Ministerin Paul (Grüne) wird „Verschleierungstaktik“ bei der Aufklärung der Asylchronik von straffällig gewordenen Flüchtlingen vorgeworfen. Die Opposition spricht von „Behördenversagen“.
AbschiebepannenNRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul unter Druck
Die Asylchronik des algerischen Asylbewerbers Souat K., der am 23. November 2024 die zentrale Flüchtlingseinrichtung in Schleiden in Brand gesteckt haben soll, wächst sich zu einem Polit- und Justizskandal aus. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die nordrhein-westfälische Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) viele wichtige Details in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP zu diesem Fall ausgelassen. Die Vorgänge dokumentieren eine gewisse Hilflosigkeit, mit der der nordrhein-westfälische Abschiebeapparat straffälligen Asylbewerbern begegnet.
Der 35 Jahre alte Nordafrikaner, der kurz nach der Tat wegen siebenfachen versuchten Mordes festgenommen wurde, reiste im Dezember 2015 nach Deutschland ein. In Baden-Württemberg erhielt Souat K. zunächst eine Duldung. Anschließend verschwand er vom Radar der Ausländerbehörden. Niemand wusste, wo sich der Flüchtling aufhielt.
Acht Jahre war der mutmaßliche Attentäter spurlos verschwunden
Im November 2023 tauchte K. dann in NRW auf. Am 22. Januar 2024 stellte der Algerier einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Fünf Monate später wurde das Gesuch abgelehnt. Grund: Souat K. kam nicht zum Anhörungstermin. Mit einem Bescheid vom 10. Juni sollte der Algerier binnen einer Woche ausreisen. Andernfalls drohte ihm die Abschiebung in sein Heimatland. Zu dieser Zeit lebte der Delinquent in der zentralen Zuwanderer-Unterkunft in Bonn. Am 25. Juni wurde ihm der BAMF-Beschluss übergeben.
Dann aber geschah: Nichts. Erst am 27. August suchten Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde in Köln den Algerier auf. Höflich boten die Besucher Souat K. ein Beratungsgespräch zur Ausreise an. Doch der Algerier lehnte das Angebot ab. Tags darauf veranlassten die Kölner eine sogenannte „Passersatzbeschaffungsmaßnahme“ für die maghrebinischen Staaten Algerien, Tunesien und Marokko. Seitdem bemüht sich das Kölner Amt um besagte Dokumente – bisher erfolglos. All diese Fakten finden sich nicht in der Antwort der Ministerin Paul an die FDP wieder. Sollte so das Versagen der Ausländerbehörde kaschiert werden?
Der Nordafrikaner galt als tickende Zeitbombe
Souat K. war allein im vergangenen Jahr in sechs Strafverfahren unter Tatverdacht geraten. Ihm werden Betrug, Untreue, Diebstahl in sieben Fällen, Drogendelikte sowie sexueller Missbrauch einer 13-jährigen Schülerin in Düren zur Last gelegt. Dennoch, so teilte das Ministerium mit, könne der Mann mangels Passersatzpapiere nicht nach Algerien rückgeführt werden.
Eine weitere wichtige Information erwähnte die Grünen-Politikerin Paul nicht: Souat K. galt als Sicherheitsrisiko, als tickende Zeitbombe. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, hatte er schon am 2. April 2024 versucht, sich das Leben zu nehmen. Bereits hier offenbarten sich psychische Auffälligkeiten. Am 8. November schluckte der Heimbewohner in Schleiden drei Klingen eines Teppichmessers. Ein Notarzt rettete ihm das Leben. Danach wurde der Algerier in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dort aber konnte man keine seelischen Erkrankungen feststellen. Umgehend wurde Souat K. wieder entlassen. Gut zwei Wochen später soll er die Flüchtlingsunterkunft niedergerbrannt haben. 16 Bewohner erlitten Rauchvergiftungen.
Inzwischen haben Justiz und Polizei offenbar erkannt, dass der mutmaßliche Täter womöglich ein psychisch kranker Amokläufer sein könnte. Eine entsprechende Untersuchung soll Aufschluss über seinen geistigen Gesundheitszustand liefern.
Zahlreiche Attentäter reisten mit mehreren Identitäten durch Europa
Die Hilflosigkeit der Behörden gegenüber kriminellen Asylbewerbern, die ihre Identität meist verschleiern, wirft Schlaglichter auf Mängel im nordrhein-westfälischen Abschiebe-System. Es zeigt sich eine überforderte Bürokratie, der in einigen Fällen schlichtweg der Überblick zu fehlen scheint. Nicht nur bei Souat K. ist unklar, was er jahrelang in Deutschland oder im europäischen Ausland getrieben hat.
Auch der 22 Jahre alte islamistische Terrorist, gegen den vielfach in NRW ermittelt wurde und der im Januar 1996 dabei erschossen wurde, als er mit einem Schlachtermesser und Rufen wie „Allah ist groß“ auf zwei Polizisten zugestürmt war, hatte mindestens sieben Identitäten. Anis Amri, der im Dezember 2016 mit einem LKW einen Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz verübt hat und sich vorher nahezu unbehelligt von Behördenmaßnahmen unter anderem in NRW aufhielt, besaß 14.
Der Krefelder Kino-Brandstifter hatte 27 Identitäten
Trotz Fingerabdruck-Kontrolle bei Asylbewerbern ist das Problem bis heute noch nicht gelöst. Hassan N., der im Oktober vergangenen Jahres versucht hat, ein von fast 90 Menschen besuchtes Kino in der Krefelder Innenstadt mit Benzin anzuzünden, verfügte sogar über 27 Identitäten. Seine Geschichte steht exemplarisch für ein Abschiebeversagen, das einem wiederkehrenden Muster zu folgen scheint.
