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Krieg gegen die UkraineImmer mehr Russen beantragen in NRW Asyl – die meisten erfolglos

Lesezeit 4 Minuten
Wehrpflichtige stehen in Formation, bevor sie die Stadt verlassen, um in der russischen Armee zu dienen. Sie tragen grüne Uniform und haben eine Tasche in der Hand.

Russische Wehrpflichtige im April 2023 in Simferopol, Krim.

Alleine in diesem Jahr stellten russische Staatsbürger 685 Asylanträge in Nordrhein-Westfalen.

Als der Kreml im September 2022 die Einberufung von 300.000 Reservisten verkündete, erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP): „Wer Putins Weg hasst und die liberale Demokratie liebt, ist uns in Deutschland herzlich willkommen.“ Die Zahl der Asylanträge von Russen stieg mit Kriegsbeginn auch in NRW rasant an. Ein Visum bekommen offenbar nur wenige. Eine Aktivistin aus Moskau kritisiert die hohen Hürden der deutschen Bürokratie für Geflüchtete aus Russland.

Rund 15 Prozent der Anträge von Russen werden in NRW gestellt

„Valide Zahlen, wie viele russische Deserteure einen Asylantrag beim Bundesamt gestellt haben, liegen nicht vor“, schreibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Anfrage dieser Zeitung. Kriegsverweigerung ist schließlich nicht der einzige Grund, wieso russische Staatsbürger ihre Heimat verlassen. Fest steht aber: Immer mehr Russen suchen Zuflucht in Deutschland. Rund 15 Prozent der Asylanträge von russischen Staatsbürgern in Deutschland werden in Nordrhein-Westfalen gestellt. Zwischen März und Silvester 2022 beantragten 497 Menschen aus Russland hier Asyl, alleine in diesem Jahr waren es bereits 685 Anträge (Stand: 31. Mai 2023). Zum Vergleich: Im Jahr 2021 wurden 245 Asylanträge von Russen gestellt.

Wie viele dieser Asylanträge genehmigt wurden, kann das Bundesamt nicht beantworten. Asylgründe werden nicht statistisch erfasst; Eine Ausnahme bildete eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag vom Mai dieses Jahres. Laut der Antwort des Innenministeriums haben seit Kriegsbeginn 2485 Russen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren – also Männer im wehrpflichtigen Alter – einen Antrag auf Asyl in Deutschland gestellt haben. Zwei Drittel der Verfahren laufen noch. Nur 55 Anträge wurden genehmigt, 88 abgelehnt, in 671 erledigte sich das Verfahren aus formellen Gründen – beispielsweise, weil die Männer den Asylantrag zurücknahmen.

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Auf dem E-Scooter über die russische Grenze

„Kein europäisches Land akzeptiert Asylanträge von Menschen, die ‚nur‘ Kriegsdienstverweigerer sind“, kritisiert Maria Alexandrova (Name geändert). Die gebürtige Moskauerin lebt heute in Schottland und engagiert sich bei „Movement of Conscientious Objection“, einer Organisation, die russische Kriegsdienstverweigerer berät. „Wir müssen immer einen politischen Fall für jeden Kriegsdienstverweigerer entwerfen, der fliehen möchte.“

In Deutschland Asyl zu bekommen, sei schwierig, so Alexandrova. Die Bewerber müssten eine drohende politische Verfolgung in ihrem Heimatland nachweisen. Viele Bewerber seien jedoch keine politischen Aktivisten, die sich bereits seit Jahren dem Regime widersetzen, sondern wurden erst durch den Krieg politisiert. „So können sie eine politische Verfolgung in Russland schwer nachweisen“, sagt Alexandrova. Einige ihrer Freunde würden seit sechs Monaten auf eine Antwort der deutschen Behörden auf ihren Asylantrag warten. Nur eine schaffte es, über ein humanitäres Visum nach Deutschland einzureisen.

„Die meisten meiner Freunde sind in Länder geflohen, die früher zur Sowjetunion gehörten“, sagt Alexandrova. Kasachstan, Armenien, Kirgisistan – all diese Länder sind von Russland aus leicht zu erreichen. Alexandrovas Partner sei 25 Kilometer zu Fuß über die Grenze nach Armenien gelaufen, neben ihm sei jemand auf einem E-Scooter geflohen. In den früheren Sowjetstaaten fürchten einige Geflüchtete offenbar eine Abschiebung zurück nach Russland.

Beschleunigtes Asylverfahren für Deserteure

Doch ab wann gilt man als Kriegsverweigerer? Wenn ein Russe im wehrpflichtigen Alter aus Angst vor dem Krieg das Heimatland verlässt, oder erst, wenn er dem Asylantrag eine Einberufung beifügen kann? Offenbar zählt für den Bund vor allem Letzteres. „Deserteure, die sich am russischen Angriffskrieg Krieg nicht beteiligen wollen, können in Deutschland Asyl beantragen“, betont das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dasselbe gelte für Menschen, die in die Armee eingezogen werden sollen und den Kriegsdienst verweigern. „Sie erhalten im Regelfall internationalen Schutz.“ Die Entscheidungspraxis sei nach Kriegsbeginn angepasst worden.

Trotzdem stelle jeder Asylantrag einen „Einzelfall dar, der individuell zu prüfen ist.“ Bei einer Anhörung hätten die Antragsteller die Möglichkeit, ihre Fluchtgründe vorzutragen. „Die Herkunft aus einem bestimmten Land oder ein bestimmter Fluchtgrund führen nicht automatisch zu einem Schutzstatus oder zur Ablehnung des Asylantrags.“

Seit Mai 2022 gelte zudem ein beschleunigtes Aufnahmeverfahren für russische Staatsangehörige, die sich gegen den Krieg und für Menschenrechte in Russland einsetzen und deshalb besonders gefährdet sind. Oppositionelle, Journalisten und Wissenschaftler zum Beispiel. Auch russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer kommen für ein beschleunigtes Verfahren in Betracht, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. „Eine gezielte Ermöglichung einer Einreise allein aufgrund einer Desertation oder Kriegsdienstverweigerung ist demgegenüber nicht beinhaltet.“ Sollten die betroffenen Personen wegen der Bedrohungslage bereits in ein Drittland ausgereist sein, werde das Verfahren von diesem Land aus betrieben.

„Wir müssen ihre Stimmen hören“

„Wir wünschen uns, dass Russen, die ihr Land verlassen, Visa der Kategorie D oder C bekommen“, sagt Alexandrova. Ein D-Visum ermöglicht, längerfristig in einem Schengen-Land zu bleiben, beispielsweise für Studierende, Familienangehörige von Staatsbürgern eines EU-Staates und Arbeitskräfte. Ein C-Visum ist ein Touristenvisum und gilt für 90 Tage.

Im April habe „Movement of Conscientious Objection“ an einem Event in Athen teilgenommen. Alexandrova flog hin, eigentlich sollten auch vier Mitarbeiter aus Russland kommen, doch sie bekamen kein Visum. „Ich finde das sehr schade, weil wir ihre Stimmen hören müssen. Sie sind es, die die Veränderungen in Russland miterleben, die Zeugen von Verhaftungen werden.“