Klage gegen KündigungSind Ausgetretene Kirchenfeinde?
Kann ein Arbeitgeber kündigen, weil die Arbeitnehmerin aus der Kirche ausgetreten ist? Mit dieser Frage wird sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 21. Juli befassen.
Der Fall, um den es geht, ist schnell erzählt. Eine 1972 geborene Katholikin aus NRW – nennen wir sie Christine K. – war von 1994 bis 2014 als Hebamme in einem Krankenhaus des Caritasverbands beschäftigt. 2014 machte sie sich selbstständig. In dieser Zeit ärgerte sich Christine K. derart über die Missbrauchsskandale in ihrer Kirche, dass sie austrat.
2019 beschloss sie, ihre Selbstständigkeit wieder aufzugeben, und bewarb sich bei ihrem früheren Arbeitgeber. Im Einstellungsgespräch war die Konfession kein Thema. K. bekam den vom Krankenhaus schon unterzeichneten Arbeitsvertrag zugeschickt, unterschrieb ihn ebenfalls und gab ihn in der Personalabteilung ab, nebst einem Personalfragebogen, in den sie wahrheitsgemäß eingetragen hatte, dass sie aus der Kirche ausgetreten war.
Austritt gilt als Loyalitätsverstoß
Im Arbeitsvertrag ist – wie in katholisch geführten Einrichtungen üblich – die Geltung der sogenannten Grundordnung vereinbart. Danach müssen Mitarbeitende zwar nicht zwingend katholisch sein. Bei katholischen Beschäftigten wertet die Grundordnung den Kirchenaustritt jedoch als schwerwiegenden Verstoß gegen die Loyalitätspflichten.
Nachdem Christine K. die Arbeit aufgenommen hatte, fiel ihrem Arbeitgeber auf, dass sie nicht mehr katholisch war. Der Personalleiter drohte ihr die Kündigung an für den Fall, dass sie nicht wieder in die Kirche eintrete. K. wies darauf hin, dass im Krankenhaus auch konfessionslose Hebammen beschäftigt seien. Außerdem sei sie nach wie vor gläubig und werde wieder eintreten, wenn endlich die Missbrauchstäter bestraft würden. Der Krankenhauspfarrer, der ein langes Gespräch mit ihr hatte, erklärte dem Arbeitgeber, Christine K. sei eine religiös geprägte Mitarbeiterin; es wäre schade, sie zu verlieren. Gleichwohl kündigte das Krankenhaus zum 31. August 2019.
Kirchen beschäftigen 1,8 Millionen Menschen
Wer glaubt, solche kircheninternen Angelegenheiten seien nicht von großer Bedeutung, der irrt. Die Kirchen sind in Deutschland – nach dem öffentlichen Dienst – die größten Arbeitgeber. Sie beschäftigen rund 1,8 Millionen Menschen, mehr als doppelt so viel wie die Automobilbranche.
Christine K. zog gegen ihre Kündigung vor das Arbeitsgericht. In erster Instanz hatte sie Erfolg. Vor dem Landesarbeitsgericht, der zweiten Instanz, gewann aber der Arbeitgeber. Begründung: Als Einrichtung der katholischen Kirche könne das Krankenhaus auch die kirchlichen Sonderrechte in Anspruch nehmen, die vom Bundesverfassungsgericht festgeschrieben seien.
Atheisten nur gleichgültig, nicht kirchenfeindlich
Zwar sei die Kündigung an sich ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, weil Christine K. wegen ihrer religiösen Einstellung schlechter behandelt werde als ihre Kolleginnen, die nie einer christlichen Kirche angehört hätten. Das sei aber gerechtfertigt. Atheistinnen seien nicht kirchenfeindlich, sondern nur gleichgültig. Wer aus der Kirche austrete, verhalte sich dagegen kirchenfeindlich.
Bei K. bestehe deshalb die Gefahr, dass sie die Kirche vor Patientinnen und Patienten schlechtmache. Dass das Krankenhaus selektiv auf die religiöse Einstellung achte, sei nicht zu beanstanden. Es sei vielmehr Sache der Kirchen – und damit nicht der Gerichte – festzulegen, für welche Tätigkeiten eine besondere Bindung zur Kirche notwendig sei.
