In Iserlohn sagt man Ciao, in Bad Lippspringe Bienvenue – sechs Nationalmannschaften haben sich zur EM in NRW einquartiert.
Mannschaftsquartiere in NRWWo Mbappé und Cristiano Ronaldo während der EURO schlafen
Man muss nicht denken, dass die Portugiesen mit Harsewinkel nichts am Hut hätten. Genau genommen kennt man sich schon seit 18 Jahren ziemlich gut. Harsewinkel, das klingt nach Hase und Igel und Gute Nacht. Der Beiname „Mähdrescherstadt“ – denn Harsewinkel ist auch Hauptsitz eines international tätigen Landmaschinenherstellers – verheißt wenig emotionalen Fado-Glamour. Aber die portugiesische Nationalmannschaft scheint dennoch einen Narren gefressen zu haben an der 25.000-Einwohner-Stadt in Ostwestfalen-Lippe. Nach der Weltmeisterschaft 2006, dem Sommermärchen in Deutschland, verlegte der portugiesische Fußballverband das Quartier seiner Nationalmannschaft nun für die Europameisterschaft schon zum zweiten Mal ins Hotel Residence Klosterpforte im Harsewinkler Stadtteil Marienfeld.
Überhaupt ist Nordrhein-Westfalen in diesem Sommer der Place to be für Männer, die professionell und überdurchschnittlich gut mit Fußbällen umgehen können. Insgesamt rund 100 deutsche Hotels und Sportschulen hatten ihre Unterlagen bei der UEFA eingereicht, 56 von ihnen wurde in einen Katalog aufgenommen, aus der sich alle Teams, die sich für die Europameisterschaft qualifiziert haben, eine Unterkunft auswählen konnten. Mit Albanien, Italien, Frankreich, Portugal, Slowenien und Georgien haben sich sechs der 24 EM-Teilnehmer für ein Basecamp in NRW entschieden.
Die meisten Nationalmannschaften sind in NRW zu Gast
Das bevölkerungsreichste Bundesland liegt damit an der Spitze des EM-Ausrichters, in Bayern nächtigen nur fünf Mannschaften (Schottland, Serbien, Rumänien, Ungarn und Deutschland), in Baden-Württemberg vier (Schweiz, Spanien, Dänemark und Belgien), in Niedersachsen drei (Türkei, Niederlande und Polen), in Hamburg (Tschechien), Berlin (Österreich), Hessen (Ukraine), Rheinland-Pfalz (Slowakei), Thüringen (England) und Brandenburg (Kroatien) nur je eine Mannschaft, im Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Bremen und Schleswig-Holstein herrscht in diesem Zusammenhang gar komplette Ballödnis.
Entsprechend groß ist die Freude im Fußballland NRW. In der Harsewinkeler Klosterpforte plant man schon einige Umbaumaßnahmen, schließlich werde die Mannschaft das gesamte Areal und alle Räume individuell nutzen können. Besonders die IT-Infrastruktur habe einigen Anpassungen an die Freizeitaktivitäten der Fußballer bedurft, sagt Geschäftsführer Christopher Schemmink gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Viele Annehmlichkeiten seien im Hotel aber ohnehin schon vorhanden: hochwertige Badewannen, Kryokammern mit minus 85 Grad, Whirlpool, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch die Wäscherei sei auf ganze Berge an verschwitzten Fußballsocken vorbereitet. „Sie müssen sich vorstellen, die haben hier zweimal am Tag Training. Da fällt natürlich mehr Wäsche an als bei einem anderen Urlaubsgast“, sagt Schemmink.
Als Willkommensgruß sei ein mehrtägiges Fest mit „Delikatessen aus Deutschland und Portugal“ geplant. Frittierte Sardellen gebe es da, aber auch portugiesisches Bier. Musikalisch wird es leidenschaftlich: Fado statt ortsansässigem Jagdhornbläserkorps Hegering Harsewinkel. Ob Kapitän Cristiano Ronaldo und seine Teamkollegen dabei auch in den Genuss Harsewinkeler Pferdeäppel kommen (zur Entwarnung: Es handelt sich lediglich um eine Champagner-Praline aus Voll-, Zartbitter- und weißer Schokolade), ist nicht bekannt. Wohl aber, dass beim WM-Aufenthalt 2006 zwei seiner Teamkollegen bei einem Caddy-Ausflug über das weitläufige Hotelgelände die Bremse nicht gefunden hätten und in der Lutter gelandet seien. Übermütige Avançados halt.
