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Kinder-Influencer auf YoutubeWenn Zehntausende Marinas Alltag begleiten

Lesezeit 5 Minuten

Marina mit ihrem Pony

  1. Wenn Marina aufsteht, können dabei bis zu 111.000 Youtube-Abonnenten zugucken.
  2. Sie ist eine so genannte Mini-Influencerin, die ihren Alltag zeigt und nebenbei Produkte vermarktet.
  3. Die Werbebranche hat den Markt längst für sich entdeckt, Kinderrechtler warnen vor einem öffentlichen Kinderzimmer.

Köln – Wenn Marinas Wecker klingelt, bleibt sie am liebsten noch kurz liegen, sagt sie. Dann steht die 12-Jährige auf, zerzauster blonder Zopf, pinkfarbenes Top und rosa-karierte Shorts. Sie zieht die Rollläden in ihrem Kinderzimmer hoch. Kurz lehnt sie sich über das Fensterbrett, ihr Blick streift über freistehende Einfamilienhäuser am Waldrand, unten im Garten leuchtet das Blau des Pools.

Marina ist beim Aufstehen nicht allein. 488.164 Aufrufe hat ihr achtminütiges Video „Meine Morgenroutine - #SommerFerienEdition.“, das sie vor zwei Jahren aufgenommen hat. Heute ist Marina 14, seit mittlerweile dreieinhalb Jahren zeigt sie sich vor allem mit Pferden regelmäßig auf Youtube. „Mein Leben dreht sich um meine Ponys“, erzählt sie im Interview. Marinas Youtube-Kanal hat 111.000 Abonnenten, ähnlich viele sind es auf der Plattform Instagram.

Zehntausende schauen morgens beim Zähneputzen zu

Die 14-Jährige aus der Nähe von Köln gehört zu einer stetig wachsenden Gruppe in sozialen Netzwerken: Kinder-Influencer. Das sind Kinder und Jugendliche, die selbst gedrehte, kurze Filme hochladen, in denen sie Spielzeug testen, turnen oder eben aufstehen. Zehntausende schauen zu, wie sie Geburtstage feiern, schwimmen gehen oder sich morgens die Zähne putzen.

Der Kinder-Kanal „Mileys Welt“ ist mit 880.000 Abonnenten der erfolgreichste der deutschen Szene. Die Eltern der zehnjährigen Miley aus Süddeutschland gaben schon vor zwei Jahren in einem Interview zu, ihre Jobs gekündigt zu haben, weil die Familie mittlerweile von den Einnahmen ihrer sogenannten „Family-Fun-Kanäle“ lebt. Damit stellen sie sicher eine Ausnahme dar, zeigen aber: Die Videos haben etwas, wofür Unternehmen viel Geld bezahlen – die Aufmerksamkeit der zuschauenden Kinder.

Wer sie als Konsumenten erreichen will, muss ins Internet. Knapp jedes fünfte Kind zwischen sechs und 13 Jahren konsumiert täglich Youtube-Videos, 35 Prozent mehrmals pro Woche, zeigt die Mediennutzungsstudie KIM. „Der Online-Werbemarkt ist groß und ständig im Wandel“, sagt Mieke Vochsen von der Düsseldorfer Agentur Crossmedia. Sie berät Unternehmen, wie sie ihre Produkte im Kinder- und Familienmarketing richtig platzieren. „Alle Jugendlichen sind bei Youtube. Wir gucken kein Fernsehen“, sagt auch Marina.

Wie viel sie verdienen, verrät die Familie nicht

Sie bewirbt auf ihrem Kanal ebenfalls Produkte, hat mittlerweile ihre eigene Marke für nachhaltige Reitmode. Es gibt Reitleggins für 95 Euro, Socken für 15, ein T-Shirt für 25.Um den Online-Shop kümmert sich ihr Bruder Robin. Er ist 24, studiert Marketing und digitale Medien. „Marina und meine andere Schwester Julia testen die Produkte, ich verwalte die Bestellungen, unsere Eltern helfen beim Verpacken.“ Aus Marinas Kanal ist ein Familienunternehmen geworden.

Anders als viele Influencer sind sie nicht bei einer Werbeagentur unter Vertrag. Produkte anderer Marken wie Pferdefutter werden auf dem Kanal nur beworben, wenn sie Marina wirklich gefallen, sagt sie. Wie viel Geld sie mit den Werbekooperationen verdienen, verraten die Geschwister nicht. Der Lohn hänge von der Art der Präsentation ab.

