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Interview

SPD-Chef über Ampel
Lars Klingbeil „Hört auf mit dem Streit!“

Lesezeit 7 Minuten
 Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender (Archivbild)

Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender (Archivbild)

Zufrieden ist der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil mit der Koalition eigentlich schon – mit einer Einschränkung: Es werde zu viel gestritten und inszeniert.

Herr Klingbeil, Sie kommen gerade aus dem Urlaub. Wie haben sie aus der Distanz die Ampel wahrgenommen? Es gibt neuen Streit um den Haushalt...

Lars Klingbeil: Ja, Abstand tut gut. Ich war ein paar Tage in meiner niedersächsischen Heimat. Das erdet. Wenn man auf dem Markt, beim Einkaufen, in der Eisdiele die Leute trifft und die ihre ehrliche Meinung sagen, wie die Politik gerade wahrgenommen wird: Da ist zu viel Streit, zu viel Kleinteiligkeit, zu viel öffentliche Inszenierung.

Das ist leider nichts Neues. Nun hat der Bundeskanzler sogar aus seinem Urlaub harsch auf den Alleingang des Finanzministers zum Stopfen des Milliardenlochs im Haushalt 2025 reagiert. Ist das jetzt ein Warnschuss für die FDP?

Ich finde es richtig, dass der Bundeskanzler von seiner Seite her Klarheit schafft. Wir waren doch alle froh, als er mit Christian Lindner und Robert Habeck im Juli die Einigung präsentiert hat. Drei Dinge sollten geprüft werden, das Ergebnis muss nun bewertet werden. Das kann auch ohne Öffentlichkeit passieren.

Die Politik hat sich massiv verändert in den letzten Jahren. Es entstehen viel schneller neue große Krisen, auf die man ebenso schnell reagieren muss
Lars Klingbeil

Haben Sie noch Lust auf diese Ampel?

Ich habe Lust auf Verantwortung und auf Regieren.

Wenn Sie die Ampel heute noch einmal neu bilden könnten, was würden Sie anders machen?

Diese Ampel-Koalition ist durch äußere Faktoren erschüttert worden, die während der Koalitionsverhandlungen noch nicht absehbar waren. Russlands Krieg gegen die Ukraine war natürlich in keiner Arbeitsgruppe Thema. Ich würde mich anders darauf vorbereiten, dass es zu unvorhergesehen Krisen kommt. Dazu gehört ein strategisches Zentrum für gemeinsames Krisenmanagement. Der Koalitionsausschuss ist sehr groß. Da ist die Terminfindung schon eine Herausforderung.

Was würden Sie inhaltlich anders machen?

Wir haben viel geschafft, aber das wird von den Koalitionsstreitigkeiten überdeckt. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts, zwölf Euro Mindestlohn, höheres Wohngeld und Kindergeld zum Beispiel. In diesen Zeiten internationaler Unruhen wäre aber jede Regierungskonstellation kompliziert. Die Politik hat sich massiv verändert in den letzten Jahren. Es entstehen viel schneller neue große Krisen, auf die man ebenso schnell reagieren muss.

Ist beim Bürgergeld alles gut gelaufen?

Der Ansatz, dass wir Menschen nicht mehr in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stecken, sondern sie durch Qualifizierung und Weiterbildung auf den ersten Arbeitsmarkt bringen, ist richtig. Trotzdem war ich immer auch dafür, dass, wer Geld vom Staat bekommt, selbst solidarisch sein muss. Eine Sache ist mir wichtig: Wir haben das Bürgergeld mit der Union zusammen beschlossen. Mich erschreckt die Hemmungslosigkeit, mit der mittlerweile Stimmung gegen sämtliche Bürgergeldempfänger gemacht und nach unten getreten wird - gegen Menschen, die Unterstützung brauchen. Darunter sind beispielsweise auch Alleinerziehende, deren Arbeitslohn zum Leben nicht ausreicht. Die sind fleißig, müssen aber aufstocken. Ja, es läuft nicht alles richtig, deswegen passen wir Dinge an. Aber es ist gefährlich, so gegen den Sozialstaat zu reden, der am Ende die Gesellschaft auch zusammenhalten soll.

