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Neues SchuljahrNRW will zurück zu vollen Schulklassen, Kölner Rektoren protestieren

Lesezeit 7 Minuten

Der Unterricht soll bislang nach den Ferien mit voller Klassenstärke starten.

  1. Mit einem wenig ausgefeilten Konzept will das Land NRW zum Regelunterricht mit vollen Klassen zurückkehren.
  2. Alle Schüler im Klassenraum, keine Maskenpflicht: Angesichts der steigenden Infektionszahlen machen sich viele Schulleitungen sorgen.
  3. Das Schulministerium nutzt die Ferienzeit so weit es geht und will sich erst Montag zum Schulstart äußern.

Köln – Irgendwie hatten sich alle erleichtert rübergerettet in die Sommerferien. Erst mal durchatmen, Homeschooling-Ärger, Orga-Wahnsinn hinter sich lassen. In der Hoffnung auf Normalität nach den Ferien. Jetzt, gut eine Woche vor Ende der Sommerferien, steigt die Nervosität. Denn: Normalität ist – zumindest Stand jetzt– tatsächlich angesagt. Obwohl eigentlich nichts normal ist.

„Rückkehr zum Regelunterricht nach den Sommerferien“, hat Schulministerin Yvonne Gebauer angekündigt. Gleichzeitig nimmt die Pandemie wieder Fahrt auf. Während ein „sehr beunruhigter“ RKI-Präsident Lothar Wiehler die Bevölkerung eindringlich mahnt, Abstand zu halten und Maske zu tragen, werden ab dem 12. August 2,5 Millionen Schüler in den Klassenräumen in NRW wieder über viele Stunden mit 30 Kameraden in ihren Klassenräumen schwitzen – ohne Maske und ohne Abstand. Kurz gefasst heißt das Konzept: Alles läuft so wie immer, nur ohne Singen – mit regelmäßigem Stoßlüften und Desinfektionsmitteln in Toiletten und Klassenräumen.

Kölner Schulen: Unsicherheit ist groß

Bei den Kölner Schulleitern, die derzeit die kommenden Wochen planen, ist die Anspannung groß. Von „sehr gemischten Gefühlen“, berichtet der Leiter des Gymnasiums Kreuzgasse, Lüder Ruschmeyer. Maria Hartmann vom Montessori-Gymnasium spricht von einem „eher bedrohlichen“ Gefühl, das dadurch verstärkt wird, „dass wir ja von Seiten des Ministeriums noch keine konkrete Informationen für das Schuljahr haben“. Es ist die Ahnung, Teil eines riesigen Echtzeit-Experiments zu sein. Eines Spiels mit dem Feuer, auf das die Schulen sich nicht ausreichend vorbereitet fühlen.

Alle warten sie darauf, dass die vom Ministerium angekündigten Präzisierungen kommen, die zumindest etwas mehr Planungssicherheit schaffen. Angekündigt war zu Beginn der Ferien eine „zeitnahe Verordnung“ mit Konkreterem zum Gesundheitsschutz und zum Lernen auf Distanz inklusive Konzepten für Organisationsmodelle.

Natürlich habe man Verständnis, dass angesichts der sehr dynamischen Lage die Zeit der Ferien ausgereizt werde, betont Ruschmeyer. „Aber es ist schwierig, noch länger warten“, mahnt die Schulleiterin der Gesamtschule Holweide, Christa Dohle. Es brauche Vorlauf: Für die Schule zur Planung, aber auch für die Eltern. Auf Nachfrage hieß es aus dem Schulministerium, die Ministerin werde sich am Montag zum Schulstart äußern.

Es wird Infektionen geben

Es ist die Quadratur des Kreises, die das Land versucht: Da wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kinder ein Recht auf Bildung haben und die analoge Beschulung dringend nötig ist. „Gerade die schwächeren Schüler brauchen jetzt diesen Kontakt zur Schule und die direkte Beziehung zum Lehrer. Sonst verlieren wir die“, betont Hauptschulrektor Manfred Lebek. Das geht aber räumlich nur, wenn Abstandsregeln außer kraft gesetzt werden. Denn dafür ist in den überfüllten Kölner Schulen schlicht kein Platz, wenn alle da sind.

