Altenpflege ist oft defizitorientiert. Es kann auch anders gehen. Ein Interview mit Matthias Mohrmann, AOK-Vorstand Rheinland/Hamburg.
Interview zur AltenpflegeSenioren aus den Betten pflegen, geht das?
Herr Mohrmann, wenn Seniorinnen und Senioren heute in ein Altenheim kommen, dann stehen oft die Zustandsverschlechterungen im Vordergrund: kann sich nicht mehr waschen, kein Essen mehr machen, nicht mehr alleine aufs Klo gehen. Nun setzt die rehabilitative Pflege auf Verbesserung. Wie kann das gehen?
Matthias Mohrmann: Indem sie die Frage stellt: Was kann der alte Mensch denn noch? Zudem soll die Mobilität viel stärker in den Blick genommen werden. Wir sind davon überzeugt, dass hier ein Schlüssel liegt. Wer mobil ist oder wieder mobiler wird, der kann sich auch besser selbst versorgen, dem fällt es leichter, soziale Kontakte zu pflegen, der ist psychisch stabiler. Das sind alles Faktoren, die sowohl Selbständigkeit als auch Lebensqualität verbessern.
Und am Ende Geld sparen, da selbständige Senioren ja weniger Pflegeleistung benötigen?
Auf längere Sicht rechnet sich das auch volkswirtschaftlich, ja. Allerdings bedarf es zu Beginn einiger Investitionen, um zusätzliche Therapieangebote zu schaffen. Derzeit ist die rehabilitative Pflege in der Regelversorgung nicht vorgesehen. Das liegt auch daran, wie die Finanzierung geregelt ist. Für die therapeutische Pflege investieren die Krankenkassen Geld, die Einsparungen haben aber die Pflegekassen und zum Teil auch die Sozialämter. Wir bräuchten also eine gesetzliche Regelung, dass derjenige, der investiert, auch den finanziellen Vorteil hat. Die Grenzen zwischen Kranken- und Pflegeversicherung müssen dazu verschoben werden.
40 Prozent weniger Krankenhausaufenthalte, wesentlich weniger Medikamente
Bevor Sie die Studie anstießen, an der nun elf Pflegeheime beteiligt sind, haben Sie ausrechnen lassen, wie wirtschaftlich erfolgreich die Vorreiter in Mülheim mit ihrem Konzept der rehabilitativen Pflege sind. Was kam dabei raus?
Wir haben die Ausgaben für die medizinische Versorgung der Bewohner in den Ruhrhäusern mit denen von 117 anderen Pflegeheimen im Bezirk Nordrhein verglichen. Das Ergebnis: Die beiden Heime der Evangelischen Altenhilfe Mülheim verursachten weniger Krankenhausaufenthalte und benötigten wesentlich weniger Medikamente. Hinzu kam, dass etwa zehn Prozent der Bewohner aus dem Heim wieder nach Hause ziehen konnten - und so auch Zuschüsse vom Sozialamt sparten. Gleichzeitig erfordert die therapeutische Pflege aber auch erhebliche Investitionen.
Könnte sich der Ansatz aus dem Haus Ruhrgarten in Mülheim auch in der Personalgewinnung bemerkbar machen?
Das glaube ich sicher. Wenn sich Pflegekräfte aus Zeitnot darauf beschränken müssen, den Senior oder die Seniorin satt und sauber zu bekommen, dann frustriert das auf Dauer. Wer aber miterleben darf, wie die alten Menschen wieder mehr Beweglichkeit und mehr Selbständigkeit erlangen, der nimmt den Erfolg seiner Arbeit wahr. Das wiederum führt zu Zufriedenheit, zu weniger Fluktuation, weniger Burnout, weniger Krankenscheinen.
Wie hoch schätzen die Wahrscheinlichkeit ein, dass der Gesetzgeber am Ende das Modellprojekt in die Regelversorgung überführt?
Ich habe da schon Hoffnung. Der Weg scheint ja gerade in Anbetracht der Tatsache, dass wir immer mehr Pflegebedürftige und immer weniger Personal haben, der richtige zu sein. Allerdings wird es bis zur Umsetzung noch mindestens bis 2027 dauern. Das zeigt auch die Erfahrung mit anderen Ideen, die vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert wurden. Der Transfer gelingt da bislang nicht wirklich gut. Der Gesundheitskiosk in Chorweiler beispielweise wurde schon vor zwei Jahren wissenschaftlich für gut befunden. Eine Gesetzgebung dazu gibt es bislang aber nicht, wir arbeiten immer noch mit Übergangsregeln.