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Nord-JerusalemNur zwei Stunden Wasser pro Woche trotz enormer Hitze

Lesezeit 3 Minuten
Der Supermond geht hinter dem Felsendom auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee in der Altstadt von Jerusalem auf.

Jerusalem: Der Supermond geht hinter dem Felsendom auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee in der Altstadt von Jerusalem auf. dpa-Bildfunk +++

Erfrischendes Nass gegen die Sommerhitze? Im Norden Jerusalems, fern von Altstadt und Urlauberhotels, bleiben die Wasserleitungen im palästinensischen Stadtteil Kufr Aqab die meiste Zeit trocken.

Es ist Sommer und es ist heiß. Auf eine erfrischende Dusche müssen die Bewohner von Kufr Aqab dennoch oft verzichten. Seit Monaten erhalten die palästinensischen Bewohner des Nordostjerusalemer Stadtteils kaum fließendes Wasser. In manchen Straßen sind es zwölf Stunden, in anderen zwei - pro Woche. Die verschiedenen Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.

Am Montagabend wandte sich das israelische Adalah-Rechtszentrum für Minderheiten im Namen von 204 Anwohnern an das oberste Gericht: Das Versäumnis, eine kontinuierliche und angemessene Wasserversorgung zu gewährleisten, untergrabe das Recht auf Gesundheit, Leben und körperliche Unversehrtheit.

Plastik-Tanks auf den Dächern bergen Gesundheitsrisiken

Ein Blick von oben zeigt das Ausmaß des Problems: Wie Pilze schießen Wassertanks auf den Dächern. Fast jede Familie hat zwei Tanks, sagt Ijad Sandouka vom Bürgerausschuss. 1.500 Liter passen in die Tanks, von denen auf manchen Hochhäusern nicht weniger als 40 stehen: Das macht 60 Tonnen Last, der die Dächer standhalten müssen. Vor ein paar Monaten sei hier eine Frau in den Tod gestürzt, als sie den Wasserstand prüfen wollte.

Auch in den Tanks lauere der Tod, sagt Sandouka. Die Quelle des zugekauften Wassers sei für die Menschen nicht prüfbar - und damit nicht seine Qualität. Das Plastik der Tanks gebe in der Sonne Partikel ab, die die Krebsgefahr erhöhten. Ohne Wasser sei die Hygiene sehr eingeschränkt. Regelmäßiges Duschen falle weg, auch der größere Hausputz und Wäschewaschen.

Die Methode, Wasser zuzukaufen, elektrisch auf die Dächer zu pumpen und in Plastiktanks zu lagern, „kostet nicht nur mehr als das Zehnfache des (...) Standardtarifs, sondern beinhaltet auch unkontrollierte und potenziell gefährliche Praktiken“, betont auch die Organisation Adalah. Die Lagerung von Wasser in Plastikbehältern sei mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden, heißt es unter Verweis auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Kufr Aqab wächst - die Infrastruktur nicht

Kufr Aqab wurde zum nordöstlichsten Stadtteil der heiligen Stadt - und nach dem Bau der israelischen Sperranlage vor rund 20 Jahren zu ihrem größten Viertel. Seit die Mauer es vom Rest Jerusalems abschneidet, kontrolliert die Stadt hier die Bauvorschriften so gut wie nicht. Das Dorf mit knapp 280 Einwohnern wuchs zu einer Art palästinensischem Manhattan. Konservative Schätzungen gehen von 80.000 Bewohnern aus, der Bürgerausschuss spricht von 120.000.

Hochhäuser entstehen ohne Genehmigung und Aufsicht. Hierher zieht die Mittelschicht ein, die die Hoffnung auf eine Baugenehmigung aufgegeben hat und sich die teuren Miet- und Kaufpreise auf der anderen Seite der Mauer nicht leisten kann oder will. Was in Jerusalem 700.000 Euro kostet, ist hier für unter 100.000 zu haben.

Das einst beschauliche, 1967 von Israel annektierte Dorf wächst. Der Ausbau der Infrastruktur hält nicht Schritt. Das ist nach Meinung der Betroffenen nur ein Auslöser der Wasserkrise. Die komplizierten Zuständigkeiten, erwachsen aus dem Nahostkonflikt, wiegen schwerer. Die verschiedenen Stellen weisen sich gegenseitig die Verantwortung zu.

Wasser als Luxusgut - Gericht soll Abhilfe schaffen

Umgerechnet rund 80 Euro kostet eine 1.500-Liter-Füllung, sagt Hassan Halawani, Bewohner des Viertels und ebenfalls im Bürgerausschuss. Mit vielen Einschränkungen kämen die meisten Familien auf zwei Tanks pro Woche. Nicht wenigen wächst diese finanzielle Last über den Kopf. Manche seien gezwungen, zwischen dem Einkauf von Wasser und Nahrung zu wählen. Der anhaltende Krieg macht die Lage nicht leichter. Über Wochen hielt Israel den Checkpoint geschlossen, kamen viele nicht zu ihren Arbeitsstellen in Jerusalem. Die wirtschaftliche Lage im abgeschnittenen Ortsteil verschlechterte sich.

Wöchentliche Demonstrationen, darunter auch eine vor dem Büro des Jerusalemer Bürgermeisters, zeigten bisher keine Wirkung. Bereits Anfang August wandten sich die beiden israelischen Organisationen Acri und Ir Amim zusammen mit Bewohnern an das oberste Gericht, um Abhilfe für die Wasserkrise zu fordern. Diese zeige „deutlich die systematische Verletzung der Grundrechte der Palästinenser durch Israel“, so Adalah. Selbst in Gebieten, die Israel als unter seiner Gerichtsbarkeit stehend betrachte, entziehe es sich seiner Verantwortung. Auch diesem Vorwurf soll nun das oberste Gericht nachgehen. (kna)