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Kommentar

US-Wahlkampf
Donald Trumps letzte Chance sind neue Kriege und Krisen

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Lesezeit 3 Minuten
Donald Trump (r) hofft auf seine erneute Unterstützung: Wladimir Putin. (Archivbild)

Donald Trump (r) hofft auf seine erneute Unterstützung: Wladimir Putin. (Archivbild)

Kamala Harris steht stärker da denn je. Trumps letzte Chance sind neue Kriege und Krisen. Wollen Netanjahu und Putin ihm helfen?

Was ist eigentlich aus der Macht der Supermacht USA geworden? Israel jedenfalls hört in letzter Zeit schon gar nicht mehr zu, wenn in Washington etwas gesagt wird.

Am Montag bat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin seinen Amtskollegen Yoav Gallant, Israel möge den diplomatischen Bemühungen um einen Waffenstillstand in Gaza „Zeit geben, um erfolgreich zu sein“, denn eine Eskalation könne „verheerende Folgen“ haben für die gesamte Region.

Warum hat Netanjahu es so eilig?

Am nächsten Tag startete Israel eine historisch beispiellose und zugleich demütigende High-Tech-Attacke auf die Hisbollah-Miliz im Libanon. Reihenweise detonierten plötzlich deren jüngst georderte mobile Low-Tech-Kommunikationsgeräte, Pager und Funkgeräte, in der Hosentasche oder am Ohr der Nutzer. Die Hisbollah meldete bis Freitag 32 Tote, eine vierstellige Zahl von Verletzten – und schwor Rache.

Inzwischen rätseln Freunde und Feinde Israels: Warum hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu es so eilig?

Menschen verfolgen die Rede des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah, während sie in einem Café in einem südlichen Vorort sitzen.

Menschen verfolgen die Rede des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah, während sie in einem Café in einem südlichen Vorort sitzen.

Das Weiße Haus will, klarer Fall, eine Beruhigung im Nahen Osten vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November. Dringender noch als der scheidende Präsident Joe Biden ist daran dessen mögliche Amtsnachfolgerin interessiert, die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris.

Will Netanjahu nicht, dass sie gewinnt? Hat sie aus seiner Sicht vielleicht ein paar Mal zu oft Kritik geübt an der hohen Zahl ziviler Opfer der israelischen Militäroperationen gegen die Hamas in Gaza? Oder versteht er sich einfach besser mit Trump, den er im Juli in dessen Resort Mar-a-Lago in Florida zu einem vertraulichen Treffen aufgesucht hat?

Lodernde Kulisse für Trumps Weltkriegswarnung

Innenpolitisch steht Harris stärker da denn je. In Europa wurde die 59-Jährige Vizepräsidentin ebenso wie im eigenen Land lange unterschätzt. Im Wahlkampf zeigt sie dieser Tage Schwung, Talent und Intellekt. Die Demoskopen sehen sie in nationalen Umfragen neuerdings schon vor Donald Trump, in den Swing States immerhin bereits Kopf an Kopf.

Hoffnung macht den Demokraten, dass sie Trump und dessen Vize-Kandidaten J.D. Vance jenseits aller Sachdebatten vor allem sozio-kulturell Tag für Tag stärker in die Defensive drängen: Der eine gilt vielen Amerikanerinnen und Amerikanern mittlerweile als zu alt, der andere als zu seltsam.

Ein fröhliches Team: Präsidentschaftskandidatin der Demokraten Kamala Harris (l) und Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz. (Archivbild)

Ein fröhliches Team: Präsidentschaftskandidatin der Demokraten Kamala Harris (l) und Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz. (Archivbild)

Harris hingegen trifft einen neuen Ton, der gut ankommt. Auch mit der Wahl des bodenständigen Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz hat sie einen guten Griff getan. Der Mann aus Minnesota, der dem Gewehr auf die Jagd geht, aber auch ein gemeinsames Mittagessen für alle Schülerinnen und Schüler in seinem Bundesstaat eingeführt hat, entzieht sich dem ideologischen Kästchendenken.

Harris selbst blickt mittlerweile auf verblüffend steigende Sympathiewerte sogar in ländlichen Gegenden, die anfangs als unumkehrbar republikanisch galten.

Trumps letzte Chance sind neue Kriege und Krisen

Amerika würde, wenn man Land und Leute in Ruhe ließe, Trump im November wohl endgültig abschütteln - es sei denn, auswärtige Akteure schlagen bis dahin noch mächtig dazwischen. Trumps letzte Chance sind neue Kriege und Krisen. Dann nämlich gäbe es für seine auf den Wahlkampfbühnen ausgestoßenen düsteren Warnungen, Harris und Biden führten die USA geradewegs in einen dritten Weltkrieg, die passende lodernde Kulisse.

Netanjahu könnte Trump behilflich sein, der russische Präsident Wladimir Putin ebenfalls. Eine spektakuläre nukleare Drohgebärde Russlands gegenüber Kiew und dem Westen beispielsweise könnte ausreichen, um die amerikanische Wählerschaft und die komplette Nato zu erschrecken: Wollen wir der Ukraine wirklich weiterhin helfen?

In dieser Lage war es wichtig, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soeben in Kiew neue Hilfen zusagte. Es geht im Augenblick auch um psychologische Festigkeit im Westen, einen geraden Rücken, Willensstärke. Die Welt steht vor sechs gefährlichen Wochen.