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Interview mit BundesbauministerinWie können wir uns das Wohnen noch leisten, Frau Geywitz?

Lesezeit 9 Minuten
Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Bau und Wohnen, spricht im Interview über die angespannte Lage im Wohnungsmarkt und welche Hebel es gibt, um die Probleme zu lösen. (Archivbild)

Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Bau und Wohnen, spricht im Interview über die angespannte Lage im Wohnungsmarkt und welche Hebel es gibt, um die Probleme zu lösen.

Der Wohnungsmarkt steht unter Druck, Mieten und Kaufen sind teuer. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) spricht im Interview darüber, was aus ihrer Sicht falsch läuft – und wo sie erste Anzeichen einer Belebung sieht.

Frau Geywitz, die Baubranche steckt in einer tiefen Krise. Die Zahl der Baugenehmigungen geht zurück, zahlreiche Projekte werden storniert. Zuletzt kamen aus Ihrem Ministerium aber zuversichtliche Töne. Was stimmt Sie hoffnungsvoll?

Geywitz: Ich will die Krise nicht kleinreden. Dass die Baugenehmigungen zurückgehen, ist schlecht. Aber eine Genehmigung ist noch kein gebautes Haus. Und weil in der Vergangenheit viele Bauprojekte zwar genehmigt, aber nicht umgesetzt worden sind, haben wir einen Bauüberhang von fast 900.000 Wohnungen. Es gibt also einen Auftragsberg, der zeigt, dass noch viel gebaut werden wird. Wir sehen auch, dass sich das Preisniveau in einigen Bereichen wieder normalisiert hat, beispielsweise bei den Baumaterialien. Die Bauzinsen sind ebenfalls gesunken, und ich bin optimistisch, dass sie noch weiter nach unten gehen.

Sie sprachen zuletzt davon, dass Sie ab 2025 mit einer Marktbelebung rechnen. Sehen Sie die Talsohle erreicht?

Ich war Anfang des Jahres auf der großen Immobilienmesse in Cannes. Da diskutierten die Fachleute eigentlich nur noch die Frage, ob es schon ab dem Sommer deutlich nach oben geht, oder ob die Branche bis 2025 durchhalten muss. Wir sehen schon jetzt eine deutliche Belebung, etwa bei dem Interesse an Hypotheken. Das ist ein guter Frühindikator, denn wer sich jetzt danach erkundigt, wird möglicherweise im Laufe des Jahres etwas erwerben.

Alles halb so wild?

Na ja. Im Bereich der Gewerbeimmobilien sieht es momentan eher schlecht aus. Das hat auch damit zu tun, dass durch den Trend zum Homeoffice viel weniger Büros gebraucht werden. Und was den Neubau von Wohnungen angeht, müssen wir weiter alles daransetzen, die Kosten zu reduzieren. Da wird es auch darum gehen, mehr bedarfsgerechtes Bauland zur Verfügung zu stellen. Denn die Baulandpreise sind während der Boom-Jahre so extrem nach oben gegangen, dass Investoren bei Neubauprojekten Mieten aufrufen müssen, die kaum ein Mensch bezahlen kann.

Was tun Sie dagegen?

Gerade bereiten wir eine Novelle des Baugesetzbuches vor, die zusätzliches Bauland ermöglichen soll. In vielen Regionen Deutschlands gibt es Gebiete mit Einfamilienhäusern, in denen gerade ein Generationswechsel stattfindet. Nehmen wir beispielsweise ein Haus aus den Sechzigern mit großem Selbstversorgergarten. Da ist heute viel ungenutzte Fläche, in der wir das Potenzial sehen, für die Kinder oder Enkelkinder noch ein Haus zu bauen. So könnten wir einfach bezahlbaren Wohnraum schaffen, ohne großflächig die Landschaft zu versiegeln. Es muss aus meiner Sicht immer darum gehen, vorhandene Flächen klug zu nutzen.

Ein Grund für die steigenden Mieten ist auch das knappe Angebot. Wie kann Druck aus dem Mietmarkt genommen werden?

Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen Angebot und Preis, aber was die Mietpreise angeht, müssen wir noch eine andere Sache bedenken: Bauen ist heute so teuer, dass die Mieten bei einer Neuvermietung deutlich über den Bestandsmieten liegen. Die Hoffnung, dass man nur hinreichend viel bauen muss, damit das Mietniveau sinkt, greift also zu kurz.

Was muss passieren?

Wir brauchen eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Durch die zusätzliche staatliche Finanzierung könnte die Miete bei einer Neuvermietung bei rund 6,50 Euro pro Quadratmeter liegen, teilweise sogar darunter. Viele Länder haben ihren sozialen Wohnungsbau bereits wiederbelebt und die Förderung attraktiv gemacht. Die Bundesregierung unterstützt das Ganze mit 18,15 Milliarden Euro.

Was ist mit dem Mietrecht? Gerade hat sich die Regierung darauf geeinigt, dass die Mietpreisbremse verlängert wird. Eine Absenkung der Kappungsgrenze und eine Stärkung des qualifizierten Mietspiegels werden aber weiter von der FDP blockiert. Wie enttäuscht sind Sie darüber?

