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Interview

frank&frei
Soziologe Sznaider „Den Antisemitismus werden wir nicht los“

Lesezeit 6 Minuten
Angehörige der israelischen Streitkräfte beobachten im Norden Israels, wie das Luftabwehrsystem Iron Dome Raketen abfängt, die aus dem Libanon abgeschossen wurden.

Israelische Soldaten beobachten im Norden Israels, wie das Luftabwehrsystem Iron Dome Raketen abfängt, die aus dem Libanon abgeschossen wurden.

Der israelische Soziologe Natan Sznaider erklärt das Sicherheits-Versprechen des Zionismus an die Juden für gescheitert.

Herr Sznaider, Israel bombardiert Kommandozentralen der Hisbollah im Libanon, geht gegen die Hamas im Gazastreifen vor, greift auch Ziele in Syrien und Iran an. Steuern diese Operationen der israelischen Armee auf etwas zu, was Sie einen Sieg nennen würden?

Ich bin kein Militär. Als beobachtender Soziologe glaube ich, dass Israel noch weit weg ist von etwas, was man als Sieg bezeichnen kann – sofern der Begriff in einem Konflikt sinnvoll ist, in dem es keine klassische Kriegführung mit Armeen und Schlachtfeldern gibt. Die Pager-Angriffe auf Hisbollah-Führer haben die Terrormiliz massiv geschwächt. Allerdings ist die Strategie dahinter nicht erkennbar. Aber wenn es zu einem Waffenstillstand käme, die Hisbollah ihren Beschuss des Nordens Israel einstellen und sich hinter den Litani-Fluss zurückziehen würde, dann würde ich das schon als einen Erfolg bezeichnen.

Der Soziologe Natan Sznaider

Natan Sznaider

Etwas viele Konjunktive.

Das ist Absicht, weil alles in der Schwebe ist. Die Attacken Israels auf die Köpfe der Hisbollah sind jedenfalls weitergegangen, allen voran auf ihren Chef Hassan Nasrallah, einen der schlimmsten Terroristen im ganzen Nahen Osten. Ich wäre dafür nicht zum Feiern auf die Straße gegangen, aber als einen Erfolg im Kampf gegen die Hisbollah kann man das schon verbuchen. Andererseits sind die Menschen Israels unter dem Eindruck der andauernden Raketenangriffe von der Rückkehr zu einer Normalität noch wahnsinnig weit entfernt.

Die in unserer Region übliche Logik besagt: Wer auf einen Angriff nicht reagiert, zeigt Schwäche.
Professor Natan Sznaider

Ihr Freund Navid Kermani, mit dem Sie in Köln über die Lage in Nahost diskutieren, schreibt in seinem gerade erschienenen Buch mit Reportagen aus Ostafrika, dass das Wesen des Kriegs die Vergeltung sei – Schlag und Gegenschlag. Dann kann man für die Zukunft in Nahost doch nur schwarz sehen.

In der Tat. Im Moment etwas erwarten wir alle eine israelische Reaktion auf den zweiten direkten Beschuss durch Iran.

Wie sollte diese Reaktion ausfallen?

Das ist schwer zu sagen. Die in unserer Region übliche Logik besagt: Wer auf einen Angriff nicht reagiert, zeigt Schwäche. Dann kann man diskutieren, welche Ziele in Iran angegriffen werden sollten. Da gibt es ja Abstufungen. Vielleicht könnte eine eher symbolische, maßvolle Gegenattacke den – wie Navid zurecht feststellt – fatalen Kreislauf von Reaktion und Gegenreaktion unterbrechen. Aber noch einmal: Alles ist in der Schwebe – eine fehlgeleitete Rakete mit zivilen Opfern, und wir sind wieder drin in der Eskalationsspirale.

Dumme Symbolpolitik unseres Außenministers Israel Katz
Professor Natan Sznaider

Einer, der immer wieder auf das Verderbliche an diesen Kreisläufen abhebt, ist UN-Generalsekretär António Guterres. Ihre Regierung hat ihn jetzt zur unerwünschten Person erklärt. Wäre er Ihnen noch willkommen?

Ach, das ist dumme Symbolpolitik unseres Außenministers Israel Katz. Unsinnig wie nur irgendwas und ein Anlass zum Fremdschämen für die eigene Führung. Mir ist Guterres auch nicht sonderlich sympathisch. Er ist Israel nicht sonderlich wohlgesonnen. Aber ich glaube: Da muss man drüberstehen, schlaue Außenpolitik machen und nicht Kindergarten.

Sie erwähnten die zivilen Opfer. Was die Situation im Gazastreifen angeht, sagen auch die USA als wichtigster Verbündeter Israels, das Vorgehen Israels gegen die Hamas-Terroristen stehe in keinem angemessenen Verhältnis mehr zum Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung. Wie sehen Sie das?

