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Interview

Ex-Botschafter
Shimon Stein: „Wo waren Scholz und Baerbock, als die Hisbollah zum Monster wurde?“

Lesezeit 5 Minuten
ehemaliger Botschafter Shimon Stein, war von 2001 bis 2007 israelischer Botschafter in Deutschland, zu Gast in der ARD Talkshow Hart aber Fair mit dem Thema Der Weg der Gewalt: Kann das Sterben in Nahost gestoppt werden *** Former ambassador Shimon Stein, was Israeli ambassador to Germany from 2001 to 2007, guest on the ARD talk show Hart aber Fair with the topic Der Weg der Gewalt Can the dying in the Middle East be stopped

Der ehemalige israelische Botschafter Shimon Stein war 2023 zu Gast in der ARD Talkshow „Hart aber Fair“.

Israels Ex-Botschafter Shimon Stein beklagt die Haltung des Bundes­kanzlers und der Außen­ministerin zur Lösung des Libanon-Konflikts. Er wirft ihnen vor, dem Aufbau der islamistischen Terrormiliz Hisbollah tatenlos zugesehen zu haben. Auf die Frage zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland hat der 76-Jährige eine niederschmetternde Antwort.

Von 2001 bis 2007 war Shimon Stein Israels Botschafter in Deutschland. Ein Palästinenser habe ihn damals in Berlin umbringen wollen, erzählt er im Gespräch mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland. Stein weiß sehr genau, was Krieg bedeutet. Er war 19 Jahre alt, als er seinen Militärdienst leistete und als Fallschirm­jäger im Sechstagekrieg zwischen Israel und Ägypten, Jordanien und Syrien eingesetzt wurde. Sieben Jahre später trat er in den diplomatischen Dienst ein. Berlin ist ein Zuhause für ihn geblieben.

Herr Botschafter Stein, sehen Sie in der Tötung von Hamas-Chef Jihia al-Sinwar eine Chance für einen Waffen­stillstand zwischen Israel und der islamistischen Terror­organisation?

Das ist Wunschdenken, aber es ist nicht ausgeschlossen. Es hängt auch viel davon ab, wer Sinwar nachfolgt. Sollte es nicht sein Bruder sein, sondern jemand aus dem Exil wie der frühere Hamas-Chef Chaled Maschaal, der einst gegen den Aufbau der Beziehungen zwischen der Hamas und dem Iran war, könnte eine gewisse Mäßigung eintreten. Das wäre aber auch nur die eine Seite.

Und die andere Seite?

Nur ein Waffen­stillstand und die sofortige Freilassung aller Geiseln sind der Schlüssel für die Lösung des Konflikts in Gaza, im Libanon und darüber hinaus. Wenn diese beiden Vorbedingungen nicht zustande kommen, wird sich das Fenster, das sich durch den Tod von Sinwar geöffnet hat, wieder schließen und die Geiseln werden, so fürchte ich, in Särgen zurück­kommen. Die andere Seite ist, ob Premier Benjamin Netanjahu bereit ist, einen Waffen­stillstand einzugehen und sich aus Gaza zurückzuziehen – der einzige Weg, die noch lebenden Geiseln zu retten.

Welche Zweifel haben Sie?

Es müsste eine große Zahl der in Israel inhaftierten palästinensischen Terroristen ausgetauscht werden und Israel müsste sich, wie gesagt, aus Gaza zurückziehen. Ich finde, es bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen hohen Preis zu bezahlen, um die Geiseln freizubekommen, die übrigens nicht alle in den Händen der Hamas sind, sondern auch in denen von einzelnen Banden und kriminellen Familien. Der Staat Israel hat am 7. Oktober 2023 schrecklich versagt, die Regierung, das Militär, die Nachrichten­­dienste haben die Bürger nicht vor dem Massaker geschützt. Danach mussten wir militärische Stärke zeigen und abschrecken, Israel hat die Hamas-Strukturen weitgehend zerschlagen. Aber Netanjahu sagte nach Sinwars Tod, das sei erst der Anfang vom Ende. Er strebt einen totalen Sieg an.

Wo will er Ihrer Meinung nach enden?

