Kommentar zum Kampf gegen Rassismus„Ich bin noch viel zu oft ein Arsch“
- Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt in den USA wird weltweit gegen Rassismus protestiert.
- Doch der globale Aufschrei nach Floyds Tod ersetzt nicht den Kampf, den jeder Einzelne mit sich selbst führen muss, findet unser Autor.
- Er erzählt, wieso er noch viel zu oft ein Arsch ist. Und wie er dagegen ankämpft.
Jenen Tag werde ich nie vergessen, an dem ich zum ersten Mal einen Inder sah. Ich war bestimmt schon 16 und fuhr in der Straßenbahn ganz früh zu einer Arbeit, mit der ich in den Sommerferien Geld verdienen konnte. Da stieg dieser junge Mann in den Wagen, sehr gepflegt, mit scharfen, geraden Gesichtszügen und schmalen Lippen. Seine Haut war tiefschwarz.
Es war nicht so, dass ich zuvor noch nie Schwarze gesehen hätte, damals in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Stuttgart war voller US-Soldaten aus den umliegenden Armeestützpunkten. Ich hatte jedoch noch nie einen Schwarzen mit den Gesichtszügen eines Weißen gesehen. Ich glaube, ich habe ihn die ganze Fahrt über angestarrt.
„Ich spürte den Rassismus in mir“
Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich physisch, geradezu schmerzhaft, den Rassismus in mir. Einerseits war ich eingeschüchtert durch das überraschende Anderssein dieses Menschen, andererseits herausgefordert und vor allem verunsichert. Noch während das geschah, war mir klar, dass ich mich wie ein Arsch benahm, und ich schwor mir, dass dies nie mehr geschehen dürfe. Es geschah auch nicht mehr. Jedenfalls nicht so, aber doch immer wieder anders. Denn Rassismus hat 1000 Gesichter im Kleinen wie im Großen, und mein innerer Kampf dagegen wird vermutlich niemals enden.
Der globale Aufschrei nach dem von Polizisten verursachten Tod des Afroamerikaners George Floyd ist wichtig. Es ist pure Barbarei, wenn westliche Demokratien, die sich selbstgerecht für die Spitze der Zivilisation halten, Menschen aufgrund ihres Aussehens die elementaren Grundrechte verweigern. Es wäre ein großer Sieg, wenn in den USA Instrumente gegen Polizeiwillkür und Ungerechtigkeit installiert würden und sich die gesellschaftliche Debatte in allen Ländern auf der Welt um Lösungen für dieses Menschheitsproblem drehen würde. Aber meine Überzeugung ist, dass der Kampf gegen den Rassismus der Welt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in jedem Einzelnen geführt werden muss.
„Meine Frau wurde hier mit Vorurteilen empfangen“
In mir zum Beispiel, denn ich bin noch viel zu oft ein Arsch. Ich kämpfe nicht in Johannesburg gegen die Armut der schwarzen Kinder wie meine Kollegin Victoria Schneider mit ihrem wunderbaren Straßenprojekt „Timbuktu in the Valley“. Ich nehme Alltagsrassismus zu oft achselzuckend hin, bin mir der soziologischen Erklärungen für fremdenfeindliche Verhaltensmuster zu gewiss und ordne Menschen immer noch zu häufig auf den ersten Blick einer Ethnie/ Volksgruppe/sozialen Schicht zu.
Und das, obwohl ich seit mehr als 25 Jahren mit einem Menschen zusammen lebe, der aus einer anderen Kultur kommt und Vater eines Sohnes bin, der beide Kulturen in sich trägt. Ich habe erlebt, mit welchen Vorurteilen meine Frau in Deutschland empfangen wurde, und welche Vorurteile mir in Thailand begegneten.
Ich war öfter dort als in jedem anderen Land der Welt, außer in Deutschland. Ich spreche die Sprache ziemlich gut, aber ich werde für Thailänder immer der „Farang“ sein, weil man dort alle Weißen so nennt. Mit einem zwiespältigen Respekt übrigens, denn alle Weißen sind reich, aber auch ein bisschen dumm, wenn es um Geld geht. Deshalb ist es nicht so schlimm, wenn sie mehr bezahlen. Die Thailänder würden es mir nie so direkt ins Gesicht sagen, im Gegensatz zu meiner Frau, die nicht höflich sein muss.
So bekam mein Sohn den Respekt der anderen
Mein Sohn, der gar nicht besonders asiatisch aussieht, hatte auch seine Erlebnisse im Kindergarten und der Grundschule, wo er oft alleine saß. Aber er konnte sehr gut raufen und noch besser Fußball spielen. Das hat ihm dann den Respekt der anderen eingebracht, und heute ist das kein Problem mehr.
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Ich denke mir: Wenn ich so anfällig bin für die kleinen rassistischen Dinge des Alltags, dann ist das bestimmt sehr verbreitet, denn ich bin, auch wenn ich gern etwas anderes wäre, in den meisten Dingen ein ziemlicher Durchschnittstyp. Ich hatte allerdings durch den Ort und die Zeit meiner Geburt das Glück, eine im Weltvergleich hervorragende Bildung mit hohen ethischen Standards zu genießen. Sie ist es, die mir immer wieder hilft, wenn ich in Gefahr bin, mich falsch zu verhalten. Pure, angeborene Menschlichkeit wäre in meinem Fall dazu womöglich nicht ausreichend.
Die effektivsten Waffen gegen das kleine Arschloch in mir
Bildung, Aufklärung, Vorbilder, Kontakt – das sind für mich die effektivsten Waffen gegen das kleine Arschloch in mir. Und natürlich die Liebe zu meiner Familie und die Freundschaft zu Menschen, die in ihrer Vorurteilslosigkeit und Hingabe beispielhaft sind. Es ist natürlich schön, ihre oft vorbildlichen Aktionen im Zeitalter der sozialen Netzwerke mit Likes und Smileys zu bedenken, aber wenn daraus keine Konsequenz für das eigene Handeln folgt, ist es einfach zu billig und man sollte sich nicht allzu viel darauf einbilden.
Ich weiß nicht, was für andere gilt, die glauben, in dieser Frage für immer auf der richtigen Seite zu sein. Aber ich werde den Kampf gegen Rassismus immer bei mir selbst beginnen müssen, jeden Tag aufs Neue. Das kann ich zum Großen beitragen. Und natürlich die Aussicht, dadurch weniger oft ein Arsch zu sein.