- Viele Eltern kommen in der Corona-Krise an ihre Grenzen. Homeoffice und Kinderbetreuung oder nicht zur Arbeit können, um die Kinder nicht allein zu Hause zu lassen – für viele ist das derzeit Alltag.
- Als vergangene Woche der Beschluss des NRW-Kabinetts zur Öffnung der Kindertagesstätten öffentlich wurde, war die Enttäuschung groß.
- „Das macht uns wütend. Die Kinder werden komplett vergessen, und die Eltern hängen mit dran“, sagt Cara Graafen, Vorsitzende des Landeselternbeirats (LEB). Deshalb hat der Beirat einen Brief an Ministerpräsident Armin Laschet geschrieben.
Köln – Es ist ein Brief voller Enttäuschung. Ein Brief mit vielen rhetorischen Fragen – aber auch vielen, die offenbleiben. Ein Wutbrief kann man sagen, verfasst von Eltern aus Nordrhein-Westfalen an Ministerpräsident Armin Laschet. Das Schreiben sei provokant formuliert, keine Frage, sagt Cara Graafen, Vorsitzende des Landeselternbeirats (LEB).
Der hatte die Botschaft am Sonntag, am Muttertag, stellvertretend für mehr als 60 Elternbeiräte veröffentlicht. Darin heißt es etwa: „Die Kinder dürfen wieder auf Spielplätze, und wir Eltern dürfen nun gegenseitig die Kinder bis September betreuen? Vielen Dank für die schallende Ohrfeige.“
Eltern müssen Kinder weiter zu Hause betreuen
Die empörten Zeilen sind eine direkte Antwort auf den Beschluss des NRW-Kabinetts aus der vergangenen Woche, die Kindertagesstätten für den Großteil der Kinder erst im Juni wieder zu öffnen. So hatte Familienminister Joachim Stamp (FDP) am Freitag in Düsseldorf bekanntgegeben, dass zunächst nur Kinder mit besonderem Förderbedarf oder Behinderung wieder in den Einrichtungen betreut werden. Ende Mai folgen die Vorschulkinder. Im Juni erst alle anderen. Stand jetzt allerdings nur für zwei Tage. Nicht pro Woche, sondern insgesamt. Eine Alternative zur Betreuung durch die Eltern zu Hause gibt es also erst mal nicht.
Dem LEB zufolge betrifft die unveränderte Situation etwa 350000 Kinder. Die Eltern bekämen Druck vom Arbeitgeber, sagt Vorsitzende Graafen, hätten aber gleichzeitig keinen Anspruch auf Notbetreuung. „Uns erreichen täglich Anrufe von Eltern, die weinen.“ Ihre Forderung: Es soll eine Lösung her, die für alle gilt. „Jedes Kind hat es verdient, in die Kita zu gehen – wenn auch nur stunden- oder tageweise. Dann wären die Kinder wenigstens gleichbehandelt. Ob die Eltern die Kinder dann in die Betreuung geben, kann jeder selber entscheiden.“
„Kinder werden komplett vergessen“
Für Einzelhandel, Gastronomie oder Schulen gebe es nun Reglungen und Lösungen. Nur Kindergartenkinder müssen weiterhin zu Hause bleiben. „Das macht uns wütend. Die Kinder werden komplett vergessen, und die Eltern hängen mit dran“, sagt Graafen.
Aus dem Familienministerium hieß es am Dienstag auf Anfrage dieser Zeitung, man sei sich bewusst, dass die Corona-Pandemie besonders für Eltern mit jüngeren Kindern „eine enorme Belastung“ sei. Dennoch müsste aus Gründen des Infektionsschutzes die Gruppengröße zunächst beschränkt werden. Das Abstandsgebot sei sonst kaum einzuhalten, weil kleine Kinder körperliche Nähe und Unterstützung bräuchten. Für ausreichend kleine Gruppen mangele es allerdings an Fachpersonal, mehr als 20 Prozent gehörten zur Risikogruppe.
„Ein Verlust an Bildungschancen“
„Für mich ist klar, dass jeder Tag, den ein Kind nicht in Kita oder Kindertagespflege gehen kann, auch ein Verlust an Bildungschancen ist“, schrieb Familienminister Stamp dieser Redaktion. „Darum werden wir so schnell wie möglich und verantwortbar allen Kindern wieder ein Angebot machen.“
Ob mehr als die von ihm angekündigten zwei Tage im Juni möglich sein werden, hänge vor allem von der Frage ab, ob auch wieder größere Gruppen gebildet werden könnten. Dass die Kinder überhaupt noch einmal, für ebenjene zwei Tage, in die Kitas kommen dürfen, ist ohnehin kein Plan, der vorrangig Eltern entlasten soll. Laut Stamp sei es vor allem eine Möglichkeit für die Kinder, Abschied zu nehmen, Freunde, Erzieherinnen und Erzieher noch einmal vor der Sommerpause zu sehen.