Ich will als deutscher Politiker garantieren können, dass sich dieser Krieg nicht auf Deutschland ausweitet. Jedes Kind, das in Europa geboren wird, soll in Frieden aufwachsen können
Lars Klingbeil

Warum verharrt die SPD bei 15 Prozent, wenn sie doch vieles richtig gemacht hat?

Es ist eine Mischung: Der Dauerstreit in der Ampel in unsicheren Zeiten. Das kriegt natürlich auch die SPD als die Partei ab, die den Kanzler stellt.

Haben Sie ein Gegenmittel?

Ich komme mir selbst ein bisschen komisch vor, zum fünfzigsten Mal zu sagen: Hört auf mit dem Streit! Ich schaue als Vorsitzender vor allem auf die SPD. Wir müssen deutlicher machen, für wen wir Politik machen: Die arbeitende Mitte, die sich um ihre Jobs und ihre Familien kümmert und das Land zusammenhält.

Inwiefern schlägt die Rüstungs- und Aufrüstungspolitik der SPD ins Kontor?

Sie ist nicht der Grund für unsere Umfragewerte.

Ihr Vorgänger Norbert Walter-Borjans hat die Entscheidung des Kanzlers und des US-Präsidenten zur Stationierung von Mittelstreckenraketen zur Abschreckung Russlands heftig kritisiert. Kritiker seien übergangen worden. Die Aufregung in der SPD ist groß.

Es gibt keine große Aufregung in der SPD.

Wie bitte? Auch Fraktionschef Rolf Mützenich hat seine Zweifel angemeldet. Warum wurde die Stationierungsentscheidung nicht besser kommuniziert?

Wir sind als SPD-Spitze im ganzen Land unterwegs und bieten Bürgergespräche an. Gerade war ich wieder bei zwei Veranstaltungen in Brandenburg. Da können die Menschen alles fragen, auch zu diesem Thema. Die Auseinandersetzung dazu läuft. Und natürlich: Es muss eine Parlamentsdebatte dazu geben.

Hätte das nicht früher klar sein müssen?

Die Regierung muss dazu nach der Sommerpause im Bundestag besser erklären, worum es geht: Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zwei Stunden von uns entfernt. Ich will als deutscher Politiker garantieren können, dass sich dieser Krieg nicht auf Deutschland ausweitet. Jedes Kind, das in Europa geboren wird, soll in Frieden aufwachsen können. Diese Stationierung ist richtig, weil sie uns hilft, dass wir uns wehren können, falls Russland auf die Idee kommen sollte, uns anzugreifen. Das ist Teil einer glaubwürdigen Abschreckung.

Können Sie dagegenhalten, wenn die AfD und das BSW der Regierung vorwerfen, keine Friedenspolitik zu machen?

Der Friedensbegriff von AfD und BSW geht so: „Wir knicken vor Wladimir Putin ein, dann gibt es Frieden.“ Das ist nicht der Frieden, den ich mir vorstelle. Ein gerechter und dauerhafter Frieden geht nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Der Friedensbegriff der SPD ist: die Kombination aus militärischer Stärke und Diplomatie.

Wir brauchen eine langfristige friedliche Perspektive für den Nahen Osten, also eine Zweistaatenlösung
Lars Klingbeil

Zu einem anderen Kriegsschauplatz: den Nahen Osten. Wie weit geht die deutsche Staatsräson für Israel, wenn sich der Iran in den Konflikt einmischt und es zu einem Flächenbrand kommt? Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter fordert militärischen Beistand Deutschlands.

