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John F. Kennedy und die DeutschenEin Berliner ist er nie geworden

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US-Präsident John F. Kennedy und  First Lady Jacqueline Kennedy fahren kurz vor dem Attentat mit John Connally. Gouverneur von Texas, durch Dallas.. (Photo by © CORBIS/Corbis via Getty Images)

US-Präsident John F. Kennedy und First Lady Jacqueline Kennedy fahren kurz vor dem Attentat mit John Connally. Gouverneur von Texas, durch Dallas.

Vor 60 Jahren starb John F. Kennedy. Er war ein US-Präsident, über den sich sagen lässt: Die Deutschen haben ihn bewundert.

Am 22. November 1963 fiel John Fitzgerald Kennedy dem berühmtesten aller Attentate zum Opfer, 60 Jahre ist das jetzt her. Um 12.30 Uhr Ortszeit fiel der erste Schuss, abgefeuert aus einer Kurzgewehrversion des italienischen Modells Carcano Modell 91/38. Der Täter, wahrscheinlich der 34-jährige Lee Harvey Oswald, aber endgültig wird das wohl nie geklärt, lauerte in einem Schulbuchlager rund 60 Meter von der Elm Street entfernt.

Kennedys Tod, festgehalten in Farbe in diesen nach wie vor atemlos machenden, dramatischen Fernsehaufnahmen, veränderte die Welt. Er markierte den Beginn des Medienzeitalters. Bis dahin war Politik die Verwaltung von Menschen, die sich in einem geschlossenen, anonymen Hub abzuspielen schien. Ab da ist Politik auch Drama, Schicksal, Leidenschaft. Jeder hat es gesehen, jeder kann mitreden. Die Anteilnahme, vor allem am Schicksal der armen „Jackie“, der First Lady Jacqueline Kennedy, die nach dem dritten Schuss in ihrem mit Blut und Hirnmasse besudelten pinkfarbenen Kostüm auf der Hecksitzbank des Lincoln kniet, scheint grenzenlos.

Er überwand nie seine innere Distanz zu den Deutschen, die auf Erfahrungen seiner diversen Deutschlandreisen beruhte.
Bernd Greiner, Historiker und Amerika-Experte

Für Monate gibt es keinen anderen Gesprächsstoff, natürlich auch nicht im geteilten Deutschland, wo Kennedy die Herzen besonders zugeflogen sind. Und so ist es kein Zufall, dass es der mit deutscher Zunge schwer aussprechbare Name „Jacqueline“ Mitte der 60er-Jahre zum Modenamen schafft. Im Osten sogar noch stärker als im Westen.

Warum wurde Kennedy in Deutschland dermaßen romantisiert?

Doch warum wurde Kennedy, der in Amerika auch immer als Teil einer Politikerkaste mit teils dubiosen Kontakten in die gewerkschaftsnahe Unterwelt viel kritischer gesehen wurde, vor allem in Deutschland dermaßen romantisiert?

Kennedy wurde Teil des neuen Polit-Infotainments, weil der Mix stimmte: Der Mann sah umwerfend gut aus – allein schon im Vergleich zu den europäischen Politikern damaliger Zeit: Walter Ulbricht, Ludwig Erhardt, Charles de Gaulle, Nikita Chruschtschow. An seiner Seite wirkte „Jackie“ wie das nette Mädchen von nebenan.

Jenseits dieser romantischen Verklärung darf man heute ohne Übertreibung sagen, dass die knapp drei Regierungsjahre des Kennedy-Paares historisch gesehen eine Zeit waren, in der sich die Deutschen, egal ob in West oder Ost, am intensivsten mit Amerika identifizierten, bevor der Vietnamkrieg zu einer erneuten Entfremdung führte.

Eine Annäherung, die anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Zeit in dieser von Disziplin, Autoritätshörigkeit und Glauben an Dinge wie Volksgemeinschaft so stark geprägten Kultur eben alles andere als selbstverständlich war. Kennedys einziger Deutschland-Besuch als Präsident im Juni 1963 geriet zum Triumphzug, wie ihn nach ihm kein Staatsgast je wiederholen konnte, auch nicht der von Deutschland ähnlich geliebte Barack Obama.

Natürlich hatte das viel mit der politischen Großwetterlage zu tun: Der Bau der Mauer im August 1961, die Kuba-Krise ein Jahr später, die die Welt an den Rand eines atomaren Schlagabtausches brachte, dazu das wachsende Wissen über Stalins monströse Hinterlassenschaft in der Sowjetunion – die Hoffnungen und Erwartungen, die den bubenhaften neuen US-Präsidenten begleiteten, waren in jeder Hinsicht mehrere Nummern zu groß. Und Kennedy?

