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Kommentar zu neuem Pflege-KonzeptWer den Schwächsten wieder auf die Beine hilft, muss belohnt werden

Lesezeit 2 Minuten
Eine Bewohnerin ist mit ihrem Rollator auf einem Flur in einem Alten- und Pflegeheim unterwegs, hinter ihr steht eine Pflegekraft.

Die therapeutisch-rehabilitative Pflege setzt vor allem auf Mobilisierung der Seniorinnen und Senioren.

„Pfleg die Oma ins Bett, damit du was verdienst!“ So lautete lange eine Forderung in der Altenpflege. Damit muss nun Schluss sein.

Die Problematik mit der Kette und der Stärke ihrer einzelnen Glieder ist ein gängiges Symbol für unsere Gesellschaft. Harvard-Professor John Rawls gründete auf dem Grundsatz, eine Kette sei nur so stark wie ihr schwächstes Glied, im Jahr 1971 gar seine ganze „Theorie der Gerechtigkeit“. Wer sich für das soziale Zusammenleben in einer Gruppe interessiert, der tut dieser Theorie zufolge nie das Falsche, wenn er die am meisten benachteiligten Teilnehmer in den Blick nimmt. Es gilt nicht nur, darauf zu achten, dass deren Lebenswirklichkeit annehmbar ist. Es gilt auch, ihnen bei der Verbesserung ihrer Situation zu helfen.

Wer gemäß dieser Gerechtigkeitsmaxime handeln will, der muss gerade Kranke und Alte besonders bedenken. Sie befinden sich unverschuldet in einer Situation, in der sie auf Hilfe anderer angewiesen sind. Krankenhäuser und Seniorenheime müssen dieser Regel zufolge besonders gut und liebevoll ausgestattete Orte sein, Pflegerinnen und Pfleger besonders gut bezahlte Arbeitskräfte. Die Aufgabe der Politik ist es, hier Rahmenbedingungen zu schaffen, die alte und kranke Menschen nicht zu lästigen Objekten machen, die bis zu ihrem Tod nur noch gewaschen und gewendet werden, sondern zu liebevoll Umsorgten, deren Selbständigkeit und damit Würde soweit irgend möglich wieder hergestellt wird.

Der Ansatz der therapeutisch-rehabilitativen Pflege, wie er erst bei der Evangelischen Altenhilfe in Mülheim und nun auch in zwölf weiteren Einrichtungen des Landes getestet wird, ist ein wichtiger Richtungswechsel. Er setzt auf die Verbesserung der Lebensqualität und rückt dadurch die Menschlichkeit in den Mittelpunkt. Alle bürokratischen Hürden, die einer derart menschenwürdigen Pflege derzeit im Wege stehen, müssen schnell und pragmatisch abgebaut werden. Das System der Pflege darf nicht länger diejenigen Einrichtungen bestrafen, die ihren Bewohnerinnen und Bewohnern zu mehr Selbständigkeit und Mobilität verhelfen.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Wer den Schwächsten der Gesellschaft wieder auf die Beine hilft, muss belohnt werden. Er stärkt damit die Gemeinschaft im Ganzen.