Die Verlängerung der Mietpreisbremse ist ein erster Schritt. Wir brauchen nun ein zügiges Gesetzgebungsverfahren, denn in einigen Ländern läuft die Mietpreisbremse im nächsten Jahr aus. Die Länder benötigen ebenfalls noch Zeit, ihre Landesverordnungen entsprechend anzupassen. Natürlich müssen auch die anderen im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zum Mietrecht umgesetzt werden.

Christian Lindner warnte vor Verschärfungen über die bestehende Mietpreisbremse hinaus, weil sie eine Erholung der Baukonjunktur beschädigen würden. Sind die Sorgen des Finanzministers berechtigt?

Nein, denn neu gebaute Wohnungen sind von der Mietpreisbremse ausdrücklich ausgenommen.

Mieten ist teuer, kaufen aber auch. Können wir uns Wohnen überhaupt noch leisten?

Die Mietbelastungsquote, insbesondere in den unten Einkommensgruppen, ist hoch und das war auch einer der Gründe, warum wir die größte Wohngeldreform in der Geschichte der Bundesrepublik gemacht haben. Einen Anspruch auf Wohngeld haben jetzt dreimal so viele Leute wie davor. Ob man berechtigt ist, kann man leicht prüfen – ich kann das jedem nur empfehlen. Dazu haben wir einen Rechner auf unserer Internetseite. Viele wissen auch nicht, dass man im Eigenheim einen Lastenzuschuss beantragen kann. Die ersten Auswertungen aus den Bundesländern zeigen, dass das Wohngeld wirklich gut angenommen wird.

Es gibt Familien, die gerade so aus der Berechtigung herausfallen und große Schwierigkeiten haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Was sagen Sie denen?

Neben dem Wohngeld und der Möglichkeit, über einen Wohnberechtigungsschein eine Sozialwohnung zu bekommen, gibt es auch unser Programm zur Förderung von Wohneigentum für Familien. Da haben wir gerade die Zinsbindung auf 20 Jahre erhöht. Das gibt den Familien mehr Planungssicherheit. Außerdem arbeiten wir an einer weiteren Förderung.

Sie meinen das Förderprogramm „Jung kauft alt“, das im Juni starten soll?

Genau, damit unterstützen wir Familien beim Erwerb einer sanierungsbedürftigen Bestandsimmobilie. Und für viele ist auch die Genossenschaftsförderung attraktiv. Damit können sich mehrere Familien zusammentun und zum Beispiel ein spannendes, größeres Objekt miteinander entwickeln und eine Genossenschaft gründen. Man kann aber auch einen Zuschuss für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen erhalten.

Gerade erst wurden die Fördertöpfe für des Programm „Klimafreundlicher Neubau“ wieder aufgefüllt. Wie ist der Neustart angelaufen?

Sehr gut. Dass das Programm so nachgefragt wird, ist für mich ein gutes Zeichen. Und wir sehen auch, dass etwa die Hälfte der Fördernehmer sich für den EH40-Standard entscheidet und die andere Hälfte für den höheren Standard mit dem Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude.

Machen wir mal einen Zeitsprung. Was denken Sie, wie wir in 20 Jahren leben? Wie sieht die Wohnung oder die Stadt der Zukunft aus?

Man muss bedenken, dass die allermeisten Häuser, die dann stehen werden, auch heute schon da sind. Im Vergleich zum Bestand ist der Zubau gering, weswegen unsere Städte von außen nicht großartig anders aussehen werden. Aus meiner Sicht gibt es aber zwei große technische Entwicklungen. Das eine ist die Art und Weise, wie wir heizen. Wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen, müssen wir es bis dahin geschafft haben, unsere Häuser überwiegend ohne Erdöl und Erdgas zu beheizen.

Und das andere?

Wir sind dann mutmaßlich eine Gesellschaft, die älter geworden ist und in der viele Menschen allein leben. Beides wird dazu führen, dass das Thema Smart Living, also das intelligente Wohnen, stark an Bedeutung gewinnen wird. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass Sturzsensoren zum Standard werden, die Alarm schlagen, wenn ältere Menschen in ihrer Wohnung hinfallen. Oder ein Herd, der automatisch abschaltet, wenn der Topf überläuft. Auch CO₂-Messungen halte ich für denkbar. Sensorik für altersgerechtes Wohnen wird neben der Energieeffizienz ein Riesenthema sein.

Ist der Wohnungsbau auf den demografischen Wandel vorbereitet?

Nein, überhaupt nicht. Die Themen Barrierefreiheit und altersgerechter Umbau stecken noch in den Kinderschuhen. Wir haben die Mittel für den altersgerechten Umbau jetzt verdoppelt, was angesichts der knappen Haushaltsmittel schon ein großer Erfolg ist. Aber die 150 Millionen jährlich sind angesichts der demografischen Entwicklung immer noch zu wenig. Wir müssen in den nächsten Jahren Milliarden investieren.