Der musste gar nicht viel tun, um diese überbordenden Erwartungen, mit denen die Deutschen ihn sichtlich überforderten, nicht zu enttäuschen. Ein paar wie zufällig dahin gesagte deutsche Worte („Ich bin ein Berliner“), eingebettet in einen englischen Satz, dessen Kernaussage („as a free man“) selbst damals jedermann gerade noch verstand – mehr brauchte es nicht. Die Deutschen diesseits und jenseits der Mauer hatten in diesen so trostlosen, weil politisch kalten Sechzigerjahren ihren Heiland gefunden.

Allein seine Anwesenheit sorgte für Licht

Ein Berliner ist er dennoch nie geworden. In Wahrheit tat Kennedy nichts, um diese schreckliche Teilung zu verhindern, die Folgen der Einmauerung zu lindern oder gar die Manifestierung der SED-Diktatur in Ostdeutschland stoppen. Doch das spielte keine Rolle. Allein seine Anwesenheit sorgte für Licht.

Doch beruhte diese Bewunderung auf Gegenseitigkeit? „Er überwand nie seine innere Distanz zu den Deutschen, die auf Erfahrungen seiner diversen Deutschland-Reisen beruhte“, erklärt der Historiker und ausgewiesene Amerika-Experte Bernd Greiner („Die Kuba-Krise“, C.?H. Beck). Denn was nur wenige wissen: Kennedy kannte Deutschland sehr gut. Er hatte dieses Land in seiner finstersten Phase bis 1945 dreimal besucht. Erstmals 1937 mit dem naiven Blick eines begüterten Ostküstenamerikaners. 20-jährig fuhr er zusammen mit seinem Freund Lem Billings und Dackel Offie von Le Havre aus drei Monate lang im Ford Cabrio durch Europa, einen Großteil verbrachten sie in den faschistischen Achsenstaaten Deutschland und Italien.

Ein Stück weit war der jugendliche Harvard-Student damals dieser grandios inszenierten „Ein-Volk-ein-Reich-ein-Führer“-Fassade auf den Leim gegangen – kann man es ihm verübeln? „Komme zu dem Schluss, dass der Faschismus das Richtige für Deutschland und Italien ist“, schrieb er in seinem Tagebuch. Er schwärmte für deutsche Autobahnen („die besten Straßen der Welt“) – und natürlich von den deutschen Mädchen.

Doch schien er zu ahnen, dass vieles inszeniert war: „Hitler scheint hier so beliebt zu sein wie Mussolini in Italien, wenngleich Propaganda wohl seine stärkste Waffe ist.“ Was blieb – und da lässt sich vermutlich eine Linie bis 1963 ziehen – ist seine Erkenntnis, dass ihm dieses Volk im Herzen Europas fremd ist. „An der Fügsamkeit der deutschen Beamten zeigt sich, wie einfach es in Deutschland wäre, die Macht an sich zu reißen. Sie besitzen weder die Neugier der Amerikaner noch deren angeborene widerständige ,Ich bin aus Missouri, erklärt mir das erst mal!‘-Haltung gegenüber der Obrigkeit.“

Viel Misstrauen

Doch es war mehr als diese „Fügsamkeit“, die Kennedys Distanz zu Deutschland zugrunde lag: Deutschlands politische Führer „lagen ihm nicht“, so Greiner. „Während sich Kennedy als Mann des Aufbruchs verstand, sah er in Adenauer einen Politiker des 19. Jahrhunderts. Die von Adenauers Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß geforderte atomare Bewaffnung der Bundeswehr war ihm ein Grauen, weil die Nato für Kennedy vor allem folgenden, in Washington seit 1949 formulierten Zweck erfüllen sollte: keep America in, Russia out und Germany down.“

16 Jahre nach dem Krieg gab es da verständlicherweise noch sehr viel Misstrauen. Auch sein Verhältnis zu Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt, der von Teilen der Bevölkerung als „deutscher Kennedy“ gefeiert wurde, war nicht ungetrübt: „Kennedy verübelte dem Sozialdemokraten einen harsch formulierten Brief, in dem er nach dem Mauerbau von Kennedy sehr kategorisch und undiplomatisch mehr Engagement gefordert hatte.“

Die Deutschen schauten auf Kennedy, der schaute vor allem auf Moskau. Deutschland spielte für „JFK“ keine zentrale Rolle. Deutlich wurde das in einer handschriftlichen Randnotiz Kennedys, die der Historiker Greiner auf einem der „Briefing-Books“ des Präsidenten vom Herbst 1962 gelesen hat. Da kündigte sich der damalige deutsche Außenminister Gerhard Schröder (nicht mit dem späteren Kanzler zu verwechseln) an. „Was zum Teufel will der Kerl von mir?“, notierte Kennedy mit Bleistift am Rand.