Die Schriftstellerin Husch Josten muss feststellen, dass der Einsatz für Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche „ein Kampf gegen Windmühlen“ ist.
KolumneSchriftstellerin Husch Josten sucht empörte Juristen

Dunkle Wolken ziehen über das Kreuz auf einer Kirche hinweg (Symbolbild)
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Frühling! Zeit des Erwachens! Der viel besungene Wecker, der die Menschen aus dem Winterschlaf reißt und mit Tatendrang, Liebe und frischer Glückseligkeit erfüllt. In diesem Frühjahr 2025 braucht es für den Tatendrang allerdings weder Krokusse noch Narzissen, auch kein konkretes Datum, sondern bloß die täglichen Nachrichten. Ein paar alte Männer gehen seit Jahresbeginn sehr vielen Menschen dermaßen auf den Wecker, dass weltweit nicht nur alle sehr wach sind, sondern auch vieles in Bewegung ist – Schlechtes wie Gutes.

Husch Josten
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Fremdschämen für die Tobenden auf der weltpolitischen Bühne gehört inzwischen so selbstverständlich zum Nachrichtenkonsum wie der Pollenflug zur Birkenblüte. Auch stellvertretende Empörung flackert regelmäßig auf, um so schnell unterzugehen wie die Märzsonne: Was soll man machen? Zumal stellvertretende Empörung überambitioniert sein kann, etwa wenn Menschen für andere aufbegehren, die selbst, obwohl es sie betrifft, in ihrer Opposition nicht in die Gänge kommen.
Wahrlich, in diesem Frühling ist viel los, fast verliert man den Überblick – und dabei auch Unfassliches in anderen Bereichen aus den Augen. Neulich Abend in der Kölner Karl-Rahner-Akademie zum Beispiel. Auf dem Podium saß zusammen mit Moderator Joachim Frank vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Frau, die sich – ähnlich wie er – seit 15 Jahren und länger mit den sogenannten Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche beschäftigt. Schon das Wort ist so furchtbar wie falsch, suggeriert es doch, es gäbe einen richtigen, gar guten Gebrauch von Menschen. Richtig erscheint statt Missbrauch ein anderes Wort: Verbrechen.
Die Frau auf dem Podium beschäftigt sich jedenfalls schon sehr lange und vor allem sehr gewissenhaft mit diesen unzähligen Verbrechen: Vergewaltigungen, Folter, körperlicher und seelischer Gewalt, Mitwissen, Beihilfe, Vertuschung. Sie hat dafür Preise erhalten und ist andererseits verunglimpft worden als frustrierte, verbiesterte Zicke mit irgendeiner eigenen Agenda, wobei niemand je benennen konnte, was für eine Agenda das eigentlich sein soll.
Sagen, was ist
Tatsächlich tut Christiane Florin seit Jahren nur, was gute Journalistinnen und Journalisten tun: Sagen, was ist. Weil sie es für wichtig und richtig halten, zu informieren und Unrecht aufzuzeigen. Und weil sie finden, dass der katholischen Kirche aufgrund ihres Anspruchs der Nächstenliebe und demzufolge ihrer Fallhöhe in Fragen der Moral und Menschlichkeit besonderes Augenmerk gelten muss.
Wie sehr sie die Ignoranz empöre, die den Opfern immer noch entgegenschlage, wurde Florin gegen Ende des Abends gefragt. Florin hat gerade das Buch „Keinzelfall“ veröffentlicht über Heinz, der in einem Heim der Caritas aufwuchs und dort schwer misshandelt und sexuell missbraucht wurde. „Ach“, antwortete Florin, „voller Empörung zu schreiben, bringt nichts. Ich stelle die Fakten, die ich recherchiert habe, dem gegenüber, was mir die zuständigen kirchlichen Stellen dazu sagen.“ Die Antworten seien eine ethische Selbstdemontage. Die immer gleichen Ausflüchte, Plattitüden, Lügen – immer neue Verletzungen für die Opfer.