Die Kapelle des angrenzenden Klosters diente Ex-Coach Luiz Felipe Scolari damals als Ort für Torbitten. Patronin Maria machte ihre Sache ordentlich. Immerhin überstand man die Vorrunde, warf in einem fast schon kriegerischen Achtelfinale mit vier Platzverweisen die Niederlande aus dem Turnier und bezwang anschließend England im Elfmeterschießen. Erst gegen Frankreich scheiterte man im Halbfinale.
Was den diesjährigen Besuch betrifft, ist man bei der Klosterpforte um Diskretion bemüht. Das genaue Ankunftsdatum könne man nicht ausplaudern, schließlich wolle man „der Mannschaft eine ruhige Anreise bereiten“, heißt es. Das „gesamte Hotelteam“ werde aber natürlich vor Ort sein. Mit Harsewinkel selbst, das immerhin über ein Motorradmuseum sowie eine Karnevalsband namens „Die Landeier“ verfügt, muss die Mannschaft um Cheftrainer Fernando Santos dann auch gar nicht zwingend in Kontakt treten. „Das Hotelareal ist so groß, dass wir hier vor Ort viele Aktivitäten anbieten werden, um abzuschalten, aber auch um den Teamspirit zu fördern.“ Laut städtischer Pressestelle befinden sich auch Trainingsplätze und Pressezentrum direkt auf dem Hotelgelände, der Organisationsaufwand mit der Stadt sei daher geringer. Man freue sich aber natürlich und rufe ein herzliches „Welcome back“ zur Klosterpforte hinüber.
Iserlohn liegt bald am Lido statt an der Lenne
In der „Waldstadt“ Iserlohn im märkischen Kreis übt man sich derweil in Dolce Vita. Riviera statt Ruhr, Lido statt Lenne. Denn: Die Italiener um Cheftrainer Luciano Spalletti haben gebucht. Das Hotel Vierjahreszeiten stellt seine gesamten 130 Zimmer für die Mannschaft zur Verfügung. Zwar sind es bis zur Ankunft der Squadra Azzurra am 10. Juni noch vier Wochen, aber „Vorfreude und Euphorie“ sind nach Aussage von Marketingleiterin Miriam Obermann „im Team bereits vorhanden“. Auch die Fans sind elektrisiert, alle Hotels im Ort zur Turnierzeit dem Vernehmen nach bereits ausgebucht.
In der größten Stadt im Sauerland, die angeblich zu Dreivierteln aus Grünfläche besteht, ist man sportlich geschult. Bekannt sind die Iserlohn Roosters aus der Deutschen Eishockey Liga, im Hotel bediente und bettete man auch schon die Deutschen Handballer oder Wasserballer. Im Restaurant „Fetter Förster“ plane man nichts Spezielles für die Catenaccio-Meister, aber natürlich hätten die Profis aus dem Land der saftigen Pomodore ihren eigenen Koch dabei. Schon der proteinreichen Sportler-Ernährung wegen.
Die blauen Ballkünstler erwartet im Vierjahreszeiten laut früheren Gästen auf dem Bewertungsportal des Hotels ein „super freundliches Personal“, eine „wunderschöne Spa-Landschaft“ sowie ein „gutes, nicht übertriebenes Frühstück“. Zu beanstanden hat man hier lediglich das „sehr schlechte“ Wetter. Wenig sole halt im Sauerland. Was die Sonnenscheinstunden im Juli angeht, verwöhnt die Strahlende die Eisenstadt Iserlohn leider täglich nur halb so lange wie die Ewige Stadt Roma. Scusi, kann man da nur sagen und die schattigen Bedingungen mit deutscher Herzenswärme wettmachen. Obermann verspricht jedenfalls: „In uns schlagen diesen Sommer zwei Fußballherzen gleichzeitig. Für Deutschland und für Italien.“
Auszubildende lockten die Slowenen nach Sprockhövel
Dass europäischer Fußballglanz sogar bis nach Sprockhövel, im südlichen Ruhrgebiet, dringt, hat Nordrhein-Westfalen einer Reihe engagierter Auszubildender zu verdanken. Das sagt zumindest Ralf Kesselring vom Hotel „Vesper“. Schon im Jahr 2019 habe man sich auf die erste Ausschreibung vorbereitet. Als der DFB sich 2o20 zum Testbesuch ankündigte, hatte die Coronapandemie das Hotelleriegeschäft zum Erliegen gebracht. Im Vesper hatte man die Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, der DFB traf deshalb lediglich auf eine Handvoll Lehrlinge, was sich nicht als Nachteil herausstellen sollte. Kesselring ist ganz stolz, wenn er sagt: „Wir konnten mit der Leidenschaft unserer jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den DFB überzeugen, unser Haus in das Programm aufzunehmen.“
Für die Slowenen lege man sich nun ordentlich ins Zeug. Die Mannschaft wünschte sich Klimaanlagen, das Vesper baute sie auf allen Zimmern ein. Die Mannschaft wünschte sich Tee- und Kaffeezubereitungsmöglichkeiten auf den Zimmern, das Vesper stattete aus, die Mannschaft wünschte sich einen Spa-Bereich sowie ein Fitness-Studio, das Vesper rüstete temporär auf. „Selbstverständlich kann die Mannschaft sich auch sportlich bei einer Runde Golf auf einem unserer Plätze vergnügen.“ Auch ein bisschen slowenisch habe man schon drauf, prahlt Kesselring: „Dobrodošli in srečno na turnirju!“ könne man den „Drachen“ (Zmajceki) rund um Kapitän Jan Oblak, der auch bei Atlético Madrid die Bälle hält, bei einem kleinen Empfang Mitte Juni schon zurufen.