2002 erstmals nach Deutschland eingereist, soll N. sich unter anderem in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Spanien aufgehalten haben. Einen Asylantrag hat er dem Vernehmen nach nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark, Norwegen, Schweden, der Schweiz und Österreich gestellt. 2008 wurde der Mann den Ausländerbehörden in Krefeld zugeteilt, die von den Anträgen in anderen Ländern nichts wussten.
Abeschiebung nur möglich, wenn der straffällige Asylbewerber einverstanden ist
N. jedenfalls füllte schnell schon Strafakten bei Justiz und Polizei. Am 5. Juli 2010 wurde er durch das Landgericht Krefeld zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. In der Anklage ging es um Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohungen und Beleidigungen. Aus der Haft entlassen, verschwand der Mann, der aus dem Iran stammen soll, vermutlich in Frankreich. Erst zehn Jahre später, im April 2024, tauchte er wieder in Krefeld auf. Die Franzosen lehnten ein „Rückübernahmeersuchen“ der deutschen Ausländerbehörde ohne Begründung ab.
Hassan N. durfte weiterhin in Krefeld bleiben. Für das nordrhein-westfälische Flüchtlingsministerium ist das logisch. Der Mann verfüge schließlich über „keinerlei Reisedokumente und wirkte in der Vergangenheit auch nicht an seiner Passbeschaffung mit“, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums an den Landtag. Und, unterstellt die „Person“ stamme tatsächlich aus dem Iran: Die iranischen Behörden würden für die Ausstellung der notwendigen Dokumente doch eine „Freiwilligkeitserklärung“ der Betroffenen verlangen. „Darin müssen von Abschiebungen betroffene Personen erklären, dass sie freiwillig in ihr Heimatland Iran zurückreisen wollen“, heißt es in der Stellungnahme des NRW-Ministeriums. Die Erklärung werde, wie auch im vorliegenden Fall, von den abgelehnten Asylbewerbern „in der Regel“ nicht unterschrieben.
Krefelder Oberbürgermeister fordert mehr Engagement vom Land
Die Abschiebung von N. sei also gar „nicht als gescheitert anzusehen“, weil sie „vorliegend nicht in Betracht“ gekommen sei, so das Resümee der Ministerialen. Nordrhein-westfälische Beamtenlogik kann man das wohl nennen, das Problem mit dem Serienstraftäter aber blieb. Frank Meyer, SPD-Oberbürgermeister von Krefeld, fordert auf Anfrage, die nordrhein-westfälische Landesregierung müsse mehr Verantwortung bei der Betreuung und dem Abschiebevollzug von Asylsuchenden übernehmen. Die Kommunen seien „mit den vielen Asylfällen überfordert“, so Meyer: „Wenn es nicht nur bei Hoffen und Beten bleiben soll, brauchen wir andere Strukturen und Einrichtungen, in denen diese Menschen betreut werden, zentral beim Land und mit speziell geschultem Personal.“
Die zuständige Ministerin Josefine Paul soll am kommenden Montag bereits im Untersuchungsausschuss zum islamistischen Terrorangriff in Solingen befragt werden, bei dem im August vergangenen Jahres ein syrischer Asylbewerber drei Menschen auf einem Stadtfest getötet hat. Die Fraktionen von SPD und FDP vermuten „systemische Mängel“ bei der Abschiebung von Straftätern, werfen der Ministerin eine „Verschleierungstaktik“ und „leere Worthülsen statt eigener Initiative“ vor. Ähnlich könnte sich jetzt auch die Aufarbeitung des Brandanschlags in Schleiden entwickeln.
FDP: „Ministerin Paul wollte das Risiko kleinreden oder vertuschen“
„Der Fall Souat K. dokumentiert wieder einmal ein erschreckendes Behördenversagen und den mutmaßlichen Versuch von Ministerin Josefine Paul, die Wahrheit zu verschleiern“, sagte Marc Lürbke, Sprecher für Innen- und Migrationspolitik der FDP-Landtagsfraktion, nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ihm die bisher unbekannten Details des Falls erläutert hat. „Mit ihrer unvollständigen Antwort auf unsere Anfrage hat die Ministerin entweder versucht, das enorme Sicherheitsrisiko, das von dem Nordafrikaner ausging, klein zu reden oder zu vertuschen.“ Klar sei: „Souat K. war eine Gefahr für sich selbst und sein Umfeld. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, hat Ministerin Paul anscheinend einfach weiter weggeschaut und dadurch Menschenleben riskiert.“
Das Flüchtlingsministerium weist diese Vorwürfe zurück. Man habe nichts verschleiert, nach den Details des Falls sei bisher noch nicht gefragt worden. „Die rechtmäßige Rückführung von Gefährdern und Straftätern hat für die Landesregierung Priorität“, betonte eine Sprecherin des Ministeriums. Für konkrete Rückführungen indes müssten alle rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen. „Das Land hat im Rahmen eines Maßnahmenpakets für Sicherheit, Migration und Prävention unter anderem die Zentralen Ausländerbehörden personell und finanziell gestärkt, um die Kommunen bei Rückführungen noch besser unterstützen zu können."
Ministerium weist alle Vorwürfe zurück
In einem neu eingeführten „Fallmanagement“ würden die örtlichen Ausländerbehörden beim „Umgang mit Straftätern und Personen mit erheblich negativem Sozialverhalten“ vom Land unterstützt. Doch auch hier zeige sich, „dass alle Länder-Maßnahmen nicht ausreichen, wenn die Herkunftsländer bei der Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen blockieren“, ergänzte die Ministeriumssprecherin. Hier bleibe die Bundesregierung gefordert, „mit relevanten Zielstaaten stabile und praxiswirksame Rahmenbedingungen gerade in den wichtigen Bereichen Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung zu erreichen".