Nach einer Untersuchung ist jede fünfte Person, die zwischen 2016 und 2022 in Deutschland islamistische Anschläge begehen wollte, minderjährig.
Islamisten in NRWDie potenziellen Terroristen werden immer jünger
Er wurde von Gleichgesinnten der „Bürgermeister der Araber von Wuppertal“ genannt und spielte sich als Friedensrichter bei Fehden zwischen kriminellen Clans auf. Schon kurz nachdem sich Kahled A, alias Abu Ali, 2015 nach Deutschland abgesetzt hatte und als syrischer Kriegsflüchtling anerkannt wurde, tauchte er ab in die Parallelgesellschaft mit islamischem Scharia-Gericht und archaischen Wertbegriffen. Die hiesige Justiz zählt dort nichts.
Das hinderte ihn aber nicht daran, seine beiden Frauen und die Kinder nach Deutschland zu holen. In Wuppertal lebte die elfköpfige Familie, bezahlt vom Jobcenter, auf zwei Etagen in zwei Wohnungen. Und Khaled A. entpuppte sich als Mitglied der dschihadistischen Terror-Organisation „Jabhat al-Nusra“, die zum Al-Qaida-Netzwerk gezählt wird.
Khaled A. wurde 2023 zu zehn Jahren Haft verurteilt
Abu Ali tauchte ab in der arabisch-türkischen Unterwelt an Rhein und Ruhr. Hier mischt sich islamistische Terrorfinanzierung ins Ausland mit Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Überfällen, Raub, Folter und Geiselnahme sowie Schleuserkriminalität, gewerbsmäßiger Betrug, Steuerhinterziehung nebst Geldwäsche.
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Der Syrer lenkte zudem eine Geldeintreiber-Bande, die in erster Linie für ein international operierendes Finanzschieber-Kartell arbeitete. Das Netzwerk schleuste über das orientalische Hawala-Banking binnen fünf Jahren mindestens 160 Millionen Euro an den deutschen Finanzbehörden vorbei in die Türkei und nach Syrien. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelte gegen 90 überwiegend syrische Beschuldigte. Im April 2023 wurde Abu Ali in zwei Strafprozessen im Hawala-Komplex sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung insgesamt zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.
187 islamistische Gefährder leben in NRW
NRW gilt als Salafisten-Hotspot. Zwar sank deren Zahl von 3200 in den vergangenen vier Jahren auf 2600, zugleich aber müssen die Staatsschützer 600 gewaltbereite Jihadisten im Blick behalten, heißt es im nordrhein-westfälischen „Lagebild Islamismus 2024“. Von den bundesweit knapp 500 islamistischen Gefährdern stehen 187 auf der Liste der NRW-Terrorabwehr. Und auch andere Zahlen im NRW-Lagebild zeigen, wie angespannt die Situation ist. Seit April 2020 seien sieben Terroranschläge an Rhein und Ruhr verhindert worden, heißt es. Nur einmal versagte die Terror-Abwehr vor dem Solinger Anschlag. Ein syrischer IS-Anhänger tötete im Frühjahr 2023 einen türkischstämmigen Mann in Duisburg und verletzte bei einem Angriff in einem Fitnessstudio vier Menschen schwer – ebenfalls mit einem Messer.
Alle islamistischen Gruppierungen agitieren laut NRW-Verfassungsschutz gegen Israel, wobei die Hetze seit dem Überfall der Terror-Organisation Hamas am 7. Oktober 2023 massiv zugenommen habe. „Die aktuelle Konfliktlage im Nahen Osten bietet Ansätze für eine Instrumentalisierung durch Islamisten und ermöglicht diesen, weit über ihr Kernklientel hinaus bis in die Mitte der Gesellschaft hinein um Anschluss und Solidarität zu werben“, heißt es in dem NRW-Bericht. Auch in einer mutmaßlichen Erklärung des „Islamischen Staat“, in dem die Terror-Organisation den Solinger Anschlag für sich beansprucht, ist von einem Racheakt für „Muslime in Palästina“ die Rede.