Albaner sollen in Kamen vom wenig schmeichelhaften Superlativ ablenken
Es gibt Superlative, die kleben an einem wie frischer Asphalt an einem heißen Sommertag. Sie sind lästig und stinken. Kamens Qual heißt „meistbefahrener Verkehrsknotenpunkt Deutschlands“, die 43.000-Einwohner-Stadt im östlichen Ruhrgebiet hat es auf diese Weise in Gottfried Wendehals‘ Polonäse geschafft („am Kamener Kreuz rechts ab“), sogar ein Brettspiel, in dem es um Staus geht, trägt ihren Namen. In diesem Sommer soll der Asphalt sich lösen. Denn Kamen kann auch andere Dinge als Baustelle und Stillstand. Bewegung und Schnelligkeit zum Beispiel.
Besonders stolz ist man auf das Kaiserauer Sporthotel, das eingebettet von Einfamilienhäusern und Spazierwegen mitten im normalen Kamener Leben wachse und gedeihe. In den 70er Jahren verfeinerten hier schon spätere Weltmeister wie Franz Beckenbauer, Gerd Müller oder Sepp Maier ihr Ballgeschick, heute trainieren hier sowohl die Jungs der Spielvereinigung Brakel wie der FC Liverpool um Trainer Jürgen Klopp. Während der Weltmeisterschaft 2006 beherbergte man die Spanier – damals noch mit einem gewissen Xabi Alonso. Und bald wird Kamen Interimsheimat für die albanische Fußballnationalmannschaft um Cheftrainer Sylvinho.
Und für die will man sich richtig herausputzen: Ein Restaurant hat man neu gebaut, den Fitnessbereich modernisiert, zusätzliche WLAN-Netzwerke installiert, einige Schönheitsreparaturen in den 48 jeweils etwa 36 Quadratmeter großen Zimmern mit Kingsize-Betten vorgenommen, meldet das Hotel auf Anfrage. Noch aufgebaut werden müsse ein sechs Meter hoher Kameraturm am Hauptfußballplatz. Mit dem Staff des albanischen Verbandes stehe man seit Wochen im engen Austausch, um alle Details des Aufenthalts zu organisieren. Dabei werde an alles gedacht: „Sei es die Positionierung von Eisbädern, die Einrichtung eines zusätzlichen Fitnessbereiches oder die Beschaffung von speziellen albanischen Lebensmitteln“, schreibt Meike Ebbert vom Hotel. Und wenn es Beschwerden gibt? Sind „die Rot-Schwarzen“ (Kuq e zinjtë) Könige! „Sollte ein Kissen zu weich oder eine Bettdecke zu warm sein, sind wir auf alles vorbereitet und werden sie entsprechend austauschen.“
In Velbert ist man schon Weltmeister im Formationstanz
Wer in Kamen der Staulage wegen nicht hängen bleibt, kann sich auf den Weg zu einem weiteren EM-Teilnehmer machen. Die Georgier residieren knapp 70 Kilometer weiter südwestlich. Zwischen Wuppertal und Essen, da wo es grün wird, gelangt man irgendwann nach Velbert. Hier sind nicht nur Einzigartigkeiten wie das „Deutsche Schloss- und Beschläge-Museum“ zu Hause, sondern auch viel Natur. Der Neanderlandsteig führt hier vorbei, ebenso wie der Bergische Wanderweg.