Die Familien, die tausenden Zuschauern digital die Haustür öffnen, sind verschwiegen. Die meisten Kanäle und Werbeagenturen antworten erst gar nicht auf eine Interviewanfrage. Auch die Mutter von „Mavie Noelle“ aus Köln, 12 Jahre alt, 555.000 Abonnenten bei Youtube, 246.000 bei Instagram, lehnt ein Gespräch ab. Ihre Begründung: Man wolle in einem Zeitungsartikel nicht gemeinsam mit kommerziellen Kanälen genannt werden. Youtube sei für Mavie „einfach nur ein Hobby“. Trotzdem können Fans Mavies Produkte kaufen: ein T-Shirt, auf dem „Totally Mavie“ steht, oder einen Kalender, der jeden Monat ein anderes Foto des Mädchens zeigt. Bei geschickter Vermarktung könne man mit einem Youtube-Kanal mit 50.000 Abonnenten monatlich einen Umsatz zwischen 10.000 und 20.000 Euro generieren, behauptet der Youtube-Experte Oguz Yilmaz, einst selbst Influencer auf der Plattform.

Gedreht wird ohne Auflagen, ganz nebenbei

„Bei finanziellen Interessen verschwimmt die Grenze zwischen Hobby und Arbeit“, sagt Sophie Pohle vom Deutschen Kinderhilfswerk. Kinderarbeit ist in Deutschland verboten. Eltern, die mit den Aufnahmen ihrer Kinder Geld verdienen, müssen beim Gewerbeaufsichtsamt eigentlich eine Arbeitserlaubnis beantragen und dabei Auflagen wie bei Fernseh- oder Werbedrehs befolgen. Schule, Kinderarzt und Jugendamt müssen einwilligen, Schutzmaßnahmen und Ruhepausen an Drehtagen sind Pflicht. Nach Pohles Erfahrung geschieht das nur selten, denn viele sehen die Youtube-Aktivitäten ihres Nachwuchses wie Mavies Mutter: als Hobby. Es gibt keine „Drehtage“ an einem Set. Das Set ist das Wohnzimmer, gedreht wird vermeintlicher Alltag, ganz nebenbei.

Anders als die meisten Youtuber hat Marina keinen festen Wochentag, an dem ein neues Video erscheint. „Wir wollten keinen Druck aufbauen“, sagt ihr Bruder Robin. Ein bis zwei Videos gibt es jede Woche. Rechnet man Vor- und Nachbearbeitung zusammen, sitzen die beiden schon einmal bis zu sechs Stunden an einem Film. Manchmal sei es schon ein bisschen stressig, gibt Marina zu, aber sie mache das gerne. Und ihre Mama sage immer: Sie könne jederzeit aufhören.

Ein privater Rückzugsort wird öffentlich

Pohle bezweifelt das. „Kinder sind auf die Zuwendung und Anerkennung ihrer Eltern angewiesen – diese sollte nicht an finanzielle Interessen geknüpft werden.“ Sie beschäftigt sich schon lange mit Kinderrechten in der digitalen Welt. „Ich will den Kindern nicht den Spaß an den Videos absprechen, aber wir müssen uns fragen: Was bedeutet es, wenn Hunderttausende oder gar Millionen Menschen das Kinderzimmer sehen?“ Ein privater Rückzugsort wird öffentlich und lässt sich kaum wieder verschließen. Das Internet hat ein gutes Gedächtnis und manche Bilder sind den Kindern in naher Zukunft vielleicht peinlich. Bislang fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse, welche Auswirkungen eine digitale Öffentlichkeit auf die kindliche Entwicklung haben kann.

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Pohle vergleicht die Kinder-Influencer mit Kinderstars aus Filmen. „So eine hohe Aufmerksamkeit führt immer zu Druck.“ Ständig etwas neues Kreatives erschaffen, um die Klickzahlen hochzuhalten. Negative und anzügliche Kommentare weglächeln. Das Familienunternehmen nicht hängen lassen. „Ich unterstelle den Eltern keine böse Absicht, vielmehr fehlt es ihnen oft an Informationen“, sagt die Kinderrechtlerin, die auch die Plattformen, den Gesetzgeber und die werbenden Unternehmen in der Verantwortung sieht, die Rechte der Kinder zu wahren. Das Recht auf Privatsphäre, Erholung – und auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung.