Kommentar zu Einsätzen„Polizisten feuern auf Angreifer – das gehört zur Wahrheit“
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Ein Polizeikommissar tötet in Dortmund einen 16-jährigen Flüchtling aus dem Senegal mit fünf Schüssen aus seiner Maschinenpistole (MP). Die Projektile treffen den Jugendlichen weitgehend im Oberkörper. Die Schüsse fielen, so stellt es die Dortmunder Polizei dar, um einen Kollegen des Schützen vor der Messerattacke des psychisch auffälligen afrikanischen Zuwanderers zu bewahren.
Seither klärt eine Mordkommission im nahegelegenen Recklinghausen nebst der Dortmunder Staatsanwaltschaft auf, wie sich das Geschehen exakt zugetragen hat. Zugleich gehen die Strafverfolger der Frage nach, ob der Einsatz der MP in dieser Situation gerechtfertigt war oder nicht.
In den sozialen Netzwerken indes kursieren bereits wüste Verschwörungstheorien. Wieder einmal hätten „die Bullen“ aus rassistischen Gründen einen jungen schwarzen Migranten erschossen, so der Tenor. Das ziegt wieder einmal: In Deutschland wächst das Misstrauen gegen Ordnungswächter.
Dabei werden aber Themen unglücklich miteinander vermengt. Rechte Chatgruppen von Polizeigruppen werden etwa mit Vorwürfen über „Racial Profiling“ vermischt, also einem Handeln nach Vorurteilen und Stereotypen etwa bei Personenkontrollen. Dabei liegt die Zahl der seit 2017 in NRW erfassten rechtsextremistischen oder rassistischen Polizisten unter einem Prozent der 57.800 Beamten und Mitarbeiter in den 47 Behörden.
Woher rührt das Misstrauen gegen die Uniformierten auf der Straße oder die Kripo in den Kommissariaten? Ein Grund sind zusammengeschnittene Clips von Polizeieinsätzen in sozialen Netzwerken.
Nicht erst die häufigen Tumulte im Zülpicher Viertel in Köln oder auf anderen Feiermeilen in Stadt und Land eskalieren nachts. Während die städtischen Ordnungshüter längst im Feierabend weilen, soll die Polizei für Ruhe sorgen. Wenn es geht, aber möglichst geräuschlos, möglichst ohne Gewalt.
Clips kolportieren oft eine falsche Wahrheit
Und sollte dann doch einer der renitenten Störer zu Boden gebracht werden, kursieren bald darauf Handyvideos im Netz und es ist von überzogener Polizeigewalt die Rede. Die Clips kolportieren oft eine falsche Wahrheit. Und so verfestigt sich über die sozialen Netzwerke zunehmend der Eindruck: Bullen sind Schweine.
Zu den Ausreißern zählen Messerattacken. Allein 56 Angriffe auf Polizisten registrierte das Landeskriminalamt NRW im Jahr 2021. Jeden Tag ereignet sich ein Fall von Körperverletzung.
Messerstechereien an Rhein und Ruhr avancieren längst zu veritablen Gefahrenmomenten. Jeden Tag registriert das LKA in Schnitt mehr als zwölf Taten. 40 Prozent der Tatverdächtigen besitzen keinen deutschen Pass. Laut dem Landesbetrieb IT.NRW lebten Ende 2021 2,82 Millionen Ausländer zwischen Rhein und Weser – gerade einmal 15,7 Prozent der Bevölkerung.
Vor allem in den sozialen Brennpunkten Kölns grassieren Messerangriffe. Die Polizei trainiert Abwehrmaßnahmen, die darauf hinauslaufen, im Ernstfall zu schießen.
Beamten feuern nicht nur auf die Beine
Sollte sich die Distanz auf unter sieben Meter verringern, gilt der Schusswaffengebrauch als legitimes Mittel. Dann feuern die Beamten nicht mehr auf die Beine, weil dies wenig bringt, sondern auf den Oberkörper, bis der Angreifer gestoppt wird. Das klingt brutal, geradezu menschenverachtend. Gehört aber zur Wahrheit.
Nach dem Tod des 16-jährigen Senegalesen erfolgte erneut reflexartig Kritik an der Dortmunder Polizei. Umgehend attestierte der Kriminologe Thomas Feltes den Kritikern. Ohne die bisherigen Ermittlungen zu kennen, stellte er die Frage in den Raum, warum eine Maschinenpistole zum Einsatz gekommen sei?
Nun muss man wissen, dass seit 2018 in jedem Streifenwagen in NRW wegen der abstrakten Terrorgefahr zwei Schnellfeuerwaffen mitgeführt werden. Zudem ist eine MP 5 dank ihres längeren Laufs viel treffsicherer als die Dienst-Pistole. Feltes‘ ehemaliger Bochumer Kollege Tobias Singelnstein nährte in Interviews Zweifel daran, dass die Ermittlungen durch die Polizei in Recklinghausen korrekt ablaufen könnten. Der Professor plädierte für die Einrichtung unabhängiger Untersuchungsstellen.
Wenig fundierte Kritik zu Polizeigewalt
Wenn Polizistinnen und Polizisten mögliches Fehlverhalten von Kollegen beurteilen sollten, hätten sie in der Regel eine gewisse Voreingenommenheit, behauptet der Kriminologe. Dass ein Staatsanwalt die Ermittlungsarbeit leitet, blieb außen vor. Und dass man gerade in diesem politisch so brisanten Fall sicherlich alle Fehler zu vermeiden versucht, liegt nahe. Denn es käme früher oder später heraus, und dann wären die Posten von Verantwortlichen akut gefährdet.
Feltes und Singelnstein säen seit Jahren immer wieder Zweifel an der Integrität der Polizei. Letzterer hat einen Zwischenbericht zur Studie über Polizeigewalt verfasst, in der man „Opfer“ gebeten hat, sich anonym zu melden. Fazit: Die Dunkelziffer rechtswidriger Polizeigewalt sei sehr hoch. Fragt sich nur, wie man auf Grund anonymer Hinweise zu diesem Ergebnis kommen kann, wenn die Fälle gar nicht überprüft werden konnten?
Singelnstein selbst musste denn auch zugeben, dass seine Erkenntnisse nicht repräsentativ seien. 2020 überraschte der Forscher in einem weiteren Zwischenreport mit der Erkenntnis, dass der Rassismus in der Polizei weit verbreitet sei. Bisher blieb aber eine fundierte Expertise aus.
Es ist ein Reflex. Wer etwas Kritisches nach einem fragwürdigen Polizeieinsatz hören will, ruft Singelnstein oder Feltes an. Über die Probleme in der Dortmunder Nordstadt verloren beide wenig Worte. Der Migrationsanteil liegt hier bei über 50 Prozent, zugleich hat sich eine bundesweit agierende Neonazi-Szene etabliert. Und mittendrin die Polizei, die alles richten soll.