Die Feinde Israels wollen diesen demokratischen Staat von der Landkarte löschen und jüdisches Leben in dieser Region vernichten. Deutsche Staatsräson, allein schon aufgrund unserer Geschichte, ist, das Existenzrecht Israels zu schützen. Bei aller Kollegialität zu Herrn Kiesewetter, wir sollten nicht über Bundeswehreinsätze spekulieren, solange Israel darum gar nicht bittet. Israel ist militärisch sehr stark aufgestellt.

Wie bewerten Sie die Rolle der Regierung von Benjamin Netanjahu?

Meine Solidarität gilt dem Staat Israel, nicht der Regierung Netanjahu. Das Vorgehen im Gazastreifen habe ich immer wieder kritisiert. Die israelische Regierung sollte den Fokus noch stärker auf ein Abkommen zur Waffenruhe und die Freilassung der Hamas-Geiseln legen. Und wir brauchen eine langfristige friedliche Perspektive für den Nahen Osten, also eine Zweistaatenlösung.

Sie reisen zum Parteitag der Demokraten in die USA. Die Präsidentschaftskandidatur von Kamala Harris anstelle von Joe Biden hat neuen Schwung in die Kampagne gebracht. Wäre das ein Modell für die SPD, Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten noch auszutauschen, wenn seine Beliebtheitswerte nicht steigen?

Nein. Ich ziehe aber eine andere Lehre daraus: Innerhalb kürzester Zeit kann sich die politische Lage schnell drehen.

Halten Sie es für realistisch, dass die SPD wie 2021 von 15 Prozent zur Wahlsiegerin vor der Union wird? Trauen Sie dem Optimismus von Scholz? Inzwischen kennen die Wählerinnen und Wähler die Schwächen des Kanzlers besser und mit der Ampel verbinden viele Probleme.

Der Wahlkampf 2025 wird in keiner Weise mit dem von 2021 vergleichbar sein. So habe ich Scholz aber auch nie verstanden. Jetzt sind es noch 14 Monate bis zur Bundestagswahl, da wird noch sehr viel passieren.

Ich habe nicht den Wunsch, eine Regierung platzen zu lassen. Und ich hoffe, dass den auch niemand anderes in der Koalition hat
Lars Klingbeil

Ist jetzt eigentlich schon die Zeit erreicht, dass sich ein Ampelbruch nicht mehr ergeben wird, weil die nächste Wahl quasi vor der Tür steht?

Ich habe nicht den Wunsch, eine Regierung platzen zu lassen. Und ich hoffe, dass den auch niemand anderes in der Koalition hat.

Noch einmal zu Kamala Harris: Sollte sie gegen Trump gewinnen, könnte das eine antipopulistische Welle auch Richtung Europa in Gang setzen?

Ich bin da noch einmal bei meinem Urlaub und meinen vielen Gesprächen vor Ort. Es gibt eine riesige Sehnsucht nach Gemeinsamkeit, Zusammenhalt und Versöhnung dieser Gesellschaft - und nach Anstand. Es gibt keinen Automatismus, dass Populisten die Wahlen gewinnen. Kamala Harris ist da eine große Hoffnung für die USA. Und es würde auch Deutschland guttun, wieder zu einem besseren Miteinander zu kommen. Gerade sehen wir doch bei den Olympischen Spielen in Paris, wie das gelingen kann, auch wenn man im harten Wettstreit miteinander ist.

Wie meinen Sie das?

Wenn man zusammen zittert oder jubelt, ist es ganz egal, woher man kommt, wie man aussieht oder woran man glaubt. Die Emotionen im Sport haben eine ganz besondere Kraft, sie verbinden und können Gräben überwinden. Das haben wir schon während der Fußball-EM im eigenen Land schon gespürt. Wir waren gute Gastgeber und wir sind eine leidenschaftliche Sport-Nation. Deshalb unterstütze ich eine deutsche Olympia-Bewerbung ausdrücklich. Deutschland kann Groß-Events. Und wir brauchen wieder mehr Momente, in denen wir zusammenkommen und gemeinsam etwas schaffen können.