Ein Mann vermietet Zimmer in zehn Frauen-Wohngemeinschaften im Stadtzentrum von Bonn. Einige Mieterinnen erheben schwere Vorwürfe. Nach einer Betrugsanzeige ermittelt die Staatsanwaltschaft. Bei Gericht ist der Unternehmer schon bekannt.
Bonner Vermieter mit Abzock-MascheEine dubiose Vertragsklausel bringt Studentinnen in WGs um ihre Kaution
Nachrückverfahren, Medizinstudium, in zwei Wochen geht’s los. Die Zusage verändert vor drei Jahren das Leben von Anna (Name geändert), die damals noch 250 Kilometer von Bonn entfernt wohnt. Die 20-Jährige freut sich erst, dann steigt Panik auf. Wie bekommt sie in den paar Tagen noch eine Wohnung? Nach einem Telefonat mit einem Bonner Vermieter kann sie ihr Glück kaum fassen: Sie soll den Mietvertrag sofort unterschreiben.
So rutscht Anna in ein mutmaßliches System, das dem Vermieter mehrere Studentinnen vorwerfen. Sie beschuldigen ihn, die Miete für ein Jahr im Voraus zu verlangen, nach Mietende Anteile ihrer Kautionen einzubehalten und regelmäßig Mietverträge unrechtmäßig für nur ein Jahr auszustellen. Der Mitte 50-Jährige vermietet ausschließlich an junge Frauen.
Klagender Vater: „Der plant von Beginn an, das Geld später nicht zurückzuzahlen“
Grundbüchern zufolge besitzt er mindestens zwei Mehrfamilienhäuser in der Nähe des Stadtzentrums, ein drittes gehört ihm mit Ausnahme einer Wohnung. In einem vierten Haus wohnt er selbst zur Miete und vermietet über seiner eigenen Wohnung noch eine weitere WG. Der private Vermieter verwaltet mindestens zehn WGs, in denen je bis zu sieben jungen Frauen leben.
Christoph Dänzer-Vanotti ist Jurist, auch seine Tochter wohnte in einer der WGs. Er zeigte den Vermieter im vergangenen Oktober wegen mutmaßlichen Betrugs an. „Der plant von Beginn an, das Geld später nicht zurückzuzahlen.“ Dänzer-Vanotti übergab der Staatsanwaltschaft nach eigener Aussage eine Liste mit 20 Studentinnen, die ihre Kautionen nicht ordnungsgemäß zurückerhalten haben sollen.
Die Staatsanwaltschaft bestätigt eine Anzeige mit dem Verdacht. Es sei bereits „ein Ermittlungsverfahren gegen einen Vermieter aus dem Bonner Raum eingeleitet worden“. Vom Amtsgericht Bonn heißt es: Der Vermieter wurde 2022 neun Mal zu Kautionsrückzahlungen verurteilt, 2023 acht Mal.
Vermieter ist schon zig Mal zur Rückzahlung von Kautionen veruteilt
Anna steckt mitten im Umzug. Sie muss noch Freunde verabschieden, Dokumente suchen, packen. Seit ihrer ersten Nachricht an den Vermieter ist all das von ständigem Telefonklingeln begleitet. Der Vermieter soll sie gedrängt haben, möglichst zeitnah zu unterschreiben. Sonst gebe er das Zimmer einer anderen Interessentin. Es sei „ein regelrechter Telefonterror“, sagt Anna.
Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegt eine Mail vor, die ihre Erzählung belegt. Der Vermieter erinnert noch einmal an die Zeitnot – „Wie telefonisch vereinbart“. Außerdem solle sie möglichst schnell die Miete für ein Jahr im Voraus zahlen. Das kann legal sein, sofern beide Parteien einverstanden sind und kein Druck ausgeübt wird. Zu diesem Zeitpunkt hätte Anna jedoch jede Wohnung genommen.
So ging es offenbar auch anderen Parteien. Unserer Zeitung liegen sechs Mietverträge aus drei Häusern vor, in denen der Vermieter Zimmer verwaltet. Die Kaution fordert er meist innerhalb einer Woche. Zusätzlich sind Zahlungsaufforderungen wie die einer Studentin gängig: Rund 7400 Euro sollte sie dem Vermieter in einer Woche senden – für Kaution und Jahresmiete.