Der Preis ist allen klar: Es wird Infektionen geben, erneute Schulschließungen – ganz oder teilweise – sind unvermeidbar. Das zeigt etwa der Blick nach Israel, wo bereits vor einiger Zeit die Schulen wieder geöffnet wurden. Erste Hotspots entstanden nach zwei Wochen: 40 Prozent der Corona-Neuinfizierten im Land sind derzeit Kinder und Jugendliche über zehn Jahre an weiterführenden Schulen.

Unterricht in Holweide draußen

Hinzu kommt, dass es in Köln viele Schulen gibt, in denen nicht richtig oder teilweise gar nicht gelüftet werden kann. „Bei uns gibt es Klassenräume, in denen die defekten Fenster nicht einmal zu öffnen sind, weil nicht rechtzeitig alles repariert wurde“, sagt beispielsweise Christa Dohle. So lange es das Wetter zulässt, soll an der Gesamtschule Holweide auch draußen unterrichtet werden. Und dann?

Kritik kommt auch diesbezüglich von der Opposition: „Die Landesregierung hätte sich längst um die Gewinnung von zusätzlichen Räumen, zum Beispiel Vereinshäusern und Kirchengemeinden kümmern müssen“, moniert die NRW-Schulexpertin der Grünen, Sigrid Beer. Ebenso wie um Konzepte zu Blockunterricht, um nicht ständig wechselnde Lerngruppen zusammenzubringen. „Unsere Konzepte für Kooperationen mit außerschulischen Lernorten liegen seit Wochen auf dem Tisch“, ergänzt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Jochen Ott.

Kostenlose Test für Lehrer und Schüler

Denn die vom Robert-Koch-Institut geforderten „stabilen Lerngruppen“ sind im Kurssystem der Oberstufe unmöglich: „Ein Schüler der Q1 sitzt in zehn Kursen und damit in ebenso vielen Lerngruppen. Ein Lehrer mit voller Stelle hat bis zu zehn verschiedene Klassen oder Kurse. Was machen wir, wenn da einer betroffen ist?“, fragt Ruschmeyer. „Deshalb müssen wir wissen, was die Politik plant, wenn der Fall eintritt“, so Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes.

Um den Schulen mehr Sicherheit zu geben, sollen vor Beginn des Schuljahres alle Lehrer getestet werden. Dazu wird die Stadt Köln in jedem Bezirk einen halbtägigen Termin anbieten, bei dem Abstriche bei bis zu 300 Personen durchgeführt werden können. Danach sollen Schüler und Lehrer bis zum 9. Oktober die Möglichkeit haben, sich alle zwei Wochen kostenlos testen zu lassen.

„Wir haben noch keine Infos, wie das organisatorisch ablaufen soll. Ob es Selbsttests gibt, die alle einschicken, oder ob mobile Teams an Schulen kommen“, so Ruschmeyer. Auch Plexiglasscheiben fürs Lehrerpult gibt es für die Lehrer keine. „Wir haben jetzt dank Spenden für alle Lehrer und Schüler Schutzvisiere besorgt“, erzählt Manfred Lebek, Leiter der Katholischen Hauptschule am Griechenmarkt.

Schulen in Köln bereiten sich auf verschiedene Szenarien vor

Sobald ein Infektionsfall in einer Schule auftritt, muss das Gesundheitsamt informiert werden. Das entscheidet dann, ob einzelne Klassen, ganze Jahrgangsstufen in Quarantäne müssen, ober ob die gesamte Schule geschlossen wird. Wird immer die ganze Schule durchgetestet? Auch dafür fordern Eltern- und Lehrervertreter dringend klare Regeln.

Einstweilen haben die Schulen in NRW nur den allgemeinen gehaltenen Auftrag, drei Szenarien zu planen: Den regulären Präsenzunterricht, das Parallelmodell aus Präsenz- und Fernlernen und das komplett digitale Lernen bei Schließung der ganzen Schule. Personell ist dabei der für die kommenden Monate wahrscheinlichste Fall – nämlich das Parallelmodell – am kompliziertesten, weil man dafür am meisten Lehrkräfte braucht. Das Gymnasium Kreuzgasse plant für den Fall halbierte Lerngruppen, die im Tages- oder Wochenwechsel in die Schule kommen.