Aktuell gehen die Bauplanungen von 84 Millionen Menschen in Deutschland aus. Sind wir auch auf eine schrumpfende Bevölkerung vorbereitet?

Das ist eine Sache, die mich bei meinem Amtsantritt sehr gewundert hat. Wir haben keine offiziellen Bedarfsrechnungen, weder für den kompletten Wohnungsbau noch für den sozialen Wohnungsbau. Und wir wissen erst im Jahr danach, was wir ein Jahr davor gebaut haben. Beides ändern wir jetzt.

Wie?

Es wird ab 2026 einmal im Quartal Informationen über Baubeginne und Baufertigstellungen geben. Außerdem wollen wir eine regelmäßige Bedarfsprognose vorlegen. Natürlich nützt es einer Familie wenig, wenn ich jetzt weiß, dass ab 2038 wieder Platz sein wird. Aber für eine gute Planung sind solche Informationen unerlässlich.

Wie gut kann man voraussagen, wie wir in Zukunft leben?

Ich bin Ostdeutsche und war lange in der Lokalpolitik unterwegs. Deshalb weiß ich, dass Demografie kein Schicksal ist. Ganz schnell können externe Ereignisse dazu führen, dass sich Sachen ändern – beispielsweise hat der Zuzug von Ukrainern auch dazu geführt, dass sich in ostdeutschen Kleinstädten die Bevölkerungszahl wieder stabilisiert hat. Ein wichtiger Punkt ist aber auch der Wohnflächenkonsum, der derzeit bei rund 45 Quadratmetern pro Person liegt.

Wäre es Ihnen denn lieber, wenn der Quadratmeterverbrauch pro Kopf runterginge?

Ja, denn hohe Quadratmeterzahlen sind in vielen Fällen kein Ausdruck von Luxus, sondern von einem nicht funktionierenden Wohnungsmarkt. Familien leben in angespannten Märkten oft auf zu kleinen Wohnflächen und Senioren auf zu großen, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden, die ihren aktuellen Bedürfnissen entspricht.

Wie kann der Markt besser funktionieren?

Es fehlt an kleinen, barrierefreien und seniorengerechten Wohnungen. Wichtig ist auch, wo sie entstehen. Man hat in den Sechzigern und Siebzigern Siedlungen gebaut, in denen es nur Einfamilienhäuser gab. Damals lebten Familien mit drei oder vier Kindern in dem gleichen Haus, in dem heute nur noch ein bis zwei Senioren wohnen. Viele von denen würden sofort in eine kleinere Wohnung umziehen – wenn es die denn im direkten Umfeld gäbe.

Aber was, wenn die Person nicht umziehen will, weil sie am Elternhaus hängt?

Niemand, der in seinem Haus wohnen bleiben will, soll ausziehen. Aber für die, die das wollen, brauchen wir ein Angebot.

Welche Hebel gibt es noch?

Wir könnten bei der Entwicklung neuer Städte oder der Architektur neuer Häuser stärker mitdenken, wie Fläche gemeinsam genutzt werden kann. Braucht jede Wohnung ein Arbeitszimmer oder legen wir im Quartier einen Coworking-Space an? Wir müssen ja bedenken: Wenn alle ein Arbeitszimmer haben und dann auch noch zweimal die Woche ins Büro fahren, wächst ja nicht nur die Wohnfläche, sondern auch die genutzte Bürofläche.

Gemeinsam im Quartier arbeiten, statt allein im Homeoffice also?

Genau, denn wir müssen beim Blick auf die Zukunft darauf achten, dass keine Architektur der Einsamkeit entsteht. Man darf nicht unterschätzen, was es mit jemandem macht, wenn man nur vom Schlafzimmer ins Bad, in die Küche und dann ins Arbeitszimmer wechselt und der Schwatz in der Kaffeeküche wegfällt.

Dass mit Wohnungen Renditen erwirtschaftet oder Spekulationsgewinne eingefahren werden, sehen viele Sozialdemokraten kritisch. Wie stehen Sie dazu?

Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Spekulationsgewinne sehen die meisten Sozialdemokraten kritisch, genau wie ich. Aber die Erwirtschaftung angemessener Renditen auf das eingesetzte Kapital ist durchaus in Ordnung. Ich glaube auch nicht, dass das viele so kritisch sehen. In Deutschland trägt der privat finanzierte Wohnungsbau erheblich dazu bei, dass neuer Wohnraum entsteht. Jeder dritte in Deutschland investierte Euro fließt in den Wohnungsbau. Und es ist doch eine gute Sache, wenn man für sein Alter vorsorgt, indem man Wohneigentum bildet. Wir haben ja auch das soziale Mietrecht, das Mieterinnen und Mieter schützt. Ich bin mir sicher, dass wir weder die Baukonjunktur anschieben, noch für ausreichend Wohnraum sorgen können, wenn wir es nicht schaffen, dass die Menschen Wohneigentum beziehungsweise Anlagen im Baubereich als gute Möglichkeit der soliden Vorsorge betrachten.