Und es fällt noch etwas auf: Der Vermieter befristet seine Mietverträge in der Regel auf ein Jahr. Sie beginnen meist kurz vor dem Wintersemester und enden wieder am Ende des folgenden Sommersemesters. Das begründet der Vermieter in seinen Verträgen mehrfach mit Renovierungsarbeiten, die er im Anschluss vornehmen wolle oder mit Eigenbedarf. Trotzdem soll er in mehreren Fällen wieder nahezu nahtlos weitervermietet haben, wieder an neue Studentinnen, wieder befristet.
Mieterverein Köln: „Der Wohnungsmarkt lockt inzwischen viele Kriminelle an, die junge Leute schamlos ausnutzen.“
Hans Jörg Depel ist Jurist beim Mieterverein Köln. Er sagt: „Der Wohnungsmarkt lockt inzwischen viele Kriminelle an, die junge Leute schamlos ausnutzen.“ Depel würde niemals die Miete für ein ganzes Jahr im Voraus zahlen. Dadurch falle das wichtigste Druckmittel für die Studentinnen weg. Wenn der Vermieter sich nicht um die Wohnungen kümmert, könnten Mieterinnen normalerweise einen Teil der Miete einbehalten. „Diesen Druck auf den Vermieter kann ich nicht mehr ausüben, wenn ich die Miete vorher schon bezahlt habe.“ Depel schätzt die Vorgehensweise des Bonner Vermieters wegen der Anzahl der Fälle als Betrug ein. „Aber entscheiden muss das die Staatsanwaltschaft.“
Seit Anna den Mietvertrag unterschrieben und das Geld überwiesen hat, soll der Vermieter sich kaum noch gemeldet haben. Den Schlüssel zur neuen Wohnung sollte sie sich bei ihm abholen, sagt sie. Er wohnt ein paar Straßen weiter. Ein Übergabeprotokoll gab es nicht, ähnlich wie es viele andere Studentinnen berichten.
Anna betritt ihr neues Zimmer. Die Wand zu ihrer Nachbarin hört kurz unter der Decke auf, es gibt einen freien Spalt. „Wahrscheinlich, damit der Stuck nicht beschädigt wird“, sagt sie. Der Vermieter hat die Wand nachträglich eingezogen. „Ich habe jedes Wort von meiner Nachbarin gehört“, sagt Anna. Die Lücke unter der Decke hat sie zum Beweis gefilmt.
Zwölf ehemalige und aktuelle Mieterinnen berichten von ihren Erfahrungen. Auf der seitenlangen Beschwerdeliste stehen neben Schimmel und einem undichten Dach auch ein Vorwurf, der strafrechtlich relevant sein könnte: Der Mitte 50-Jährige soll die WGs, in denen ausschließlich junge Studentinnen leben, unerlaubt betreten haben. Das kann als Hausfriedensbruch gewertet werden.
Einige Schilderungen lassen sich vor Ort, durch Dokumente oder auf Bildern und Videos gut nachvollziehen. Bei den meisten Vorwürfen steht jedoch Aussage gegen Aussage.
Druck und Drohungen
Anna will nach kurzer Zeit wieder ausziehen und versucht, vorzeitig zu kündigen. Bei anderen Studentinnen soll das funktioniert haben – nicht bei ihr. „Er hat mir gedroht, die gesamte Wohnung auf meine Kosten zu renovieren, wenn ich keine Nachmieterin finde.“ Mit ihrer Kaution würde er renovieren, die bereits bezahlte Miete für die restlichen Monate behalte er sich in dem Fall auch noch ein.
Ein Blick ins Mietrecht verrät: Grundsätzlich darf der Vermieter auf einen vertraglich vereinbarten Zeitraum beharren. Dieses Recht erlischt jedoch, wenn Mieterinnen bewusst getäuscht wurden, wenn es sich also um Betrug handeln sollte. Die regelmäßigen Befristungen auf ein Jahr könnten demnach unwirksam sein, also würde in einem solchen Fall die gesetzliche Kündigungsfrist gelten.
Anna zieht aus und sucht eine neue Wohnung. Sie zahlt mehr als zwei Monatsmieten doppelt und erwirkt einen Zwangsvollstreckungsbescheid gegen den Vermieter. Knapp ein Jahr später bekommt sie ihre Kaution zurück, den Anteil der bereits gezahlten Jahresmiete nicht. Auf so einen Erfolg sollen dutzende Studentinnen noch warten. „Fast meine ganze WG ist betroffen“, berichtet eine der jungen Frauen.
