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Tödliche Schüsse auf 16-Jährigen„Diese Nähe erzeugt unbewusst blinde Flecken“

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Auch Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal kam zum Trauergottesdienst für den 16-Jährigen.

Dortmund – Der am vergangenen Mittwoch durch fünf Schüsse aus einer Polizei-Maschinenpistole in Dortmund getötete Jugendliche aus dem Senegal ist nach Angaben der Stadtverwaltung erst wenige Tage zuvor der Stadt zugewiesen worden. Mohammed D. sei als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling vor vier Monaten nach Deutschland gekommen und Anfang August nach dem Königsteiner Schlüssel, der die Verteilung von Flüchtlingen regelt, zunächst Rheinland-Pfalz zugewiesen worden und schließlich vom Jugendamt in Dortmund untergebracht worden.

Die Umstände, unter denen der 16-Jährige im Innenhof einer katholischen Jugendhilfe in der Nordstadt ums Leben kam, sorgen bundesweit für Diskussionen. Debattiert wird über mögliche Polizeigewalt, versteckten Rassismus und die Frage, warum derartige Vorfälle nicht von einer unabhängigen Institution außerhalb des Polizeiapparates untersucht werden. Vor den tödlichen Schüssen hatten die Beamten auch Pfefferspray und Taser eingesetzt. Bei einer spontanen Kundgebung am Mittwoch waren auch Plakate mit der Aufschrift „Das war Mord“ und „Wer kontrolliert die Polizei?“ zu sehen.

Dortmund

Kerzen erinnern an den Tod des 16-jährigen Jugendlichen in Dortmund.

Aus Neutralitätsgründen führt das benachbarte Polizeipräsidium Recklinghausen die Ermittlungen, während die Dortmunder Kollegen parallel einen Fall untersuchen, bei dem ein 39-Jähriger in Oer-Erkenschwick, der in einer Wohnung randaliert hatte, nach einem Einsatz mit Pfefferspray das Bewusstsein verlor und später im Krankenhaus starb.

Gedenkveranstaltung für getöteten Jugendlichen

Mohammed D. soll sich in einem psychisch labilen Zustand befunden haben. Er soll unvermittelt aufgesprungen und mit einem gezückten Messer, das er sich zuvor gegen den Bauch gehalten hatte, auf die Polizeibeamten zu gerannt sein. Am Freitag gedachten in der Dortmunder Nordstadt mehrere Menschen des Toten.

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Rafael Beer ist Professor für Kriminologie an der Polizeihochschule in Hamburg.

Dass mögliches Fehlverhalten von Polizeibeamten immer noch in den eigenen Reihen untersucht wird, hält der Hamburger Kriminologe Rafael Behr schon lange für überholt. „Da hat man sofort das Gefühl, es könne schon von der Anlage her etwas schieflaufen.“

Behr lehrt seit 2008 als Professor für Kriminologie und Soziologie an der Hochschule der Polizei in Hamburg. Er wolle nicht unterstellen, dass Polizisten deshalb bewusst besonders schlecht arbeiten, „aber wenn ein Ermittler plötzlich zum Beschuldigten wird, ist das eine enorme psychologische Belastung für beide Seiten. Diese Nähe zueinander erzeugt unbewusst blinde Flecken.“

Behr fordert schon lange den Einsatz unabhängiger Polizeibeauftragter, die nach englischem oder dänischem Vorbild in einer eigenen Behörde mit eigenen Strukturen solche Ermittlungen übernehmen. „Sie müssen die Tatortarbeit machen, Zeugen vernehmen und Durchsuchungen anordnen.“

Unabhängiger Polizeibeauftragter sei nur Kompromisslösung

Dass NRWs schwarz-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat, einen unabhängigen Polizeibeauftragten beim Landtag einzusetzen, sei zwar löblich. Dieser werde aber wie in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz keinerlei Ermittlungskompetenz haben. „Die dürfen zwar Fragen stellen, Akten einsehen, Vorgänge anfordern, mit den vorgesetzten Stellen sprechen, aber sie dürfen sich nicht in Ermittlungen einmischen“, sagt Behr. „Das ist eine typische Kompromisslösung, weil die CDU nicht weitergehen will und die Lobby der Polizeigewerkschaften in den Parlamenten immens ist. Die Polizei steht nach wie vor auf dem Standpunkt. Wir sind die Guten und wir halten unseren selbst in Ordnung. Wir brauchen keine externe Kontrolle.“

Polizei Dortmund Schüsse 080822

Polizistinnen und  Polizisten bei dem Einsatz in Dortmund, bei dem ein 16-Jähriger erschossen wurde.

