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Sprachkampf im KlassenzimmerKölner Gymnasium gendert konsequent – NRW verzichtet auf klare Regeln

Lesezeit 5 Minuten
An einem Whiteboard steht das Wort Lehrer in verschiedenen Gender-Schreibweisen.

Gendern an Schulen ist ein Thema, das stark polarisiert.

Während andere unionsgeführte Länder Verbote ankündigen, setzt NRW auf Eigenverantwortung. Manche Schulen berichten von empörten Mails.

An Sternchen und Doppelpunkt im Unterricht scheiden sich die Geister. Das Thema Gendern an den Schulen polarisiert und wird gerade wieder von der Politik als Thema offensiv aufs Schild gehoben: So sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kurz vor Weihnachten dem Gendern den Kampf an und kündigte im Landtag an, Bayern werde das Gendern in Schule und Verwaltung künftig verbieten. Eltern- und Lehrerverbände liefen Sturm und warfen Söder „Populismus“ und Spaltung vor. Vom Sprachkampf im Klassenzimmer war die Rede.

Auch der gerade frisch besiegelte Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Regierung in Hessen greift das Thema auf: Dort steht, dass auf das Gendern mit Sonderzeichen in Schulen und Universitäten künftig verzichtet werden soll. In Sachsens Schulen werden Genderformen etwa in Aufsätzen als Fehler markiert. Auch im neuen Grundsatzprogramm der CDU taucht der Genderstern auf: Die Union wolle, dass in Behörden, Schulen und Universitäten „keine grammatikalisch falsche Gender-Sprache verwendet wird“.

Rat für Deutsche Rechtschreibung empfiehlt Sonderzeichen nicht, schafft aber ein Dilemma

In Nordrhein-Westfalen betrachtet man die Kontroverse deutlich abwartender und will auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ merklich kein Öl ins Feuer gießen. Von der Prüfung eines Genderverbots mag im CDU-geführten Schulministerium keiner sprechen. Auf Nachfrage verweist man allerdings auf den Beschluss der Kultusministerkonferenz, wonach die Schulen an das Amtliche Regelwerk gebunden seien, das vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegeben wird. Der hat zuletzt am 16. Dezember nach erneuter Prüfung „nicht empfohlen, Sonderzeichen zur Kennzeichnung von Geschlechtsidentitäten im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk aufzunehmen.“ Mit der Begründung, dass eine geschlechtergerechte Sprache verständlich, lesbar und vorlesbar sein müsse. Gleichzeitig schränkte der Rat aber ein, er werde die weitere Schreibentwicklung intensiv beobachten, „da geschlechtergerechte Schreibung aufgrund des gesellschaftlichen Wandels noch im Fluss ist“.

Für die Schulministerien in den Ländern bedeutet dies ein Dilemma. Man hatte sich durch eine Richtlinie endlich mehr Klarheit erhofft bei dem Thema, das in den Schulen für viel Unruhe sorgt: Aber eine Empfehlung ist keine Festlegung und schon gar keine klare Vorgabe. Und bei der noch heikleren Frage, wie man damit umgeht, wenn Schülerinnen oder Schüler in Klausuren bei einem etwaigen Genderverbot eben doch gendern, zieht sich der Rat dann ganz raus und spielt den Ball zurück: Vorgaben für die Bewertungspraxis liegen in der Zuständigkeit der Schulpolitik, heißt es in der Mitteilung des Rates für Deutsche Rechtschreibung. Auch ob Toleranz „eine schulpolitische Handlungsoption“ sei, müssten die verantwortlichen staatlichen Stellen entscheiden. Der Rat kündigte allerdings an, in Kürze noch ausführliche Erläuterungen zu dem Passus „Sonderzeichen“ im Amtlichen Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung vorzulegen.

Kölner Gymnasium gendert explizit – mit Verweis auf Vielfalt

Aus Sicht des NRW-Schulministeriums ist es dringend erforderlich, dass der Rat diese Erläuterungen liefert und darin dann auch konkreter wird, damit das Thema aus der Grauzone rauskommt. Die Erklärung wolle man dann sorgfältig auswerten und dann auf dieser Grundlage „etwaige Konsequenzen für die Schulen in NRW ergebnisoffen prüfen“, so das Ministerium.

Bis dahin regeln die Schulen in Nordrhein-Westfalen quasi eigenverantwortlich, wie sie mit dem Thema umgehen. Da gibt es Schulen wie das Kölner Schiller-Gymnasium, wo die Schulkonferenz nach Angaben der Schülervertretung beschlossen hat, auf Arbeitsblättern, die in Klassen oder Kursen verteilt werden, grundsätzlich zu gendern. Als „Schule der Vielfalt“ will man sich besonders für Diversität einsetzen und sieht das Gendern als wichtiges gesellschaftliches Mittel, weil es eben alle meint – auch Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Andere Schulen berichten von empörten Mails von Eltern, wenn Schulleitungen in Schulmails den Genderstern verwenden.

Der Kölner Sprachforscher Michael Becker-Mrotzek, selbst Mitglied der ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, findet es richtig, das Thema an den Schulen ohne Vorgaben offen zu gestalten. Der Ruf nach verbindlichen Gender-Regeln sei der falsche Weg, konstatiert Becker-Mrotzek, der auch Direktor des Mercator-Instituts für Sprachforschung der Uni Köln ist. Sprache sei immer im Wandel und Schule der Ort, wo darüber diskutiert werden müsse. „Man muss sich Sprachentwicklung vorstellen wie Trampelpfade. Neue Sprachwege bilden sich, andere wachsen zu. Was sich am Ende durchsetzt oder wieder zuwächst, ist ein dynamischer Prozess.“

Am Gendern entzündet sich eine gesellschaftliche Debatte

So gelassen sehen das allerdings längst nicht alle: Im Rahmen einer tiefenpsychologischen Studie des „Rheingold“-Instituts lehnt von den Befragten zwischen 14 und 35 Jahren etwas mehr als die Hälfte die Genderdebatte ab und fühlt sich davon genervt und provoziert. 44 Prozent finden sie wichtig. Laut einer Forsa-Umfrage unter allen Altersgruppen sind 48 Prozent für ein Genderverbot, 46 Prozent dagegen. Der Soziologe Steffen Mau, der für seine aktuelle Groß-Studie mehrere tausend Deutsche zu vielen gesellschaftlichen Belangen – unter anderem zum Gendern – befragt hat, sieht in dem Thema einen sogenannten „Triggerpunkt“, an dem sich eine aufgeheizte gesellschaftliche Debatte entzündet.

Das heißt, es geht um viel mehr als um geltende Rechtschreibung, Doppelpunkte oder Sternchen, weil das Thema Gefühle hervorruft – wie eben die Sorge vor einem vermeintlich aufgezwungenen Wandel, gegen den man sich wehrt. Diese sogenannte „affektive Polarisierung“ werde dann von Politikern und sozialen Medien gezielt befeuert und damit instrumentalisiert.

Dabei bleibt es bislang bei der öffentlichkeitswirksamen Ankündigung des Genderverbots an Schulen. Eine entsprechende Verordnung, die das Ganze erst verbindlich wirksam machen würde, gibt es selbst in Bayern noch nicht. Denn die müsste ja die Frage beantworten, wie das Verbot denn überhaupt umgesetzt werden soll und wie Verstöße gegen das Genderverbot etwa in Klassenarbeiten oder gar auf dem Schulhof sanktioniert werden. Das werde man schon noch „alles sehen“, hat Ministerpräsident Söder auf entsprechende Nachfragen geantwortet.