Der Bruch der Ampel-Koalition schlägt auch im Ausland große Wellen. Reaktionen kommen aus Europa, Asien und den USA.
Internationale Presse zum Ampel-Aus„Einen schlechteren Zeitpunkt kann man sich kaum vorstellen“
Ab heute blinkt die Ampel nur noch rot und grün. Die FDP-Minister erhalten ihre Entlassungsurkunden. Es startet eine Übergangsphase, von der man noch nicht weiß, wie lange sie dauert.
Nach dem dramatischen Platzen der Ampel-Koalition werden heute die Scherben zusammengekehrt. Die internationale Presse kommentiert das Scheitern der Ampel so:
„Neue Zürcher Zeitung“ (Schweiz):
„Olaf Scholz bleibt sich auch im Niedergang treu. Während der Kanzler den liberalen Finanzminister Christian Lindner am Mittwochabend bei seiner Pressekonferenz in Berlin als kleinkarierten und vertrauensunwürdigen Taktierer beschimpft und aus der Regierung wirft, klopft er sich selbst auf die Schultern. Es ist ein befremdliches Schauspiel. Zum Glück ist es bald vorbei. (…) ‚Deutschland ist ein starkes Land‘, behauptet Scholz. Es ist nicht die einzige kolossale Fehleinschätzung dieses Abends.“
„Corriere della Sera“ (Italien):
„Und am Ende war es Olaf Scholz, der Christian Lindner feuerte. Als die Dinge entschieden waren, als die Falle für die Liberalen zuschnappte, als die Weichen für ihr Ausscheiden aus der Regierung gestellt waren, war es der Kanzler, der ihnen mit Stolz und Vorfreude das Vergnügen nahm, die Tür zuzuschlagen. Der Kanzler entließ seinen eigenen Finanzminister und beendete die Ampel-Regierung – die zweitkürzeste Regierung in der deutschen Geschichte. Immerhin schaffte es Scholz, diesen unrühmlichen Rekord nicht zu knacken. (…)
Letztlich zahlt Scholz für seine Unfähigkeit, einem Experiment, das Deutschland modernisieren sollte, eine Identität und eine Richtung zu geben. Er hatte kein Glück, denn sofort brach der Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen für Deutschland aus.(...) Nun ist es an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Krise von Schloss Bellevue aus zu steuern - so wie es im italienischen Präsidentenpalast oft passierte. Deutschland scheint mit der Krise ein italienisches Schauspiel nachzuspielen, das hierzulande bisher noch niemand gespielt hat.“
„De Standaard“ (Belgien):
„Just in dem Moment, in dem Donald Trump in den USA Wahlen gewinnt – was für Europa und Deutschland turbulente Zeiten bedeutet – steckt die deutsche Regierung in der Krise. Nach dem Treffen der drei Regierungsparteien am Mittwochabend erklärte ein wütender Bundeskanzler Olaf Scholz, dass eine Zusammenarbeit mit dem liberalen Finanzminister Christian Lindner nicht mehr möglich sei. (…)
Scholz will – wie der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck – eine Politik betreiben, die Geld kostet. Er will Fördermittel vergeben, um die hohen Energiekosten zu senken, Arbeitsplätze zu retten, Investitionsprämien auszureichen und zu garantieren, dass die Ukraine nicht auf sich allein gestellt ist.
Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus war für Scholz ein zusätzlicher Grund, Geld für die Stärkung Deutschlands auszugeben. Er hatte Lindner vorgeschlagen, die Schuldenbremse zu lösen, um diese hohen Kosten zu finanzieren. Doch Lindner, der die deutsche Tradition eines ausgeglichenen Haushalts verteidigte, wollte dem nicht zustimmen. (...) Lindner kehrte zu dem liberalen Konzept zurück, dass den Unternehmen so viel Freiheit wie möglich gegeben werden sollte, damit die Wirtschaft wachsen kann. Das ist eine andere Vision als die, die dem Koalitionsvertrag 2021 zugrunde lag.“
„Tages-Anzeiger“ (Schweiz):
„Habecks Argument, dass bei einem Wahlsieg Donald Trumps die Bundesregierung umso dringlicher zusammenstehen und Stabilität beweisen müsse, hatte Lindner schon in den vergangenen Wochen wenig abgewinnen könnte. Vielleicht, so sinnierte er kürzlich im kleinen Kreis, wäre eine Neuwahl des Bundestags im Frühjahr viel sinnvoller, weil Trump dann noch dabei sei, seine Regierung zusammenzustellen. Werde dagegen regulär im Herbst gewählt, sei Deutschland praktisch den gesamten Sommer über im Wahlkampfmodus und handlungsunfähig – und damit just in dem Moment, in dem Trump womöglich erste weitreichende Entscheidungen in der Sicherheits-, Wirtschafts- und Handelspolitik fälle.“
„La Repubblica“ (Italien):
„Was für ein Timing: Die Regierung von Olaf Scholz ist gescheitert. Gestern Abend scheiterte der Dreiergipfel Scholz-Lindner-Habeck im Kanzleramt, ein von vielen seit Sonntag. Nach der schockierendsten Wahl des Jahres in den USA und dem Sieg von Donald Trump ist es dem sozialdemokratischen Kanzler nicht gelungen, seine ausgefranste und mitgenommene Ampel-Koalition zusammenzuhalten. Die Exekutive hat ein Stück verloren: Scholz wird gezwungen sein, ohne die FDP zu regieren. Und nun steht bald eine Neuwahl an. (…) Einen schlechteren Zeitpunkt, um die Bürgerinnen und Bürger Deutschland zur Wahl zu schicken, kann man sich kaum vorstellen: Donald Trump war wenige Stunden zuvor ins Weiße Haus wiedergewählt worden, und es gibt kein Land in Europa, in dem er sich schon während seiner ersten Präsidentschaft feindseliger gezeigt hat. So sehr, dass der dritte Teilnehmer des Gipfels, der Grüne Robert Habeck, bis zuletzt an das Verantwortungsbewusstsein seines FDP-Kollegen appelliert hatte. Geholfen hat es nicht.“
„New York Times“ (USA):
„Die außergewöhnlichen Schwierigkeiten in Berlin treiben die Europäische Union in einer besonders schwierigen Zeit immer mehr in die Irre. Frankreichs Regierung befindet sich in einer Krise, nachdem die Wahlen in diesem Jahr ein festgefahrenes Parlament hervorgebracht haben, und Russland hat auf dem Schlachtfeld in der Ukraine wichtige Fortschritte gemacht und bedroht Europa weiterhin auf breiter Front.“
„Washington Post“ (USA):
Das Ampel-Vorhaben war von Anfang an prekär. Nach kurzlebigen Flitterwochen auf spärlicher gemeinsamer Basis traten ideologische Spaltungen zutage. Die Parteien lieferten sich monatelange Grabenkämpfe. (...) Die deutsche Regierung befindet sich nun in einer Phase der Beinahe-Lähmung. Scholz’ Sozialdemokraten werden als Minderheitsregierung mit den Grünen weiterregieren, sodass von Fall zu Fall parlamentarische Mehrheiten gefunden werden müssen, um Gesetzesvorhaben zu verabschieden.
„The Business Times“ (Singapur):
„Der höchst ungewöhnliche Schritt von Scholz, der nach wochenlangem öffentlichem Gezänk erfolgt, stellt für den 66-jährigen Sozialdemokraten ein großes Risiko dar. Das letzte Mal, als seine Partei eine vorgezogene Wahl anstrebte, im Jahr 2005, führte dies zum Sieg von Angela Merkel und ihrer 16-jährigen Herrschaft im Kanzleramt.“ (pst mit dpa)