Auch die Frage der Angemessenheit ist schwierig. Auf den Terror vom 7. Oktober 2023 mit 1200 bestialisch Ermordeten und Hunderten Verschleppten gab es keine angemessene Reaktion. Der Gedanke des Kriegsvölkerrechts von einem „proportionalen“ Agieren zieht hier einfach nicht. Was mich am meisten umtreibt, ist das Schicksal der Geiseln. Wenn ich daran denke, dass sie nach mehr als einem Jahr immer noch in irgendwelchen Tunneln oder Verliesen der Hamas schmachten, rückt bei der Wahl der Mittel zu ihrer Befreiung die Angemessenheit für mich persönlich etwas in den Hintergrund.

Jüdinnen und Juden werden niemals zu einer ‚Normalität‘ finden - nicht in Israel und an keinem Ort der Welt.
Professor Natan Sznaider

Sie sprechen – nicht nur mit Blick auf den 7. Oktober – von einer „jüdischen Wunde“. Was meinen Sie damit?

Dass Jüdinnen und Juden niemals zu einer „Normalität“ finden werden – nicht in Israel und an keinem Ort der Welt. Das Versprechen der Aufklärung, dass jüdisches Leben in einer universalen Gleichheitsidee aufgehen könne, ist niemals eingelöst worden. Aber auch das Versprechen des Zionismus, dass sich für die Bürgerinnen und Bürger des Staates Israel die „jüdische Frage“  lösen würde, hat sich nicht erfüllt. Ein Versprechen, dessentwegen auch ich mich vor 50 Jahren zur Auswanderung nach Israel entschlossen habe, um vom Teil einer bedrohten Minderheit zum Mitglied der Mehrheitsgesellschaft in einem souveränen Staat zu werden. Heute muss ich feststellen: Die Souveränität des Staates Israel ist prekär, eine wirkliche Sicherheitsgarantie gibt es nicht.

In Ihrem Buch „Die jüdische Wunde“ definieren Sie auch die Juden außerhalb Israels – zum Beispiel in Deutschland – ethnisch: Sie sprechen vom jüdischen Volk in der Diaspora. Ist das hilfreich?

Juden sind nun einmal mehr als eine Glaubensgemeinschaft wie Katholiken oder Protestanten. Sie bleiben Juden, auch wenn sie nicht religiös sind und keinen israelischen Pass haben. Die deutsche Vertretung der Juden definiert sich nicht von ungefähr als „Zentralrat der Juden in Deutschland“. Es ist genau diese Spannung zwischen dem Universalen und dem Partikularen, die das Judesein ausmacht. Man kann als Jude so aussehen wie alle anderen, man kann – wenn man nicht orthodox aus – auf der Straße unkenntlich sein. Aber nach innen bleibt man Jude. Und deshalb trifft der Antisemitismus mit seinem Ressentiment gegen das Partikulare nicht nur die sichtbaren Juden, sondern auch die unsichtbaren.

Dass die jüdische Wunde durch den 7. Oktober erneut aufgerissen und vertieft wurde, ist völlig klar. Sehen Sie in Deutschland Möglichkeiten, die Wunde wenigstens zu verbinden oder nicht weiter schwären zu lassen, worum „alle Menschen guten Willens“ doch bemüht sein sollten?

Was den Antisemitismus angeht, habe ich wenig Hoffnung. Den werden wir Juden nicht los. „Vor dem Antisemitismus ist man nur auf dem Mond sicher“, hat Hannah Arendt einmal gesagt. Seit dem 7. Oktober fühlen sich Juden in Deutschland, aber auch in anderen Ländern – konfrontiert mit einem in den letzten Jahrzehnten ungekannten Ausmaß des Antisemitismus – in der Tat von Gott und der Welt verlassen. Und in gewissem Sinne ausgeliefert, weil auch der Staat Israel ihre Sicherheit offensichtlich nicht wirklich garantieren kann. Symbole wie die jetzt diskutierte Antisemitismus-Resolution werden nicht viel ausrichten. Andererseits senden sie doch wichtige Signale, dass der deutsche Staat sich – trotz allem – dem Schutz von Jüdinnen und Juden verpflichtet weiß.

Die Spannungen entladen sich ja oft dort, wo zusammen mit der Solidarität für Israel auch der Schutz der Palästinenser im Gaza-Streifen oder im Westjordanland gefordert wird. Erst am Donnerstag gab es in diesem Sinne an der Universität zu Köln, also mitten im akademisch-intellektuellen Milieu der Stadt, eine Kundgebung „Solidarität mit Palästina – Gegen den imperialistischen Konsens“.

Das ist in Ordnung, das kann ich gut aushalten. Studierende, auch wenn sie falsch liegen, haben das Recht, sich zu äußern. Was aber nicht geht: Dass jüdische Studierende sich auf dem Campus nicht mehr sicher fühlen und Angst haben müssen, sich in der Uni frei zu bewegen. Das ist in Deutschland ein No-Go.