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Mehr als 50.000 Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland

Lesezeit 4 Minuten

Berlin – Die Zahl der ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die in Deutschland Schutz suchen, ist erneut deutlich gestiegen. Die Kommunen haben deshalb eine rasche Klärung der Verteilung und auch Hilfen gefordert.

Das Bundesinnenministerium weiß nach eigenen Angaben bislang von 50.294 eingereisten Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Das teilte ein Sprecher in Berlin mit. „Da keine Grenzkontrollen stattfinden, kann die Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge tatsächlich bereits wesentlich höher sein”, erklärte er weiter.

An der Versorgung der Flüchtlinge wollen sich nach Angaben des Bundesinnenministeriums alle deutschen Bundesländer beteiligen. „Alle Bundesländer haben Unterstützung angeboten”, so ein Sprecher.

Ukrainer dürfen sich sowieso für 90 Tage in Deutschland aufhalten und sich ihren Aufenthaltsort in dieser Zeit auch aussuchen, sagte der Sprecher. Über eine gerade aktivierte EU-Regelung können sie zudem unkompliziert für zunächst ein Jahr Schutz erhalten.

Faeser will schnelle Verteilung der Flüchtlinge

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sucht nach Möglichkeiten, Flüchtlinge aus der Ukraine möglichst früh auf verschiedene Bundesländer aufzuteilen. Man sei dafür intensiv mit der Bahn und den Ländern im Gespräch, sagte Faeser am Montag nach einem Besuch der Anlaufstelle für Geflüchtete im Berliner Hauptbahnhof. „Wir sitzen tagtäglich mit den Ländern zusammen.” Es gehe darum, Möglichkeiten für die Flüchtlinge zu schaffen, in der Bundesrepublik unterzukommen, nicht nur in Berlin. „Denn das kann Berlin nicht allein stemmen”, sagte Faeser.

Die Bundespolizei helfe beispielsweise bei der Frage, wie die Geflüchteten bei der Ankunft in Frankfurt/Oder oder bereits in Polen selbst anders verteilt werden könnten. Wichtig sei aber auch eine Verständigung innerhalb Europas. „Bei der Aufteilung müssen wir auch europaweit gucken, wie wir da gerecht und solidarisch miteinander umgehen”, sagte Faeser. „Deswegen fahre ich am Donnerstag gemeinsam mit meinem französischen Innenministerkollegen nach Polen.” Sie wolle sich dort einen Eindruck von der Situation verschaffen.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sagte, diese Herausforderung sei nur in einer nationalen Aufgabe zu meistern. Der Bund unterstütze beispielsweise auch die Registrierung der Flüchtlinge im Ankunftszentrum in Berlin-Reinickendorf mit zusätzlichen Mitarbeitern, sagte die SPD-Politikerin.

Lob vom Bundespräsidenten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Hilfsbereitschaft der Deutschen gelobt. „Nicht nur die Kinder und Jugendlichen, auch die Erwachsenen, die kommen werden, brauchen unsere Hilfe”, sagte Steinmeier bei einem Besuch des jüdischen Zentrums Chabad Berlin, das sich um rund 100 geflüchtete Kinder und Jugendliche aus einem Kinderheim in der Ukraine kümmert. „Viele Deutsche helfen und die Hilfsbereitschaft ist auch hier in Berlin ungebrochen”, sagte Steinmeier. Bei dem Zentrum würden viele Menschen Essen vorbeibringen oder Geld spenden.

Grenzkontrollen gefordert

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) forderte angesichts der vielen Schutzsuchenden reguläre Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien. Die Bundespolizei ist nach Angaben des Ministeriums in der deutsch-polnischen Grenzregion und an Bahnhöfen inzwischen verstärkt im Einsatz, um die Einreise etwa von Kriminellen, die die Situation für sich nutzen, zu verhindern.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) begründet den Verzicht auf reguläre Grenzkontrollen mit der besonderen aktuellen Lage. Die Situation der ukrainischen Kriegsflüchtlinge sei nicht mit früheren Lagen vergleichbar, bekräftigte die SPD-Politikerin am Sonntag im ARD-„Bericht aus Berlin”. „Es geht um Krieg in Europa, um Kriegsflüchtlinge. Das ist eine völlig andere Situation als 2015”, sagte Faeser.

Um den Ukrainern in Deutschland und den anderen EU-Ländern möglichst unbürokratisch Schutz zu bieten, hatte die Europäische Union am Freitag erstmals eine Richtlinie für den Fall eines „massenhaften Zustroms” von Vertriebenen in Kraft gesetzt. Der Schutz für die Menschen aus der Ukraine gilt demnach zunächst für ein Jahr, kann aber um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden. Ein langwieriges Asylverfahren ist nicht nötig. Die Schutzsuchenden haben unmittelbar das Recht auf Sozialleistungen, Bildung, Unterkunft sowie auf eine Arbeitserlaubnis.

Deutschland bereitet sich auf Krankentransporte vor

Deutschland will laut Bundesregierung eine zentrale Rolle bei der Versorgung der vielen Kriegsverletzten und Kranken ohne Behandlungsmöglichkeit aus der Ukraine spielen. „Das Gesundheitswesen der Ukraine steht teilweise vor dem Zusammenbruch - darauf bereiten wir uns vor”, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Montag in Berlin. „Deutschland wird eine zentrale Rolle bei der medizinischen Versorgung der Bürger aus der Ukraine spielen”, sagte Lauterbach.

„Es gibt Hunderte Verwundete und Tote jeden Tag, und die russische Armee schreckt offenbar auch nicht davor zurück, die medizinische Infrastruktur des Landes gezielt anzugreifen”, sagte Lauterbach. „Wir bereiten uns vor auf Schwerverletzte, die intensivmedizinische Behandlung benötigen, auf ukrainische Patientinnen und Patienten, die verlegt werden müssen, weil die Krankenhäuser zerbombt wurden, Flüchtlinge, die mit schweren Erkrankungen zu uns kommen, Dialysepatienten beispielsweise, Krebskranke, Menschen die dringen Hilfe benötigen.”

Geplant seien größere Transporte mit Verletzten, Verwundeten sowie Kranken, die vor Ort nicht mehr behandelt werden könnten. Aber: „Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Städte, aus denen solche Verlegungen notwendig wären, auf dem Luftweg sehr schwer erreichbar und solche Transporte wären sehr gefährlich.”

Vorbereitet würden Transporte für den Fall, dass entsprechende humanitäre Korridore mit Waffenstillständen genutzt werden könnten. Das Auswärtige Amt koordiniere dies, der operative Arm sei das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. In Deutschland sollen Betroffene dann nach einem so genannten Kleeblattsystem verteilt werden, das bereits in der Pandemie zum Einsatz kam.

© dpa-infocom, dpa:220307-99-413393/12 (dpa)