Von unabhängigen Polizeibeauftragten, die Einsätze wie den in Dortmund untersuchen, hält man auch bei der Polizeigewerkschaft wenig. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, es wird hier besonders gründlich ermittelt. Die Recklinghäuser werden den Teufel tun, irgendetwas unter den Tisch fallen zu lassen“, sagt Michael Maatz, stellvertretender Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der öffentliche Druck sei enorm.

„Der Staatsanwalt ist immer noch Herr des Ermittlungsverfahrens. Wenn da irgendwelche Dinge nicht ausermittelt wurden, schickt er den Vorgang zurück. Was mir bei der ganzen Diskussion fehlt: Da stürmt jemand mit einem Messer auf Polizeibeamte zu. Darüber wird gar nicht mehr gesprochen.“ Gleichwohl werde sich die Gewerkschaft Neuerungen nicht verschließen. „Derzeit sehe ich das aber nicht. Wir sind in NRW sehr gut aufgestellt.“

Distanzstange statt Maschinengewehr

Für Rafael Behr wirft der Dortmunder Fall viele Fragen auf. Er hält es für ungewöhnlich, bei einem Polizeieinsatz, bei dem ein Messer im Spiel ist, eine Maschinenpistole mitzunehmen. „In einem solchen Fall kann davon ausgehen, dass das eng, laut und unübersichtlich wird. Die Maschinenpistole ist Mitteldistanzwaffe und wird in der Regel nicht zur Selbstverteidigung eingesetzt, weil die Gefahr groß ist, dass man unbeteiligte Dritte trifft.“

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Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen der Polizei auf einen 16-Jährigen protestierten mehrere hundert Demonstranten vor der Polizeiwache Nord gegen den Tod des Jungen.

Die Polizeiführung und der Innenminister müssten sich fragen, warum die Beamten in jedem Einsatzfahrzeug zwar zwei Maschinenpistolen hätten, „aber kein Einsatzmittel, um jemanden, der ein Messer mitführt, anders als mit einer Schusswaffe oder einem Taser auf Distanz zu halten. Mit einer Distanzstange zum Beispiel.“Polizisten hätten bei ihren Einsätzen häufig mit Messer und Stichwaffen zu tun. „Die Polizei braucht andere Einsatzmittel für Messerdelikte als die, die für Terror und Amok vorgesehen sind. Da ist auch der Taser keine Alternative.“

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Dass der Tod des Senegalesen auch ein Fall von strukturellem Rassismus innerhalb der Polizei sei, sieht Rafael Behr nicht. „Vieles, was wir im Moment unter Racial Profiling abheften, ist eigentlich Social Profiling“, sagt der Wissenschaftler. Die Diskriminierungspraktiken träfen nicht nur Migranten, sondern auch andere Gruppen wie Obdachlose und Drogenkonsumenten. „Das ist viel komplexer.“

Die Polizei habe „Verdachtschöpfungsstrategien“, die sich an bestimmten Personen ausrichten. „Die fahren die falschen Autos, haben ein freches Mundwerk und sind an gefährlichen Orten anzutreffen. Das Aussehen darf nicht der Grund der Kontrolle sein, sondern das Verhalten.“ Man werde niemals alle Rassisten aus der Polizei entfernen können, sie seien aber in der absoluten Minderheit und nicht das Problem. „Das Problem ist die schweigende Mehrheit, die bei Rassismus, Sexismus und Homophobie drumherum steht und nichts sagt.“ Das NRW-Programm gegen Rechtsextremismus in der Polizei sei ein erster Schritt und vorbildlich. „Da ist einiges auf den Weg gebracht worden.“