Noch keine zusätzlichen Lehrkräfte oder Vertretungen

Ähnlich soll das Wechselmodell an der Gesamtschule Holweide und im Montessori-Gymnasium aussehen – wochenweise mit A- und B-Gruppen. Die Gruppe, die nicht in der Schule ist, erhalte für eine Woche Aufgaben mit nach Hause, erläutert Hartmann. Denn eines sei utopisch: Es könne nicht für die eine Gruppe analogen und für die andere nachmittags digitalen Unterricht per Video geben, betont Hartmann. „Digitaler Distanzunterricht und parallel rollierender Kleingruppenunterricht ist personell schlicht nicht zu stemmen“, bestätigt auch Barbara Wachten vom Dreikönigsgymnasium.

Das ginge schon dann nicht, wäre das Kollegium komplett. Erst recht nicht, wenn bei den befragten Kölner Schulen bis zu 20 Prozent der Lehrer fehlen, weil sie zur Risikogruppe gehören. Die zur Kompensation dieser Ausnahmesituation von Ministerin Gebauer zu Beginn der Ferien angekündigten zusätzlichen Lehrkräfte oder Vertretungslehrer sind an den vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ angefragten Schulen noch nicht angekommen.

Video-Unterricht im Fall einer Schulschließung

Keiner hat zum Schulbeginn sein Kollegium per Ausschreibung außerplanmäßig aufstocken können. „Selbst wenn ich in eine Stelle für einen Physiklehrer ausschreiben dürfte. Es gibt ja keine“, ergänzt Hartmann. Hier fordert Maike Finnen, die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW in NRW, dringende Unterstützung für die durch ausfallende Lehrer gebeutelten Schulen. Gebauer fehle ein Konzept für die Qualifikation von Seiteneinsteigern.

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Wenn eine Schule vorübergehend komplett geschlossen werden muss, soll über eine digitale Plattform möglichst Video-Unterricht nach Stundenplan erteilt werden. Am Montessori-Gymnasium, wo bereits vor mehreren Jahren ein Microsoft-Office-Paket für alle Schüler angeschafft wurde, klappte das schon im vergangenen Schuljahr mit Teams.

Keine Informationen zu digitaler Ausstattung

Viele andere Kölner Schulen ziehen nach und haben vor den Ferien das kostenlose Microsoft-Paket beantragt, das die Stadt allen Gymnasien und Gesamtschulen angeboten hatte. Allen 37 Schulen, die einen Antrag gestellt hätten, werde das Paket pünktlich zu Schuljahresbeginn zur Verfügung gestellt, sagte Stadtsprecherin Nicole Trum. Wer es jetzt noch beantrage, habe in vier Wochen seinen Zugang. Andere Schulen wollen über die vom Land zur Verfügung gestellte Plattform „Logineo“ arbeiten.

Ein weiteres Problem ist weiterhin, dass auch mit Beginn des Schuljahres längst nicht alle Schüler Zugang zu Tablets oder Laptops haben. „Bei unserer Hauptschule hat ein großer Teil der Schüler nur ein Handy, das man sehr begrenzt für Unterricht nutzen kann“, sagt Lebek. Zu dem vom Ministerium angekündigten Programm zur Ausstattung der Schüler mit digitalen Endgeräten ist bislang an den befragten Schulen keine Information eingegangen.

Unterricht von 30 Kindern nicht verantwortbar

Gebauer hatte in den Ferien „als starkes Signal für mehr Chancengerechtigkeit“ angekündigt, dass digitale Endgeräte für rund 350 000 Schüler, die als bedürftig gelten, und Dienstrechner für die 200 000 Lehrern zur Verfügung gestellt werden sollten. Bestellen soll die der Schulträger. Der wird zu Beginn des Schuljahres aber erstmal den Bedarf in den Schulen ermitteln und die Modalitäten klären. Keiner rechnet damit, dass die Geräte kurzfristig zur Verfügung stehen.

All diese Fragen sind für Schulrektorin Dohle zweitrangig. An ihrer Schule lernen 1900 Kinder von 200 Lehrern. Wenn das Ministerium Spielräume eröffnen sollte, will sie diese schon ab dem ersten Schultag nicht alle gleichzeitig kommen lassen. „Wir halten Unterricht mit 30 Kindern derzeit für nicht verantwortbar und würden lieber mit dem Wechselmodell starten.“ Dann sind die Fenster vielleicht immer noch defekt, aber es atmen nur die Hälfte der Schüler im Raum.