Stellvertretende Empörung
Da regte sich hörbar im Publikum die stellvertretende Empörung, die so wichtig werden kann, wenn Betroffene oder deren Fürsprecher sich nicht mehr aufbäumen können. Weil sie dazu keine Kraft mehr haben. Weil ihre Fragen und ihr Widerspruch an den Adressaten abprallt. Weil sie mürbe geworden sind vom Kampf gegen Windmühlen. Diese Empörung, die so menschlich wie mitfühlend ist, aber im Publikum leider gar nichts bringt.
Die PR-Strategie der Kirche geht ganz wunderbar auf. Sie verteidigt die Bigotterie ihres Systems auch mit allerlei juristischen Winkelzügen. Zum einen, weil das Thema für sie ein jahrhundertealter Hut ist und sie routiniert ist im Vertuschen. Zum zweiten denkt die Kirche für die Ewigkeit statt in der Gegenwart. Da lässt sie sich auch von zahllosen Kirchenaustritten in Westeuropa nicht beirren. Im Gegenteil: Es ist das Ziel selbstüberzeugter Traditionalisten, dass die „wahren Gläubigen“ bleiben, nicht irgendwelche „liberal“ Verirrten, die nur Unruhe stiften und statt der Institution den Menschen in den Vordergrund stellen. Die Kirche wartet, bis die alle dermaßen die Nase voll haben, dass sie sich erschöpft abwenden.
Weltliches und kirchliches Recht wird - wo es geht - gebogen, missachtet oder ganz ignoriert.
Drittens schließlich – und am gefährlichsten: Vertreter der Amtskirche haben über Jahrhunderte ein solch felsenfestes Konstrukt an Rechtfertigungen und institutionellen Besonderheiten für sich erdacht, dass sie inzwischen selbst daran glauben. Ein Phänomen, das fatal an die Parallelwelten erinnert, in denen sich auch einige Politiker tummeln. Weltliches und kirchliches Recht wird – wo es geht – gebogen, missachtet oder ganz ignoriert. Wahrheit wird zur elastischen Möglichkeit, wo die Kirche in Zeiten wie diesen doch das Gegenteil sein müsste: ein glaubwürdiger, Mensch und Gerechtigkeit achtender Fels in der Brandung. Aber gegen Kardinal Rainer Woelki wird wegen Meineids ermittelt – und gleichzeitig zieht der Erzbischof zur Vermeidung einer Aussage in einem Presserechtsstreit Register, die „die Rechtskultur innerhalb der katholischen Kirche abermals in einem zweifelhaften Licht erscheinen lässt“, wie die FAZ schrieb.
Was tun mit einer Menge alter Männer, die Pipi Langstrumpf spielen und sich die Welt machen, wie sie ihnen gefällt, ohne Rücksicht auf Verluste? Ach, es wäre so richtig Frühling, wenn sich die stellvertretende Empörung über ihr Gebaren nicht nur in einem Akademie-Publikum, sondern unter denen entfachte, die die Mittel und die Macht haben, an Machtmissbrauch und Missständen wirklich etwas zu ändern. Es ist seit Jahren offensichtlich, dass all die runden Tische und die vermeintliche Aufarbeitung der Kirche selbst allenfalls halbgare Ergebnisse zeitigen. Die Institution, die für all das Leid verantwortlich ist, kann nicht und konnte nie Richter im eigenen Strafprozess sein.
Es braucht eine beherzte und ja, warum nicht: hochempörte Staatsanwaltschaft mit frühlingshaftem Tatendrang, um die Dinge endlich in Bewegung zu bringen und dem weltlichen Recht in einer vor weltlichen Abgründen nicht gefeiten Kirche uneingeschränkt zur Geltung zu verhelfen. Das System dieser Kirche, Strafverfolgungsbehörden möglichst außen vor zu halten, Betroffene davon abzuhalten, Anzeige zu erstatten, und Verfahren zu verschleppen, ist so alt wie effektiv. Aber es muss doch Juristen geben, die dagegen in buchstäblich letzter Minute entschlossen zu Felde ziehen wollen. Wo ist die Marion du Faouët oder der Robin Hood mit Staatsexamen?
Verjährung mag für die Kirche eine angenehme, juristisch einwandfreie Lösung sein. Für ihre Opfer, die es seit Jahrhunderten gibt, ist sie weder richtig noch gerecht. Und wo wir schon dabei sind: Ein paar Robin Hoods auf der Weltbühne könnten auch nicht schaden.