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Niederländerin praktiziert in Dortmund„Deutsche Frauen sind dankbar, dass wir nicht schimpfen“

Lesezeit 5 Minuten
Der Paragraf 218 zum Schwangerschaftsabbruch steht in einem Habersack Gesetzestext.

In Deutschland wird über den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches gestritten. Eine Abtreibungsärztin aus den Niederlanden erfährt in ihrer Dortmunder Dependance täglich von den Nöten deutscher Frauen.

Gabie Raven betreibt eine Schwangerschaftsabbruch-Klinik in Dortmund. Demonstranten werfen ihr „Kindertötung“ und „Babycaust“ vor.

Frau Raven, Sie sind Niederländerin und betreiben in Roermond und Rotterdam zwei Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche. Im vergangenen Jahr haben Sie nach Dortmund expandiert, um einen besseren Zugang für deutsche Frauen zu bieten. In den Niederlanden ist ein Abbruch bis zur 24. Woche straffrei. Warum entscheiden sich auch manche deutschen Frauen so spät?

Gabie Raven: Sie entscheiden sich nicht spät. Die meisten Frauen wissen in dem Moment, in dem sie auf den Schwangerschaftstest blicken, ob sie das Kind wollen oder nicht. Trotzdem kommen Frauen zu mir, die ein Ultraschallbild aus der siebten Woche haben, nun aber schon in der 17. Woche sind. Ich frage dann immer: Was ist Ihnen denn in der Zwischenzeit passiert?

Und die Antwort?

Die meisten deutschen Frauen haben eine Odyssee hinter sich. Sie wurden hin und her geschickt. Zur Beratung. Zum Frauenarzt. Zur Krankenkasse wegen einer möglichen Kostenübernahme. Manchmal wurden sie belogen. Denn zum Frauenarzt oder zur Krankenkasse müssen sie gar nicht. Überall haben sie andere Hinweise bekommen. Und Listen mit Ärzten. Aber keinen schnellen Termin. Und irgendwann kommen sie dann zu einem Arzt und der sagt: Jetzt seid ihr zu spät. Zumindest für die Methode, die der Arzt dort eben anbietet. Dann suchen sie ihre Rettung in den Niederlanden. Wir machen den Abbruch in unserer Praxis bis zur 18. Woche. Ich hasse Spätabbrüche allerdings auch. Die Praxisklinik in Dortmund soll deshalb gar nicht mehr deutschen Frauen den Weg zu Spätabbrüchen erleichtern, sie soll einen Beitrag dazu leisten, dass diese Frauen früher abbrechen können.

„In NRW hat sich die Anzahl der Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche halbiert“

Würde eine Legalisierung des Frühabbruchs, wie er in Deutschland von einer Expertenkommission vorgeschlagen wurde, die Lage der Frauen verbessern?

Ich sollte jetzt ja sagen, ich glaube aber eher nicht. Was nutzt es uns, wenn es erlaubt ist, aber es viel zu wenige Angebote gibt? In Bayern ist die Lage katastrophal, aber auch in NRW und ganz Deutschland hat sich die Anzahl der Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche halbiert.

Gabie Raven in Dortmund

In der Gynaikon Klinik in Dortmund-Körne bietet Ärztin Gabie Raven aus den Niederlanden Schwangerschaftsabbrüche, Sterilisation und Verhütungen an.

In Dortmund beispielsweise gab es vor gut zehn Jahren noch zehn Anlaufstellen, heute sind es mit meinem Angebot vier. Was viel mehr helfen würde, wäre eine Entbürokratisierung. Eine Abschaffung der Beratungspflicht nach französischem Vorbild wäre beispielsweise ein guter Schritt. Das kostet zum Teil viel Zeit und verursacht bei den Frauen zusätzlichen Stress. Außerdem sollte es eine generelle Kostenübernahme geben, das ist in den Niederlanden auch so. Gerade ärmere Frauen sollen sich da nicht so fühlen, als müssten sie um die Leistung betteln.

Welche Frauen kommen denn hauptsächlich zu Ihnen nach Dortmund?

Im vergangenen Jahr habe ich hier 820 Eingriffe durchgeführt. Der Großteil der Frauen ist zwischen 25 und 35 Jahre alt. Viele haben schon Kinder, aber zu wenig Geld für ein weiteres. Oder es gibt Partnerschaftskonflikte. Manche sind Migrantinnen, die aus dem Krieg kommen und in dieser Situation kein Kind wollen. Mich geht das alles nichts an. Aber was ich sagen kann: Deutsche Patientinnen sind immer unfassbar nett, netter als Niederländerinnen. Das liegt einfach daran, dass sie in Deutschland so schlecht behandelt wurden. Sie fühlen sich wie Kriminelle, man hat ihnen oft überall Vorwürfe gemacht. Und dann sind sie sehr dankbar, wenn wir nicht schimpfen.

„An die 70 Mann mit Rosenkränzen und ekligen, blutigen Bildern“

Welche Erfahrungen haben Sie mit Abtreibungsgegnern in Dortmund gemacht?

Da standen schon mal an die 70 Mann mit ihren Rosenkränzen, haben gesungen, gebetet und eklige blutige Bilder hochgehalten, die die Frauen einschüchtern sollten. Unser Vorteil ist aber, dass wir in einem Gebäude untergekommen sind, in dem auch ein Supermarkt, ein Zahnarzt, eine Apotheke sowie Physiotherapeuten ansässig sind. Das bedeutet, die Demonstranten wissen gar nicht, welche Patientinnen zu uns kommen, sie werden deshalb nicht direkt belästigt.


GABIE RAVEN, 62 Jahre, ist Ärztin und kommt aus den Niederlanden. Sie hat zwei Praxen für Schwangerschaftsabbrüche in Rotterdam und Roermond und seit einem guten Jahr eine in Dortmund. Als junge Frau hat sie in Sambia gearbeitet, wo Abbrüche verboten sind und die Frauen deshalb in ihrer Not zu Hexenärzten gehen oder es mit Stricknadeln selbst versuchen. Manche sterben daran.


Wurden Sie in Dortmund bedroht?

Schon. Mir wird „Kindertötung“ vorgeworfen. Mit Feuer und mitunter auch Erschießung gedroht. Da fielen auch schon antisemitische Vergleiche, von „Babycaust“ war die Rede. Aber am meisten Probleme habe ich mit einigen Dortmunder Gynäkologinnen und Gynäkologen, die mir vorwerfen, ich würde ihnen die Patientinnen abluchsen, weil die sich bei mir auch über Verhütung informieren können. Sie bezeichnen meine Mitarbeiter und mich als „fiese Dreckspäcke“, sagen, dass wir abhauen sollen mit unserer fiesen Werbung für Abtreibung. Solche Kollegenschelte führt dazu, dass auch nach der Abschaffung des Paragrafen 219a viele deutsche Ärzte auf ihrer Webseite nicht darauf hinweisen, dass sie Abbrüche anbieten. Was in Deutschland als Werbung bezeichnet wird, nennen wir in den Niederlanden übrigens Aufklärung.

Müssen also auch Ärztinnen und Ärzte noch dazulernen?

Auf jeden Fall. Da muss sich noch viel in den Köpfen tun. Es gibt so viele, die sich zum Beispiel gerne darin sonnen, Kinderärzte zu sein. Die haben natürlich einen besseren Ruf als ich. In den Niederlanden habe ich eine Zeitlang vormittags Säuglinge und Kleinkinder untersucht und nachmittags Abbrüche vorgenommen. Viele fanden das verstörend. Für mich sind es zwei Seiten derselben Medaille. Beides sind medizinische Leistungen, die ich so gut machen will, wie möglich.