Der Politologe Thomas Poguntke spricht im Interview über Auffälligkeiten im „NRW-Check“.
Interview zum NRW-Check„Rückhalt für die Grünen verengt sich“
Herr Professor Poguntke, welches Aha-Erlebnis hatten Sie beim aktuellen „NRW-Check“?
Thomas Poguntke: Man sieht an den Ergebnissen jetzt sehr deutlich, dass die Grünen mit ihren Themen nur in einem relativ begrenzten Milieu landen können. Das lässt sich an den vergleichsweise hohen Sympathiewerten für die „Klimakleber“ festmachen oder auch an der Haltung zu Robert Habecks Heizungsgesetz und seinen Folgen. Die Distanz der Grünen-Wähler zur Wählerschaft aller anderen Parteien ist hier offensichtlich. Das Gleiche gilt für die Einschätzung von Themen wie dem Zuzug von Flüchtlingen oder der Kriminalität, die den Grünen-Anhängern weniger dringlich erscheinen als allen anderen.
Und was bedeutet das?
Mit solchen Befunden kann die Partei ihren ambitionierten Plan, zu einer neuen Volkspartei zu werden, nicht erreichen. Im Gegenteil: Der Rückhalt für die Grünen verengt sich auf die Kernklientel.
Dem Verbot von Öl- und Gasheizungen in Neubauten können aber sowohl die Geringverdiener als auch die Wohlhabenden am ehesten etwas abgewinnen. Wie passt das zusammen?
Zu den Erstgenannten gehören zum Beispiel die Studierenden. Die sind den ökonomischen Zwängen häufig noch nicht vollständig ausgesetzt. Und die Wohlhabenden, oft akademisch Gebildeten, haben diese Zwänge nicht. Bei beiden Gruppen, den post-materialistisch eingestellten, ökologisch sensiblen Jungwählern wie auch unter den gut situierten Akademikern, genießen die Grünen überproportional großen Zuspruch.
Die Partei und ihre Wähler in einem grünen Paralleluniversum?
Die Diagnose einer „grünen Blase“ oder – etwas weniger polemisch – einer Konzentration der Anhängerschaft im großstädtisch-bürgerlichen Milieu findet jedenfalls im „NRW-Check“ eine Bestätigung. Bezeichnend ist, dass die Überschneidungen zwischen den Anhängern von CDU, SPD und – mit Abstrichen – der FDP bei einer ganzen Reihe von Themen größer sind als mit der Wählerschaft der Grünen.
Hat das Folgen für die Koalitionsarithmetiken? In Berlin sind die Grünen im Ampel-Verbund, in Düsseldorf regieren Sie mit der CDU.
Die landespolitische Stimmung ist immer ein Stück vom Bund abgekoppelt, weil die großen Entscheidungen dort getroffen werden. Das hat die Sache für Ministerpräsident Wüst von der CDU und seine Grünen-Stellvertreterin Mona Neubaur im Land leichter gemacht. Und man muss sagen: Bislang habe die beiden die Dinge recht gut moderiert. Aber die aktuelle Sonntagsfrage zeigt schon, dass die Grünen auch in NRW vom Gegenwind getroffen werden, der von Berlin nach Westen weht. Mit einer Gesetzgebung nahe an den Erwartungen ihrer eigenen Klientel geraten die Grünen jetzt erkennbar in Schwierigkeiten. Denn außerhalb ihrer Milieus sind die Bereitschaft und die Fähigkeit, für grüne Ziele Opfer zu bringen, nicht so stark ausgeprägt.
Werden die Grünen als „Klientelpartei“ alter Schule unattraktiver?
Der Druck zu Koalitionsbildungen ist einem Vielparteiensystem größer als früher. Deswegen werden die anderen Parteien die Grünen auch künftig als Partner auf dem Radar behalten. Und natürlich gibt es Schnittmengen in alle Richtungen – zur SPD ebenso wie zur Union und – wiederum mit Abstrichen – auch zur FDP. Ich sehe für die Grünen eher ein tagespolitisches Problem.
Welches?
Sie haben in der Bundesregierung den Fehler gemacht, ihre Politik sehr hart und sehr rasant durchsetzen zu wollen. Das gilt für den Atomausstieg wie jetzt auch für die Heizungserneuerung. Ich bin sicher, da wird Robert Habeck noch auf eine geschmeidigere Haltung einschwenken. Die Grünen in NRW täten gut daran, hier im Windschatten zu bleiben und in NRW weiter ihren Kurs der Geräusch- und Konfliktlosigkeit zu fahren. Auch wenn die größten Profiteure nicht sie selbst sind, sondern Hendrik Wüst und seine CDU.
Zur Person
Thomas Poguntke ist Politikwissenschaftler und seit 2011 Co-Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Uni Düsseldorf. (jf)
Der NRW-Check ist eine Umfrage-Serie im Auftrag des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und 38 weiterer Zeitungstitel aus Nordrhein-Westfalen mit einer täglichen gedruckten Auflage von rund zwei Millionen Exemplaren und einer durchschnittlichen wöchentlichen Gesamtreichweite in gedruckten wie digitalen Angeboten von rund zehn Millionen Leserinnen und Lesern.
Für den aktuellen NRW-Check, den sechsten seit Beginn der Erhebungen im Dezember 2021, befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa in der Zeit vom 29. Mai bis zum 7. Juni insgesamt 1506 Wahlberechtigte im Rahmen des repräsentativen Panels forsa.omninet.
Die Auswahl erfolgte nach einem systematischen Zufallsverfahren. Die Ergebnisse sind repräsentativ und bei einer Fehlertoleranz von plus/minus 2,5 Prozentpunkten auf alle Wahlberechtigten in NRW übertragbar.