Was er genau meint, weiß ich nicht. Seine messianischen verrückten Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir wollen, dass in Gaza wieder Juden siedeln, und sie betreiben eine schonungslose Annexion der Westbank. Netanjahu nimmt das schweigend hin, weil er sie für das Überleben seiner Regierung braucht. Will Israel Besatzungs­macht in Gaza bleiben? Das wäre militärisch, wirtschaftlich und für die internationalen Beziehungen Israels gefährlich. Wenn Netanjahu in diese Richtung marschiert, werden die Geiseln sterben. Und das würde sich wie ein Brandmal in die israelische Identität einbrennen. Jetzt muss es um eine politische Perspektive gehen.

Warum sollte Chaled Maschaals Hass auf Israel geringer sein als der von Sinwar?

Es gibt Menschen im Gazastreifen, die wegen der Attacke auf Israel am 7. Oktober und der Folgen für die Palästinenser hart mit der Hamas ins Gericht. Ein Nachfolger, der die Hamas wieder aufbauen will, könnte das berücksichtigen müssen. Die viel gefährlichere Front als in Gaza ist jetzt aber die zum Libanon. Man kann die Hisbollah nicht mit der Hamas vergleichen. Auch hier brauchen wir neben dem militärischen Vorgehen eine politische Lösung. Und es ärgert mich, wie sich Bundes­kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock das vorstellen.

Nämlich?

Es ist nun immer die Rede von der UN-Resolution 1701. Ministerin Baerbock verweist darauf. Und auch der Bundeskanzler beruft sich auf diese Resolution. Ich frage mich, ob beide den Text gelesen haben oder ob sie sich etwas von ihren Mitarbeitern haben aufschreiben lassen. Die Resolution ist von 2006, als sich Israel nach der letzten großen Operation im Libanon zurückgezogen hat. Wenn diese Resolution implementiert worden wäre, hätten wir die heutige Lage nicht. Wo waren denn Baerbock und Scholz und die ganze Staaten­gemeinschaft in den vergangenen 18 Jahren? Tatenlos wurde zugesehen, wie sich die Hisbollah im Süden des Landes zu einem Monster aufbaute – obwohl die UN-Truppe Unifil mit Tausenden Kräften dort war. Die haben aber nichts gesehen und nichts gehört.

Nach dieser Resolution zur Einstellung der Kämpfe zwischen Israel und der islamistischen Terrormiliz sollte eine waffenfreie Pufferzone geschaffen werden zwischen dem Litani-Fluss und der „Blauen Linie“, die die UN nach früheren Kämpfen als vorläufige Grenze gezogen haben. Kontrolliert werden sollte diese Zone von Unifil und der libanesischen Armee. Was muss nun folgen?

Unifil sollte der libanesischen Regierung auch ermöglichen, ihre Souveränität auszudehnen, was gescheitert ist. Nun müsste es eine neue, deutlich ergänzte UN-Resolution geben. Aber Israels Forderungen werden vor dem Hintergrund der Ereignisse im vergangenen Jahr schwerer zu erfüllen sein, weil die Regierung Unifil und der libanesischen Regierung misstraut und auf Sicherheits­garantien beharren wird, die auf Widerspruch stoßen werden.

Ein abgelehnter Asyl­bewerber aus Libyen soll einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Deutschland geplant haben und sitzt jetzt in Untersuchungs­haft. Wird jüdisches Leben in Deutschland ausreichend geschützt?

Als ich Botschafter war, wurde in Berlin ein Palästinenser festgenommen, der mich umbringen wollte. Dieser Vorgang jetzt überrascht mich also nicht. Es ist nicht das erste Mal, und bedauerlicherweise wird es auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Die israelische Botschaft in Deutschland wird ein Ziel für Terroristen bleiben. Man wundert sich, dass der entscheidende Hinweis zur Ergreifung des mutmaßlichen Attentäters nicht von den deutschen Nachrichten­diensten, sondern aus dem Ausland kam. Ich bin zu müde, um darüber zu sprechen: Der Schutz des jüdischen Lebens – das ist zum deutschen Mantra geworden. Aber was bedeutet das in der realen Welt? Dass Juden hier frei von jeglicher Bedrohung leben können? Das wird in absehbarer Zeit nicht passieren.