Viele NRW-Städte bedienen sich einer Ausnahmeregelung: Köln ist bereits auf Distanz zur Bezahlkarte, Mönchengladbach hat sie gerade abgelehnt. Was sind die Gründe?
Bezahlkarte für GeflüchteteWarum die flächendeckende Einführung in NRW gescheitert ist
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ARCHIV - 13.12.2024, Hessen, Wiesbaden: ILLUSTRATION - Eine Bezahlkarte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber und ein 50-Euro-Schein liegen nebeneinander. (zu dpa: ´Land stoppt Wiesbaden bei Asylbewerber-Bezahlkarte») Foto: Andreas Arnold/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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In Nordrhein-Westfalen gehen zahlreiche Städte auf Distanz zur Bezahlkarte für Asylsuchende. Eine Entwicklung, die Ministerpräsident Hendrik Wüst sich so wohl nicht vorstellte, als er vor einem Jahr vor Journalisten in Düsseldorf sagte, dass die Bezahlkarte für Asylbewerber flächendeckend in seinem Bundesland eingeführt werden solle. NRW sei da „voll im Geleit mit den 14 Ländern“, die sich gemeinsam auf den Weg gemacht hätten. Es sei aber der Wunsch der kommunalen Spitzenverbände in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe gewesen, so Wüst, dass die Bezahlkarte freiwillig eingeführt werden dürfe. „Sonst hätte es keine Einigung des Bundes mit den kommunalen Spitzenverbänden gegeben“, erläuterte der Christdemokrat seinerzeit.
Ein wichtiges Detail blieb vom Regierungschef unerwähnt. Sein grüner Koalitionspartner sträubt sich vehement gegen die Bezahlkarte, die verhindern soll, dass Asylbewerber ungehindert staatliche Leistungen in die Heimat transferieren oder Sozialleistungsmissbrauch begehen. Und so verabschiedete die Landtagsmehrheit im Dezember 2024 zwar, die Bezahlkarte einzuführen. Allerdings wurde es den jeweiligen Kreisen und Städten über die sogenannte „Opt-out-Klausel“ freigestellt, diesen neuen Finanz-Modus zu installieren. Ein Kompromiss, den Wüst den Grünen zugestand.
Allerdings mit fatalen Folgen. Zahlreiche Großstädte an Rhein und Ruhr lehnen die Bezahlkarte ab. Die Kölner Stadtverwaltung hat am 12. Februar einen Antrag in den Rat gebracht, das Karten-Modell nicht zu übernehmen. Begründung: „Die Verwaltung teilt die Bedenken vieler Kommunen, dass die Einführung der Karte den bürokratischen und finanziellen Aufwand stark erhöhen könnte“. Somit zeichnet sich ab, dass die Grünen in der Rheinmetropole in einem roten Ratspakt die Bezahlkarte stoppen werden.
Am Donnerstag teilte die Stadt Mönchengladbach mit, die Karte „vorerst nicht einzuführen“. Demnach habe die Verwaltung ihre Empfehlung, die Opt-out-Regelung zu nutzen, unter anderem damit begründet, dass es bei der Umsetzung der Bezahlkartenverordnung noch zahlreiche Unklarheiten gibt. Der Mehraufwand für die Verwaltung bei Einführung der Karte beispielsweise sei nicht absehbar. Die Bezahlkarte schränke die gesellschaftliche Teilhabe und Integration geflüchteter Menschen erheblich ein. Und die Annahme, dass sich mit der Karte die Zahl der Asylsuchenden verringern lasse, sei wissenschaftlich nicht haltbar. Auch in Dortmund, Krefeld, Leverkusen, Münster, Duisburg haben sich Anti-Card-Allianzen zwischen Grünen, der SPD und kleineren Linksparteien gebildet. Kürzlich erst verhinderte ein von SPD und Grünen angeführtes Bündnis im Düsseldorf Stadtrat die Guthabenkarte – gegen die CDU des Oberbürgermeisters Stephan Keller.
Nur in Essen will Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) die neue Asylbewerber-Debit-Card auf den Weg bringen. Betroffen sind laut der Stadtsprecherin Silke Lenz derzeit 797 Asylbewerber. Wie viele andere Städte an der Ruhrschiene steht man hier unter großem Druck. Mit 16.000 Zuwanderern hat Essen eine der bundesweit größten syrischen Communitys mit all ihren sozialen und finanziellen Herausforderungen. OB Kufen setzt auf die Bezahlkarte, um etwaigen Missbrauch von staatlichen Leistungen einzudämmen. Allerdings warte man noch auf Handlungsanweisungen durch Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne), „um die Bezahlkarte praktisch umsetzen zu können“, so Stadtsprecherin Lenz. Geht alles nach Plan, werde man im Mai soweit sein, das Zahlungsmittel in Essen zu verteilen.
