Bis Januar unterschrieben 1,6 Millionen Menschen eine Online-Petition, die ein Verfahren zur Grundrechtsverwirkung gegen den AfD-Politiker forderte. Initiiert hatte sie der Düsseldorfer Indra Ghosh.
Über 1,6 Millionen UnterschriftenWas aus der Petition wurde, die den Entzug der Grundrechte für Björn Höcke forderte
Es ist ein halbes Jahr her, dass Indra Ghosh nach Berlin reiste, um Vertretern mehrerer Bundestagsfraktionen eine Rekordmenge an Unterschriften zu überreichen. Der Düsseldorfer Physiker hatte im November zuvor die Online-Petition „Wehrhafte Demokratie: Höcke stoppen!“ gestartet. Ghosh und die Unterzeichner fordern, dem thüringischen AfD-Politiker Björn Höcke über ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht seine Grundrechte abzuerkennen. Weit über 1,6 Millionen Menschen setzen ihre Unterschrift unter die Forderung – so viele wie noch nie zuvor bei einer Online-Petition.
Nun stehen die Wahlen in Thüringen am 1. September kurz bevor, Höcke steht weiterhin auf dem Wahlzettel der AfD, auf Platz eins, der rechtsextreme Politiker will Ministerpräsident werden.
Beim Bundesverfassungsgericht wurde kein Verfahren zum Entzug seiner Grundrechte eingeleitet. Keine der Fraktionen, die die Petition entgegennahmen, versuchten offenbar, die Bundesregierung zu einem solchen Antrag zu bewegen. Auch auf den Petitionsausschuss des Bundestags hatte die Petition von Ghosh keinen Einfluss: Er sammelte die Unterschriften auf der privaten Petitionsplattform „WeAct“, nicht über das Portal des Deutschen Bundestags.
Indra Ghosh: „Die Petition ist nicht gescheitert“
„Die Politik ist noch nicht bereit, da zu handeln“, sagt Initiator Indra Ghosh gegenüber dieser Zeitung. Dass Höcke bei der diesjährigen Landtagswahl als Spitzenkandidat der AfD ins Rennen ging, war für ihn nicht zu verhindern – dafür dauere ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu lange. Trotzdem hätte er sich mehr Reaktion gewünscht. „Ich halte die jetzige Zurückhaltung für einen Mangel an politischem Selbstbewusstsein“, sagt Ghosh. „Ich habe das Gefühl, dass man, was Höcke und die AfD betrifft, zu schlafwandlerisch durch die Gegend läuft. Erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird gehandelt.“
Gescheitert ist die Petition für ihn nicht, auch wenn bisher kein Antrag auf Grundrechtsverwirkung gestellt wurde. „Das Thema ist dank der Petition in der öffentlichen Diskussion angekommen. Für die politisch Handelnden wird sich die Frage höchstwahrscheinlich nach den Landtagswahlen am 1. September mit erhöhter Dringlichkeit stellen“, so Ghosh. „Für mich liegt das Thema ganz klar auf Wiedervorlage.“
Neue Petition gegen Höcke gestartet
Ghosh hatte zur Übergabe der Unterschriften Vertreter der CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken eingeladen. Bis auf eine kamen alle – die FDP habe im Nachgang zu einem Telefonat eingeladen, sagt der Düsseldorfer. Ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Höcke strebt derzeit keine Fraktion offen an. Auf Anfrage schreibt die SPD, sie könne keine weiteren Schritte kommentieren, da die Unterschriften nicht über die offizielle Plattform des Bundestages gesammelt wurden. „Es gilt natürlich: Demokratie muss entschlossen verteidigt werden gegen alle faschistische Angriffe, sie zu beseitigen.“
Heidi Reichinnek (Die Linke) begrüßt, dass sich die Zivilgesellschaft „mit allen Mitteln“ gegen die AfD stelle. „Das Problem ist jedoch größer als eine Einzelperson, weshalb wir als politische Partei den Fokus auf eine politische Antwort legen.“ Gleichzeitig müssten gegen Feinde der Demokratie „alle zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel geprüft und eingesetzt werden.“
Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU Fraktion, sagt, seine Partei wolle die AfD „politisch bekämpfen und den Extremismus dieser Partei bloßstellen“. Ein Grundrechtsverwirkungsverfahren gegen Höcke halte er nicht für sinnvoll. „Ein solches Verfahren ist in der Geschichte des Grundgesetzes noch nie erfolgreich zum Abschluss geführt worden und würde alleine deshalb schon lange dauern“, sagt Krings. „In der Zwischenzeit würde die AfD versuchen, daraus politischen Profit zu ziehen.“
Beim Petitionsausschuss sind laut Angaben des Bundestages verschiedene Petitionen eingegangen, die der „Höcke stoppen“-Petition ähneln. Die Prüfung dieser Petitionen dauere noch an, schreibt der Bundestag.
Ghosh selbst hat auf „WeAct“ inzwischen eine weitere Petition gestartet. Hintergrund ist ein neues Verfahren gegen Höcke: In Thüringen steht der AfD-Politiker bald wegen Volksverhetzung vor Gericht. „Die Petition fordert, dass Gerichte bei Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem halben Jahr oder mehr wegen Volksverhetzung die Wählbarkeit zumindest temporär einschränken können“, sagt Ghosh. „Gleiches soll für die Ausübung öffentlicher Ämter gelten.“ Bisher sind nach Goshs Angaben knapp 150.000 Unterschriften zusammengekommen.