„Diese einzelnen zwei Tage kann man sich auch gleich schenken“, sagt Iris Krampitz, Mutter der dreijährigen Zora, „Das bringt weder den Kindern, noch Eltern oder Betreuern etwas.“ Weil die Kinder dann sowieso in gemischte Kleingruppen gesteckt würden, sei unklar, ob sie ihre Freunde und Erzieher überhaupt sehen werden. Eine „Verabschiedung“, glaubt Krampitz, sei deshalb wahrscheinlich nicht möglich.
Forderung nach Corona-Elterngeld
Bereits vor zwei Wochen hatte Iris Krampitz im „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein „Corona-Elterngeld plus“ gefordert, das finanzielle Verluste von Eltern im Homeoffice ausgleicht, damit mehr Zeit für eine richtige Kinderbetreuung bleibt. „Wer glaubt, man könne Vollzeit von zu Hause arbeiten und gleichzeitig kleine Kinder betreuen, hat das noch nicht ausprobiert“, sagt die 46-Jährige.
Sowohl Stamp als auch Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann setzen sich laut Familienministerium zumindest beim Bund dafür ein, dass ein Verdienstausfall von Eltern aufgrund von notwendiger Betreuung weiterhin geltend gemacht werden kann. Eine Art Bonus für die Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, ist aber offenbar nicht geplant.
„Wie ein Päckchen an der Türe abgeben“
Krampitz hat Glück. Der Beruf ihres Mannes wurde kürzlich als systemrelevant eingestuft. Am Dienstag war die Dreijährige zum ersten Mal für zwei Stunden in der Notbetreuung. „Ein merkwürdiges Gefühl – ich musste sie wie ein Päckchen an der Türe abgeben, weil für mich das Betretungsverbot weiter gilt.“
Dennoch, sagt Krampitz, bleibe sie dabei: Kinderbetreuung sollte gleichberechtigt geregelt werden. Die derzeitigen Vorschriften kämen ihr oft beinahe willkürlich vor und nicht fair. „Obwohl ich der Hauptverdiener in der Familie bin, hätten wir durch mich keinen Anspruch auf Notbetreuung. Das trifft auch andere Familien.“
Das könnte Sie auch interessieren:
Auch diejenigen, bei denen die Kinder bereits älter sind und in die Schule gehen. Die sind mittlerweile zwar teilweise wieder geöffnet. So hatte die Landesregierung am Montag an allen Grundschulen und für alle Jahrgänge den Unterricht wieder aufnehmen lassen, weil dort keine Prüfungen abgelegt werden, die Personal und Räumlichkeiten binden. Allerdings rotieren die meisten Grundschulen zwischen den Stufen, nur eine kommt pro Tag dran. Bei weitem nicht jeder Grundschüler hat also täglich Schule.
„Wie eine Mitarbeiterin zweiter Wahl“
Mütter wie Stephanie Wirtz aus Bergheim stellt das vor große Herausforderungen. Sie hat eine sieben Jahre alte Tochter und arbeitet Teilzeit in einem Einrichtungshaus. Kein systemrelevanter Job, also auch kein Anspruch auf Notbetreuung. Wenn nicht die Schwiegermutter im Haus wohnen würde und tageweise einspränge, könnte sie gar nicht arbeiten gehen, erzählt Wirtz. Ohnehin komme sie aber im Moment nicht auf ihre Stunden. Die 42-Jährige fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. „Vor der deutschen Regierung komme ich mir als Frau in Teilzeit als Mitarbeiterin zweiter Wahl vor. Man soll berufstätig sein, ich will und ich muss auch arbeiten, sonst reicht die Rente nicht. Doch das Betreuungsangebot dafür fehlt generell.“
Gregor Steffen, Vater von drei schulpflichtigen Kindern, sieht unterdessen vor allem die Bildungschancen der Jugendlichen gefährdet. „Es kommt bei dem Thema »Schulen werden wieder geöffnet« nun oft so rüber, als laufe alles wieder im Normalbetrieb“, sagt Steffen. „Doch das ist bei weitem nicht so. Es gibt nur eine minimale Unterrichtsabdeckung.“ Wenn die Regeln, nach denen die Schulen nun geöffnet wurden, auch nach den Sommerferien weiter gelten, glaubt Steffen, führt das zu einer deutlichen Verschlechterung der Chancen für die weniger leistungsfähigen Schüler. Er wünscht sich strukturierte und nachvollziehbare Entscheidungen für einen geregelten Betrieb. Alleine ist er damit nicht.