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Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) will die Bezahlkarte in seiner Stadt auf den Weg bringen.
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Zu Jahresbeginn hatte die Landesregierung die Ausgabe einer Debitkarte ohne Kontobindung zunächst in den Landesunterkünften Dortmund-West, Borgentreich (Detmold), Remscheid, Euskirchen und Gladbeck erprobt. Schrittweise sollten in den kommenden Monaten alle etwa 100.000 Flüchtlinge in NRW die Bezahlkarte erhalten, die entweder Asylbewerberhilfen beziehen oder die ans Bürgergeld angelehnten Analogleistungen. Ein monatliches Taschengeld würde damit nur noch als Guthaben gewährt. Mit der Karte können maximal 50 Euro in bar abgehoben werden.
Bis Ende März wird das Zahlungsmittel an die Bewohner in allen rund 50 Landesunterkünften ausgegeben. Anschließend war ein „Rollout“ auf die Flüchtlinge in kommunaler Verantwortung geplant. Für Alleinstehende steht aktuell ein Kartenguthaben von monatlich 196 Euro zur Verfügung, für Jugendliche 133 Euro und für Kleinkinder 126 Euro. Die Einführungskosten des Dienstleisters, die Materialkosten der Karten, deren Aufladung und mögliche Schulungen in der Höhe von zwölf Millionen Euro zahlt das Land.
Die kommunalen Spitzenverbände warnen vor einem Flickenteppich. „Obwohl sich die Verbände vehement für eine klare und einheitliche Lösung ausgesprochen haben, hat die Landesregierung eine Opt-out-Regelung eingeführt“, kritisiert Christoph Landscheidt, Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW. „Das Land hat sich damit abermals vor einer politisch heiklen Frage weggeduckt und sie stattdessen auf die Kommunen abgewälzt.“ Anstatt die Maßnahme auf neue Geflüchtete in Sammelunterkünften zu beschränken, habe die Landesregierung sich dafür entschieden, auch bereits angekommene Personen mit einer Bezahlkarte auszustatten. Eine Vielzahl dieser Leistungsberechtigten sei in privaten Unterkünften untergebracht und zahle über ein Girokonto alltägliche Dinge wie Miete, Energieabschläge, Vereinsbeiträge oder den Mobilfunkvertrag, moniert der Städtebund „So ist völlig unklar, wie in Zukunft Zahlungen an Vermieter und Energieversorger sichergestellt werden sollen.“ Offen sei auch, wie Überweisungen von der Guthabenkarte auf andere Girokonten „erfolgen und gesteuert“ werden könnten.
Nun wäre es an Flüchtlingsministerin Paul, die Dinge zu ordnen. Doch das Ministerium kontert: Gerade die Tatsache, dass einige Städte und Kommunen auf die Bezahlkarte verzichten wollen, zeige doch, „dass es richtig war, hier im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung die Wahlfreiheit zu lassen“, teilt eine Ministeriums-Sprecherin mit: „So haben die Kommunen die Möglichkeit, an vor Ort bereits etablierten beziehungsweise gut funktionierenden Systemen festzuhalten.“ Dabei hört Paul auch vom schwarzen Koalitionspartner Kritik. So hält der CDU-Landtagsfraktionsvize Gregor Golland „die flächendeckende Einführung der Bezahlkarte für richtig und wichtig. Wir müssen sowohl den Missbrauch von Leistungen als auch die Anreize für Flüchtlinge massiv reduzieren. Die meisten Flüchtlinge in Europa kommen nach Deutschland, weil es hier die höchsten Sozialleistungen gibt“, sagt Golland.
Just im Endspurt zur Bundestagswahl hat die NRW-Landtagsfraktion der FDP nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ einen Gesetzesentwurf in den Landtag eingebracht, der die Opt-out-Regelung für die Bezahlkarte abschaffen will. „Verbindliche und einheitliche Standards statt kommunalem Wirrwarr“, fordert Marc Lürbke, integrationspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. „Die Opt-out-Regelung ist ein Offenbarungseid: Die CDU lässt sich von ihrem grünen Juniorpartner am Nasenring durch die Manege ziehen.“