Und sportlich ist man in Velbert auch – wenn dafür auch nicht immer notwendigerweise ein Ball vonnöten ist. „Wir sind Weltmeister im Formationstanz!“, sagt Stadtsprecher Hans-Joachim Blißenbach im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht ohne Stolz. Nun also auch Gastgeber für die Fußball-EM. „Wir sind einer von 24 in ganz Deutschland, das ist schon etwas Besonderes. Wir wollten unbedingt dabei sein.“ Schon für den Nachwuchs, schließlich gebe es in Velbert zahlreiche Sportvereine und die Kinder und Jugendlichen seien ganz aufgeregt, vielleicht beim öffentlichen Training am 12. Juni im Stadion dabei sein zu können. 2000 Plätze habe man dort immerhin, zumindest dann, wenn auch die Stehtribüne besetzt werden dürfe, was noch keine ausgemachte Sache sei.
Im Best Western Parkhotel hatte man zur Vorbereitung nicht allzu viel Zeit. Erst Ende März qualifizierte sich die Mannschaft um Cheftrainer Willy Sagnol im Elfmeterschießen gegen die Griechen für ihr erstes großes Turnier. Große Freude in Tiflis, große Herausforderung in Velbert. Man habe extra eine Eismaschine angeschafft, sagt Blißenbach. Eine für die geplagten Sportlerbeine, fügt er hinzu. Nicht, dass jetzt Bilder entstehen, die Georgier würden sich zum Nachtisch mit Schokoladen-Softeis den Magen vollschlagen.
Savoir vivre gibt es auch im westlichen Ostwestfalen
Kylian Mbappé ist überlebensgroß und bröselt nur leicht. Schließlich ist sein Schlammanteil vergleichsweise hoch. Das ist wichtig, der Fußballer muss Wind und Wetter trotzen. Mbappé ist ebenso wie Cristiano Ronaldo und Thomas Müller Teil der Sandwelten, die Künstler für die Gartenschau Bad Lippspringe in der Nähe von Paderborn angefertigt haben. Bad Lippspringe setzt damit einem besonderen Gast ein Denkmal, der am 12. Juni zusammen mit seinen Teamkollegen im Best Western Premier Park Hotel erwartet wird. Aber das 16.000-Einwohner zählende Heilbad am Rande des Teutoburger Walds hat zu Ehren der französischen Nationalmannschaft noch mehr Savoir vivre in seinen Ostwestfalen-Alltag eingewebt. Laut Sabrina Düsenberg von der Stadt flattern und kleben in den Straßen schon „Wimpelketten mit französischen Flaggen, Fahnen, Plakaten“. Am 16. Juni heißt es „Bienvenue à Bali“ und den ganzen Tag werde ein französisches Fest gefeiert.
Vielleicht kann Mbappé seinem sandigen Alter-Ego gar von seinem Hotelzimmer aus zuzwinkern. Immerhin grenzt das Best Western Premier Park Hotel direkt an die Gartenschau, sagt Geschäftsführer Torsten Kiene. Während der EM würde der Hotelbetrieb komplett auf die Équipe Tricolore abgestimmt „von der Zimmerreinigung während der Trainingszeiten und der Reinigung der Trikots über die Anordnung der Tische im Restaurant bis hin zu den Speise- und Getränkestandards“ des Teams. Aus Sicherheitsgründen seien alle Mitarbeiter einer „Zuverlässigkeitsüberprüfung“ unterzogen, sowie weite Teile des Hotels umzäunt worden.
Ein Standortvorteil bei der Bewerbung mag laut Kiene auch die Nähe zu Paderborn gewesen sein. Und dort – so loben es zumindest ehemalige Hotelgäste auf Booking.com – seien die Shoppingmöglichkeiten großartig. Na gut, Paderborn ist in dieser Hinsicht vielleicht nicht Paris. Aber was bedeutet schon schnöder Konsum, wenn es um eine extrem stabile Romanze gehen kann? Immerhin verbindet Paderborn seit dem Jahr 836 die wahrscheinlich älteste Städtepartnerschaft Europas mit der nordwestfranzösischen Stadt Le Mans. Damals haben die beiden fränkischen Bischofssitze sich einander feierlich versprochen. In die Geschichtsbücher eingegangen ist die Beziehung als „die ewige Liebesbruderschaft“. Große Gefühle also, die sogar ein mögliches deutsch-französisches Finale unbeschadet überstehen sollten.