Die Befragung zum ersten Jahrestag der schwarz-grünen Landesregierung legt Schwächen der Regierung offen. Doch Wüst persönlich schadet das nicht.
Kommentar zum NRW-CheckDas Zeugnis der Bürger ist eine deutliche Warnung an Schwarz-Grün
Wäre der „NRW-Check“ zum ersten Jahrestag der schwarz-grünen Landesregierung ein Zeugnis der Bürgerinnen und Bürger, dann lautete das Urteil für die gesamte Klasse: „Versetzt, aber mit Bedenken“. Es gibt jedoch einen Musterschüler, der Bestnoten eingeheimst hat: Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) erreicht bei der Zufriedenheit im aktuellen „NRW-Check“ einen persönlichen Höchstwert.
Die Menschen im Land sehen ihn auch weit vor CDU-Chef Friedrich Merz als Favoriten für die Kanzlerkandidatur der Union. Diese erstaunlich positive Bewertung durch die Bevölkerung hätte Wüst vor seinem Amtsantritt kaum jemand zugetraut.
Der lange etwas sperrig wirkende Westfale hat es geschafft, sich das Image eines um Ausgleich bemühten, modernen Unions-Politikers aufzubauen. Als Schwiegermutter-Typ ohne scharfe Ecken und Kanten ist er so etwas wie der Gegenentwurf zu seinem Parteichef Merz. Mit seinem Kurs in Richtung Mitte, ganz ohne rechts zu blinken, ist es Wüst bislang gelungen, sich und die NRW-CDU aus der Negativströmung herauszuhalten, die von dem politischen Getöse um die Ampel in Berlin ausgeht.
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Merz hingegen macht mit seinem konservativ-konfrontativen Auftrumpfen und einer auf das rechte Spektrum zielenden Strategie als Oppositionsführer in Berlin bislang keinen Stich. Die CDU im Bund kommt in den Umfragen nicht vom Fleck, und von der Schwäche der Ampel profitiert derzeit einzig die AfD, die Merz einmal zu „halbieren“ gedachte. Allerdings muss man die guten Noten für Wüst mit einer Fußnote versehen.
Noch beschränkt sich der Ministerpräsident allzu oft auf Ankündigungen. Harten Konflikten geht er aus dem Weg. Die echten Bewährungsproben, etwa beim Strukturwandel im Rheinischen Revier, beim Wohnungsbau und der Misere an den Grundschulen, stehen noch aus. Spätestens bei der Verteilung der knappen Haushaltsmittel für 2024 dürfte es in der schwarz-grünen Regierung erstmals laut knirschen.
Typisch für Wüst ist bislang, dass er mit Symbolpolitik punktet. Dazu gehörte auch die Verleihung des NRW-Staatspreises an Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Sein innerparteilicher Konkurrent Merz hat die mit dieser Ehrung seiner Intimfeindin verbundene Kampfansage sehr wohl verstanden – und sich mit seinem Fernbleiben von der Feier in Köln die größtmögliche Blöße gegeben. Die Zustimmungswerte für die Landesregierung als Ganzes haben sich in den vergangenen neun Monaten kaum verbessert. Eine Mehrheit ist unzufrieden mit Schwarz-Grün.
Noch geht das vor allem zulasten der Grünen, die sich als Regierungspartei nicht so leicht von dem abkoppeln können, was die eigenen Leute in Berlin treiben. Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur weiß, dass sie – auch ganz persönlich – den Kopf dafür hinhalten muss, was ihr Kollege Robert Habeck sich an Gesetzen ausdenkt. Geschadet hat den Grünen auch der Sturmlauf der Klimaschutzbewegung gegen die Preisgabe des Dorfes Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier.
Die Regierungsgrünen haben beim Deal mit dem Energiekonzern RWE über den vorgezogenen Kohleausstieg die Wucht des Vorwurfs unterschätzt, ihre eigenen Ideale verraten zu haben. Wenn Wüst der Meister der effektiven Symbolpolitik ist, dann haben seine grünen Partner in der Landesregierung nicht mal die Gesellenprüfung bestanden.
Beide aber werden die Ärmel hochkrempeln und in die Hände spucken müssen. Die Bürger haben mit ihren Problemanzeigen im „NRW-Check“ deutlich gemacht, dass ihnen die Mängel etwa im Bildungswesen oder der katastrophale Zustand der Verkehrsinfrastruktur alles andere als gleichgültig sind. Hier können Wüst und Co. nicht mehr umstandslos mit dem Finger nach Berlin zeigen. Alarmierend sind die anhaltenden Zweifel eines Großteils der Bevölkerung an der Lösungskompetenz der etablierten Parteien insgesamt.
Jedes Scheitern der Regierung an ihren Aufgaben bestätigt den verbreiteten Mangel an Zutrauen und wirkt wie ein Verstärker für die destruktive Politik der AfD. Die AfD bietet sich als Auffangbecken für Frust und Unmut in der Bevölkerung an – auch angesichts eines offenkundigen Auseinanderdriftens von Erlebens- und Wahrnehmungswelten.
Das Verdrängen oder Kleinreden von Problemen – und seien es nur gefühlte – ist der größte Fehler, den eine verantwortungsbewusste Politik machen kann. Der aktuelle „NRW-Check“ ist insofern auch eine manifeste Warnung an Schwarz-Grün.
Der NRW-Check ist eine Umfrage-Serie im Auftrag des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und 38 weiterer Zeitungstitel aus Nordrhein-Westfalen mit einer täglichen gedruckten Auflage von rund zwei Millionen Exemplaren und einer durchschnittlichen wöchentlichen Gesamtreichweite in gedruckten wie digitalen Angeboten von rund zehn Millionen Leserinnen und Lesern.
Für den aktuellen NRW-Check, den sechsten seit Beginn der Erhebungen im Dezember 2021, befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa in der Zeit vom 29. Mai bis zum 7. Juni insgesamt 1506 Wahlberechtigte im Rahmen des repräsentativen Panels forsa.omninet.
Die Auswahl erfolgte nach einem systematischen Zufallsverfahren. Die Ergebnisse sind repräsentativ und bei einer Fehlertoleranz von plus/minus 2,5 Prozentpunkten auf alle Wahlberechtigten in NRW übertragbar.