Was der Vermieter sagt
Irgendwann sollen viele Studentinnen ihre Kautionen wiederbekommen haben, häufig jedoch mehr als zehn Monate später und selten in voller Höhe. Der Vermieter mache die Studentinnen teilweise willkürlich für Schäden verantwortlich und behalte dafür einen Anteil der Kaution ein, heißt es. Einer Studentin soll der Vermieter beispielsweise 200 Euro von der Kaution abgezogen haben, weil sie die WG-Toilette der Siebener-WG mit einer heruntergespülten Binde verstopft habe.
Der Vermieter widerspricht den meisten Vorwürfen auf Anfrage. Er habe weder jemals gedroht – „das liegt mir völlig fern“ – noch seine vermieteten Wohnungen betreten. Zwar räumt er ein, Kautionen verspätet zurückgezahlt zu haben. „Das tut mir auch sehr leid.“ Aber alle hätten „früher oder später ihr Geld bekommen.“ Er habe sich übernommen, womöglich ein Haus zu viel gekauft und sei „völlig überarbeitet“. Schuld daran seien gestiegene Belastungen für Vermieter seit ein paar Jahren, etwa durch Handwerkermangel, höhere Materialpreise oder Lieferengpässe infolge der Flut im Ahrtal.
Google-Rezensionen: 1 Stern
Seine Mietverträge befristet der Vermieter regelmäßig auf ein Jahr, weil er seine Objekte häufig renovieren muss, sagt er. Manchmal würden ihm dafür jedoch die Zeit oder die Mitarbeiter fehlen. Dennoch habe er „fast alle Wohnungen früher oder später renoviert.“
Erst seit Corona, sagt der Vermieter, hätten sich seine Aufgaben enorm vervielfacht und würden ihn inzwischen überfordern. „Ich arbeite von morgens bis abends oder gar nachts. Das ist viel zu viel.“ Die Bedeutung von Kautionsrückzahlungen habe er „unterschätzt“.
Auf Google haben alle 19 Rezensionen des Vermieters einen Stern. Vor vier Jahren beschrieb erstmals jemand das, was heute viele Mieterinnen berichten. Wer den Namen des Vermieters im Internet sucht, stößt also sofort auf schlechte Erfahrungsberichte, die sich nahezu identisch lesen.
100 Euro Prämie für Zimmervermittlung – an Studentinnen
Doch das ist nicht immer gleich ersichtlich, denn der Vermieter bezahlt manche Studentinnen dafür, dass sie Zimmer für ihn vermitteln. „100 Euro pro vermitteltem WG-Zimmer“ soll er auch Anna geboten haben. Sie hat dankend abgelehnt. In der Wohnungsanzeige steht daher oft der Name einer anderen jungen Frau. Die Mietinteressentinnen nehmen häufig zunächst mit ihr Kontakt auf und erfahren erst später, wer der eigentliche Vermieter ist. Da soll er oft schon zeitnah Druck gemacht haben, schnell zu unterschreiben, heißt es von mehreren Mieterinnen. Eine Studentin, die besonders viele Zimmer vermittelt haben soll, ergänzt: „Er bietet noch etwas mehr Geld, wenn man die nächsten Studentinnen überredet, die Jahresmiete auch auf einen Schlag zu zahlen.“
Die Wohnungsanzeigen des Vermieters – oder der Studentinnen, die in seinem Auftrag vermitteln – stehen auf der Internetseite „WG-Gesucht“. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ antwortet WG-Gesucht: „Leider gibt es keine Methode, die unseriöse Kontakte mit absoluter Wahrscheinlichkeit verhindern kann.“ Die große Reichweite des Wohnungsportals ziehe immer wieder auch „schwarze Schafe“ an. Doch die Zahl der Betrugsfälle sei relativ stabil und liege seit einigen Jahren bei nur etwa einem Prozent der neu inserierten Anzeigen. WG-Gesucht versucht, betrügerische Angebote technisch herauszufiltern. „Zusätzlich überprüft ein Mitarbeiter Anzeigen mit auffälligen Merkmalen.“ WG-Gesucht bittet seine Nutzerinnen und Nutzer dennoch, verdächtige Angebote zu melden, denn „trotz all unserer Maßnahmen bleiben die Möglichkeiten eingeschränkt, Betrug vollständig zu verhindern“.
Anna ist froh, dass sie das Kapitel schließen konnte und den Nebenjob des Vermieters abgelehnt hat. „Sonst wäre ich noch Teil seiner Studentinnen-Abzocke geworden.“ Die geht ohne sie weiter.