Ein alter, fast schon fauler Zankapfel
Wie das oberste deutsche Arbeitsgericht die Sache sehen wird, ist schwer vorherzusagen. Das kirchliche Kündigungsrecht bei sogenannten Loyalitätsverstößen ist jedenfalls ein ziemlich alter (fast schon fauler) juristischer Zankapfel zwischen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dem Bundesarbeitsgericht (BAG) einerseits, die beide den Sonderrechten der Kirchen gewisse Grenzen setzen, und dem Bundesverfassungsgericht andererseits, das sehr kirchenfreundlich agiert.
Ohne sich vom europäischen Recht stören zu lassen, will es den Kirchen selbst überlassen, von wem sie welche Loyalität verlangen. 2018 ging das so weit, dass ein eigentlich zur Unbefangenheit verpflichteter Verfassungsrichter in einem Kongressvortrag die Kirche ermunterte, die von BAG und EuGH begangenen Übergriffe nicht defaitistisch hinzunehmen, sondern sich (in Karlsruhe) zu verteidigen. In der katholischen Kirche selbst, deren Mitglied ich übrigens bin, tobt über das kirchliche Arbeitsrecht gleichfalls ein Richtungskampf.
Austritt mit IM-Tätigkeit für die Stasi verglichen
Eine der entscheidenden rechtlichen Fragen wird wohl sein, ob die ausgetretene ehemalige Katholikin schlechter behandelt werden darf als ihre Kollegin, die nie Mitglied der Kirche war. Aber sicher doch, sagt der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing und stellt die Hebamme auf eine Stufe mit gekündigten Stasi-Mitarbeitern, die sich zu Unrecht auf Altersdiskriminierung beriefen, weil sie – wenn sie nur später geboren worden wären – erst gar nicht IM hätten werden können. Dieser Vergleich ist absurd.
Dass Atheisten niemals Feinde der Kirche sein könnten, während dies bei Ausgetretenen immer der Fall sei, ist durch nichts belegt. Und wieso die Arbeit einer Hebamme überhaupt irgendwie glaubensrelevant sein sollte, leuchtet auch nicht wirklich ein. Es gibt keine katholische Geburtshilfe.
Untersuchung auf Jungfräulichkeit
Das sieht die katholische Kirche selbst so: Seit dem 18. Jahrhundert erlaubt sie katholischen Frauen, nicht-katholische Hebammen zu Hilfe zu rufen. Und selbstverständlich bieten katholische Fachhochschulen Hebammenstudiengänge für nicht-katholische Bewerberinnen an. Dass Hebammen in kirchlichen Ehenichtigkeitsprozessen Frauen auf ihre Jungfräulichkeit zu untersuchen hatten, ist zum Glück auch längst Geschichte.
Sollte das Bundesarbeitsgericht Christine K. Recht geben, könnte das Bundesverfassungsgericht der katholischen Kirche, wie schon so oft, aus ihren Rechtsnöten helfen – entgegen dem, was das europäische Recht fordert. Vielen katholischen Arbeitgebern ist allerdings inzwischen klar, was eigentlich auch Inhalt des Kirchenrechts ist: dass niemand zum Glauben gezwungen werden darf. Oder will die Kirche etwa sagen, am Ende sei es ihr egal, ob jemand glaubt, Hauptsache, er tut so, bleibt Mitglied – und zahlt?“
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Dass die Kirche überdies allen Grund zur Demut hat, liegt auf der Hand: Es mutet nicht eben sonderlich glaubwürdig an, eine offenbar tief religiöse Frau aus den Diensten der Kirche entfernt entfernen zu wollen, weil sie sich über die Missbrauchsfälle mit ihr entzweit hat, während gleichzeitig fast im Wochenrhythmus neue Skandale ans Licht kommen, nicht umfassend geahndet werden und die Entschädigung der Opfer weit hinter deren Ansprüchen zurückbleibt.
Aktenzeichen: 2 AZR 130/21
Christoph Schmitz-Scholemann war bis 2014 Richter am Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Er sitzt im Beirat des Instituts für Weltanschauungsrecht der Giordano-Bruno-Stiftung.