll etwa zwei Jahre lang die Dienste der versklavten P. in Anspruch genommen haben. Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft wiegen schwer: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen das Eigentum und auch Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht.

Furcht vor Racheakten

Als P. den Saal betritt, klein, zierlich, langer schwarzer Rock, der Kopf in schwarzes Tuch gehüllt, würdigt Nurten J. sie kaum eines Blickes. Seit ihrer gemeinsamen Zeit im Terrorstaat der Islamisten hatten sich die beiden Frauen nicht mehr gesehen.

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Dass P. nun hier als Nebenklägerin auftreten und als Zeugin aussagen kann, im riesigen Saal 1 des Hochsicherheitsgebäude des OLG, ist fast ein Wunder. Nach dem Kollaps des Regimes geriet Nurten J. in kurdische Gefangenschaft und wurde vergangenes Jahr schließlich über die Türkei nach Deutschland ausgeliefert. P. dagegen, so schildert es ihre Anwältin Sonka E. Mehner im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger", habe sich über eine Hilfsorganisation selbst um ihre Einreise in die Bundesrepublik gekümmert. Als P. gehört habe, dass man ihren mutmaßlichen Peinigerinnen den Prozess macht, habe sie teilhaben wollen an der juristischen Aufarbeitung. „Sie ist hier, weil sie ihre Geschichte erzählen will. Auch wenn sie schwer traumatisiert ist.“ P. lebt heute an einem geheimen Ort. Auch aus Furcht vor Racheakten wurde sie in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen.

Verkauft, verschenkt oder getauscht

Ihre Schilderungen lassen die Zuhörer erschaudern. 14 Mal wurde sie als Haushalts- und Sexsklavin demnach verkauft, verschenkt oder getauscht. Sie wurde geschlagen und misshandelt, von zwölf ihrer selbst ernannten Besitzer immer wieder vergewaltigt. Sie habe häufiger daran gedacht, sich das Leben zu nehmen. Aber das habe sie ihrem kleinen Bruder nicht antun wollen. Als die Familie getrennt wurde, hatte sie den damals Dreijährigen als ihren Sohn ausgegeben, um ihn zu beschützen, aber offenbar auch, um nicht als Jungfrau zu gelten, die bei den Terroristen hoch gehandelt wurden.

Irgendwann landete sie im Haus einer deutschen IS-Anhängerin, einer Freundin der Angeklagten, die sich derzeit in einem nicht-öffentlichen Verfahren ebenfalls vor dem OLG Düsseldorf verantworten muss. Zwei Jahre lang wurde P. an Nurten J. ausgeliehen. Etwa 50 Mal sei sie in dieser Zeit dort gewesen sein, um Hausarbeiten zu verrichten, zu putzen, sich um die Kinder zu kümmern.

„Ich war Gefangene, Dienerin, Sklavin.“

Wie sie denn das Verhältnis zu J. beschreiben würde, will der Richter wissen. „Ich habe die Befehle befolgt. Alles gemacht, was von mir verlangt wurde“, antwortet P. Es sei ihr auch nichts anderes übriggeblieben. „Ich war Gefangene, Dienerin, Sklavin.“ Immer wenn sie zu ihr gebracht wurde, habe J. sofort die Tür abgeschlossen, um sie an der Flucht zu hindern. „Das werde ich ihr nie verzeihen und nie vergessen.“

Der IS hatte im Sommer 2014 einen Genozid an den Jesiden verübt. 5000 Männer und Jungen wurden getötet, 7000 Frauen und Kinder verschleppt und versklavt. 3000 von ihnen werden noch immer vermisst. Wie die Terroristen mit Jesiden umgegangen sind, hat unter anderem der Prozess gegen Rückkehrerin Jennifer W. in München gezeigt. Auch sie soll laut Anklage eine fünfjährige Jesidin als Sklavin gehalten haben. An einem heißen Tag im Sommer 2015, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt, kettete der Mann das Mädchen in der prallen Sonne im Hof fest. Das Kind starb. W. hat bislang zu den Vorwürfen geschwiegen. Insgesamt sollen mehr als 200 Jesidinnen gegenüber deutschen Strafverfolgern Aussagen über ihr Martyrium gemacht haben.

Angeklagte hatte sich unter Tränen eingelassen

Bereits am Mittwoch hatte sich Nurten J. vor Gericht eingelassen. Unter Tränen verlas sie ein Schriftstück, mit dem sie zu erklären versuchte, warum sie sich überhaupt dem IS anschließen wollte. Mobbing in der Schule wegen ihres Übergewichts, ein jähzorniger Vater, der keine Fremden in seinem Haus duldete und die Mutter beschimpfte. Versagen in der Schule, Kiffen, Alkohol, Mutter geworden, mangelnder Selbstwert, Flucht in den Glauben, Hoffnung auf Anerkennung und ein besseres Leben. „Es ist eine typisch gebrochene Biografie, wie sie viele der IS-Anhängerinnen mitbringen“, wird ihr Anwalt Martin Heising später sagen. Von der Ideologie des IS will J. nicht viel gewusst haben. „Ich schäme mich, aus egoistischen Gründen dem IS geglaubt zu haben“, sagt sie vor Gericht.

Vom Verhältnis zu Nesrin P. hat sie offenbar eine gänzlich andere Wahrnehmung. Dass sie eine Sklavin gewesen sein könnte, habe die Angeklagte zwar geahnt. Sie habe auch erfahren, dass der IS wohl die Sklaverei eingeführt habe. „Ich habe mich damals nicht damit beschäftigt, ich war sehr naiv“, sagt sie. P. sei ihr auch nicht wie eine Sklavin vorgekommen. Über die Zeit sei ihr Verhalten immer „natürlicher“ geworden. Sie habe sie außerdem nie zu etwas aufgefordert.

J. will von Aufgaben ihres Mannes nichts gewusst haben

Bemerkenswert ist, wie wenig die Angeklagte über ihre Zeit beim IS berichtet. Welche Aufgaben etwa ihr Mann Ismael S., ein polizeibekannter Salafist aus Husum, beim IS hatte, habe sie nie erfahren. Auch die Waffen, die es laut Anklage in ihrem Haus gab, bleiben unerwähnt. Vielmehr erzählt J. detailliert über die Mühen ihrer Flucht von einem Ort zum anderen, von Kälte, Not, Angst vor Luftangriffen, unzumutbaren hygienischen Zuständen, von der Sorge um ihre Kinder.

Auch hier zeichnen die Schilderungen von Dana P. ein etwas anderes Bild. Der Mann der Angeklagten sei ein hochrangiger Geistlicher gewesen, der sogar Kontakte zum damaligen IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi gepflegt habe. Auch der Umgang mit den Kindern war angeblich weit weniger fürsorglich. Die älteste Tochter, damals etwa fünf Jahre alt, sei häufig zornig gewesen und habe oft geweint. Ihre einzige Ablenkung war demnach ein Notebook, auf dem das Mädchen IS-Propagandavideos geschaut habe: Koranlesungen, Waffenausbildung, Sprengungen und sogar Enthauptungen.

Ihre drei Kinder darf Nurten J. seit der Inhaftierung nicht mehr sehen, sie sind in der Obhut des Jugendamts. Nur telefonieren sei hin und wieder möglich, sagt ihr Anwalt. Dana P. indes hat zu ihrem kleinen Bruder keinen Kontakt mehr. Irgendwann hätten ihn IS-Terroristen ihr weggenommen, sagt ihre Anwältin. „Niemand weiß, wo er ist.“