Hassprediger auf TikTok, Youtube und Instagram
In NRW sind radikale Prediger gelegentlich vor tausenden Sympathisanten aufgetreten. „Das Internet wird mehr und mehr zum Hochleistungsmotor für Radikalisierung“, betonte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) unlängst bei der Vorstellung des nordrhein-westfälischen Lageberichts: „Hass-Prediger haben ihre Online-Propaganda perfektioniert, Extremisten inszenieren sich als Influencer mit schlichten, reaktionär-patriarchalischen Wertvorstellungen.“ Im Islamismus-Report ist von einem neue Lifestyle-Gefühl die Rede. Neuerdings sei es schick, ein Salafist zu sein, um sich abzugrenzen.
Ostern vergangenen Jahres wurden drei Jugendliche aus NRW im Alter von 15 bis 16 Jahren festgenommen, die sich ebenfalls über islamistische Chatforen radikalisiert hatten. Mit einem weiteren Teenager aus Baden-Württemberg hatten sie laut Staatsanwalt Düsseldorf einen Mordanschlag geplant. Die IS-Anhänger wollten offenbar mit Molotowcocktails, Sprengsätzen und Messern auf Menschen losgehen.
Jeder fünfte Attentäter war ein Jugendlicher
Der Fall zeigt, dass die Täter immer jünger werden. Nach einer Untersuchung des „Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ der Universität Hamburg ist jede fünfte Person, die zwischen 2016 und 2022 in Deutschland islamistisch motivierte Terroranschläge vorbereitet oder durchgeführt hatte, keine 18 Jahre alt. Anfang Dezember vergangenen Jahres wurde ein 15-jähriger Deutsch-Afghane aus dem Rheinisch-Bergischen-Kreis festgenommen, weil er mit einem Komplizen auf dem Weihnachtsmarkt in Leverkusen-Opladen einen mit Gasflaschen gefüllten Kleinlaster hochgehen lassen wollte.
Neben diesem „Trend zum jugendlichen Attentäter“, wie es ein Staatsschutz-Ermittler nennt, werden in NRW zunehmende Kontakte zwischen Salafisten-Predigern und kriminellen kurdisch-libanesischen Clans registriert. Der Bonner Hassprediger Abdul Alim Hamza beispielsweise, der seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hetzt in einer Moschee und gilt auch wegen seiner Internetpräsenz als einer der „Stars“ der Szene. Auf Messenger-Plattformen posiert er gerne mit dem Berliner Clan-Boss Arafat Abou-Chaker
Kontakte zwischen Hasspredigern und kriminellen Clans
Wenn sich das organisierte Verbrechen zukünftig „ernsthaft mit islamistischen Hetzern“ verbinde, wäre das „komplex und hochgefährlich“, sagt ein Ermittler. Denn dies ist nicht die einzige Entwicklung, die beobachtet werden muss. Außer den neuen Allianzen oder zunehmend jünger werdenden Einzeltätern gibt es auch noch die „ausgebildeten“ Terroristen, die zielgerichtet nach Deutschland geschickt werden. Im Juli vergangenen Jahres wurden drei Männer aus Zentralasien verhaftet, weil sie unter anderem die Kirmes im Kölner Stadtteil Deutz als mögliches Anschlagziel ausgespäht haben sollen. Sie gehörten zu einer neunköpfigen zentralasiatischen Zelle, die im Auftrag des afghanischen IS-Ablegers „Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“ (ISPK) in Deutschland ein Blutbad anrichten sollte. Monatelang wurden die Gruppe, die mittlerweile vor Gericht steht, von den Staatsschützern abgehört und observiert.
Wie schwierig die Ermittlungen teilweise sind, zeigt etwa der Fall eines Hasspredigers aus Herne. Der 57-Jährige soll vor deren Festnahme engen Kontakt zu den ISPK-Kämpfern gehabt haben. Und im Februar 2021 wurde er vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen „Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe setzte der Staatsschutzsenat zur Bewährung aus. Nach wie vor macht der Islamist Stimmung gegen „Ungläubige“, weitere Straftaten konnten ihm bisher nicht nachgewiesen werden.