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„Frei von Angst“Bischöfe setzen Teile des kirchlichen Arbeitsrechts außer Kraft

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Die Regenbogenflagge, Symbol der LSGBTIQ+-Bewegung

Köln/Aachen – Es ist ein bisschen so, als nähmen die 27 katholischen Bischöfe gerade an einer Castingshow teil: DSDS – Deutschland sucht den Superreformer. Das kirchliche Arbeitsrecht bietet für diesen sehr speziellen Wettbewerb willkommene Gelegenheit.Änderungen sind allein Sache der deutschen Kirche, der Vatikan ist nicht involviert. Und: Manche Bestimmungen der sogenannten Grundordnung, die unter anderem die Loyalitätsverpflichtungen kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestimmt, gelten Kritikern schon lange als dringend überholungsbedürftig. Auch nach einer ersten Revision der Grundordnung im Jahr 2015 drohen kirchlich Beschäftigten immer noch arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung, wenn sie als Geschiedene ein zweites Mal standesamtlich heiraten oder als Homosexuelle die Ehe schließen.

„Wer in der Kirche arbeitet, muss frei sein von Angst“

In mehreren deutschen Bistümern soll damit Schluss sein – und zwar nicht erst nach einer gemeinsam beschlossenen Reform, sondern ab sofort. Am Dienstag gab das Bistum Aachen eine entsprechende Selbstverpflichtung ab. „Jeder, der für und in der Kirche arbeitet, muss frei und ohne Angst über sich und seine Person sprechen können, ohne befürchten zu müssen, dass er deswegen eine Kündigung erhält“, sagte Vize-Generalvikar Rolf-Peter Cremer dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Eben diese Parole hatte Bischof Helmut Dieser erst vor drei Wochen anlässlich der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ ausgegeben. In dem eindrucksvollen Film bekannten sich mehr als 100 Menschen aus dem Raum der katholischen Kirche als schwul, lesbisch, queer – und sie schilderten erschütternde Erfahrungen von erzwungener Heimlichtuerei oder einem eiskalten Exerzieren des Arbeitsrechts.

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110.000 Unterstützer der Aktion #outinchurch

Solche Formen innerkirchlicher Diskriminierungen prangert auch die zeitgleich gestartete Aktion #outinchurch an, der sich auf der Petitionsplattform change.org unterdessen mehr als 110.000 Unterstützende mit ihrer Unterschrift angeschlossen haben.

Ein großes Thema waren Film und Initiative auch auf der dritten Plenartagung des Reformprozesses „Synodaler Weg“ vom 3. bis 5. Februar in Frankfurt. Ein Antrag zur Änderung der Grundordnung fand in erster Lesung eine überwältigende Mehrheit von 181 der 205 Synodalen (93,3 Prozent). Bei nur 13 Nein-Stimmen hätte der Vorstoß auch die Hürde der Ein-Drittel-Sperrminorität genommen, die sich die Bischöfe im Statut gesichert haben.

Reformer drücken aufs Tempo

Der Synodale Christian Gärtner vom Eichstätter Diözesanrat drückte in Frankfurt zusätzlich aufs Tempo: Er appellierte an die Bischöfe, erst gar nicht auf eine Beschlussfassung in zweiter Lesung zu warten, sondern die einschlägigen Passagen der Grundordnung zur Lebensführung von sich aus außer Kraft zu setzen.

Schon eine Woche danach machte der Würzburger Bischof Franz Jung den Anfang und gab schriftlich unter seinem Bischofswappen eine Selbstverpflichtung ab (Meldung des Bistums hier). Das ließ umso mehr aufmerken, als Jung noch im Januar, nach Ausstrahlung der ARD-Doku, schnelle Reformen bezweifelt und auf „unendlich komplizierte Diskussionen“ verwiesen hatte. Denen machte er nun buchstäblich mit einem Federstrich, seiner Unterschrift, ein Ende.

Essener Bischof Hauptakteur beim „Synodalen Weg“

Wenige Tage später folgten der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, einer der Hauptakteure auf dem „Synodalen Weg“, das Bistum Osnabrück und nun eben auch das Bistum Aachen. . „Wir wissen von vielen Leidenserfahrungen von Mitarbeitenden, die in der Vergangenheit und teilweise noch bis heute unter hohem Druck standen und stehen, wenn sie in ihrem privaten Leben die Ansprüche der kirchlichen Sexual- und Beziehungsmoral nicht erfüllen konnten oder wollten“, schrieben Overbeck und sein Generalvikar Klaus Pfeffer den 3800 Beschäftigten in der Bistumsverwaltung, in den Pfarreien, den bischöflichen Schulen und Bildungseinrichtungen sowie den Religionslehrkräften an staatlichen Schulen.

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Es sei an der Zeit, eine „Kultur der Angst“ und den Zwang zu „unwürdigen Lebensweisen“ zu beenden. „Unsere Kirche hat hier menschliches Leid verursacht und Schuld auf sich geladen.“ Als Konsequenz gelte daher fortan, dass „die sexuelle Orientierung, das Eingehen einer zivilen gleichgeschlechtlichen Ehe oder einer zivilen Wiederheirat bei bestehender kirchenrechtlich gültig geschlossener Erst-Ehe keine arbeitsrechtliche Sanktion nach sich ziehen darf“.

Selbstverpflichtung auch des Bistums Aachen

Die Erklärungen aus Würzburg, Osnabrück und Aachen sind – in Teilen wörtlich – gleichlautend. So sichert das Bistum Aachen zu, dass es „bereits jetzt“ auf die Anwendung der Grundordnung in den einschlägigen Punkten zur Lebensführung „für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verzichtet“.

Darüber hinaus fordern elf Generalvikare – unter anderem aus den NRW-Bistümern Essen, Münster und Paderborn – in einem gemeinsamen Brief an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, „kurzfristig eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechtes herbeizuführen und auf alle Bezüge auf die persönliche Lebensführung in der derzeit geltenden Grundordnung zu verzichten“. Auch hiervon sollen die sogenannten verkündigungsnahen Berufe, für pastorale Mitarbeitende oder Religionslehrkräfte, ausdrücklich miterfasst sein.

Im Erzbistum Köln fehlt derzeit der Erzbischof

Und das Erzbistum Köln? Hier gibt es bekanntlich aufgrund von Kardinal Rainer Woelkis Beurlaubung derzeit keinen Erzbischof und keinen Generalvikar, sondern nur den vom Papst bestellten Bistumsverwalter Rolf Steinhäuser und seinen „Delegaten“, Woelkis Generalvikar Markus Hofmann. Steinhäuser darf nichts entscheiden, was im Fall von Woelkis Rückkehr an Aschermittwoch (2. März) dessen weitere Amtsführung tangieren würde.

Eine Anfrage zu Steinhäusers Position in dieser Frage ließ das Erzbistum am Dienstag unbeantwortet. Zuletzt hatte es auf die Reformdebatten des Synodalen Wegs verwiesen, in die das Erzbistum sich „konstruktiv“ einbringen wolle.