Magdalena M. war schon mehrmals wie betäubt aufgewacht, als man in ihrem Blut Benzodiazepine nachwies. Nicht nur in Clubs, sondern auch zu Hause werden immer mehr Frauen Opfer von K.-o.-Tropfen
K.o.-TropfenWie Frauen von ihren Partnern auch mit Reinigungsmitteln gefügig gemacht werden
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Nicht nur in Clubs und im Karneval ein Problem: Ein Bochumer steht im Verdacht, seine Lebensgefährtin zu Hause mit K.-o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt zu haben.
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Irgendetwas stimmte nicht. Der Kopf war schwer, alles drehte sich, ihr war schummrig zumute. Die Uhr zeigte bereits elf Uhr vormittags. Normalerweise schlief sie nie so lange. Nur mühsam kam Magdalena M. (Name geändert) aus dem Bett. Als sie an sich hinunterblickte, häuften sich die Fragen. Mit dieser Wäsche war sie doch am Abend zuvor nicht schlafen gegangen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie sich nach einer Nacht wie betäubt fühlte. Im September 2024 raffte sich Magdalena M. auf und suchte die Uni-Klinik in Bochum auf. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ fanden sich bei einer Untersuchung Rückstände des starken Schlafmittels „Tavor“ in ihrem Blut. Das verschreibungspflichtige Medikament zählt zu der Arzneimittelgruppe der Benzodiazepine. Die Tabletten werden zur Behandlung von Epilepsien, als Narkose, zur Beruhigung und als Schlafmittel eingesetzt. M. nahm nie solche Arzneien. Wer also hatte ihr die Betäubungssubstanz eingeflößt? Und warum?
Magdalena M. schaltete die Polizei ein. Die Ermittlungen führten zu ihrem Lebensgefährten. Im Nachtschrank von Michael K. (Name geändert) fand sich eine fast leere Packung Tavor. Vermutlich hatte er den Stoff in Rotwein aufgelöst, seiner Freundin per Glas gereicht, um sie im bewusstlosen Zustand zu vergewaltigen. Klinische Untersuchungen erhärteten den Tatverdacht.
Anklage wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung
Wie eine Sprecherin des Bochumer Landgerichts dieser Zeitung auf Anfrage mitteilte, hat die Staatsanwaltschaft den inzwischen inhaftierten Beschuldigten in drei Fällen wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Sein Verteidiger Stephan Schultz erklärte auf Anfrage, dass sich sein Mandant „derzeit in der Sache nicht äußern wird“.
Der Fall erinnert an das Martyrium der Gisèle Pelicot, obschon er nicht an die grauenhaften Ausmaße heranreicht. Ehemann Dominique Pelicot hatte die heute 72 Jahre alte Französin fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und von 50 anderen Männern vergewaltigen lassen. Das Gericht in Avignon verurteilte den Sexualstraftäter Ende 2024 zu 20 Jahren Gefängnis.
Auch das Urteil gegen den Serienvergewaltiger Michael R., 34, kurz vor Weihnachten am Landgericht Erfurt sorgte für Aufsehen. Es lautet auf zwölfeinhalb Jahre Haft plus Sicherungsverwahrung. Der bereits vorbestrafte R. soll 17 Frauen alkoholische Getränke verabreicht haben, in die er selbst gemixte K.o.-Tropfen aus Felgenreinigern mischte. Er verging sich an den betäubten Opfern und filmte den Missbrauch. Nach einem missglückten Angriff auf eine Frau in der Silvesternacht 2023/24 konnte die Polizei R. festnehmen. Bei der Durchsuchung fanden die Ermittler Handys und einen USB-Stick mit Aufnahmen der Vergewaltigungen. Erst durch diese Bilder erfuhren manche seiner Opfer von den sexuellen Übergriffen des Tatverdächtigen. „Der Mann wollte die Frauen besitzen, er wollte die absolute Macht über sie“, hieß es in der Urteilsbegründung. Trotz eines weitgehenden Geständnisses hat R. Revision gegen das Urteil eingelegt.
Kostenlose Tests gefordert
Mehr Schutz vor sexueller Gewalt forderte unlängst die Wissenschaftlerin Charlotte Förster. Sie plädierte für mehr Aufklärung und eine bessere Versorgung von Menschen, die möglicherweise Opfer von K.o.-Tropfen geworden sind. Ähnlich wie es in Frankreich geplant sei, sollten entsprechende Tests auch in Deutschland kostenlos und schnell verfügbar sein, so Förster, die Juniorprofessorin an der Technischen Universität in Chemnitz ist.
Erfahrungsberichte und nachgewiesene Einzelfälle wiesen darauf hin, dass K.o.-Tropfen auch im häuslichen Bereich eingesetzt würden. Die Gefahr, sich solchen Missbrauchsszenarien auszusetzen, bestehe also nicht nur bei Besuchen von Clubs, Kneipen oder Festen.
Jochen Link, Opferschutzanwalt und Leiter einer Außenstelle der Initiative „Weißer Ring“, ist juristischer Experte für das Thema K.o.-Tropfen: „Oft benutzen die Täter Reinigungsmittel, die Gamma-Butyrolacton (GBL) enthalten“, sagt Link im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. GBL ist eine klare, geruchlose Flüssigkeit. Die Substanz fällt in einem Drink oder einem Glas Wein nicht auf. Im Körper verwandelt sich der Stoff in Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB), besser bekannt als Party-Droge Liquid Ecstasy. „Das Mittel baut sich binnen zwei Tagen komplett ab und ist danach nicht mehr nachweisbar“, so Link. Ehe manche Opfer Verdacht schöpfen, können sie den entscheidenden Beweis nicht mehr führen.
Vor dem Hintergrund fordert der Jurist, die Reinigungsmittel mit einem Bitterstoff zu vergällen. In dem Zusammenhang verweist der Anwalt auf Substanzen des Herstellers Bitrex. „Das Zeug ist ungefährlich, aber man spuckt es wegen seines bitteren Geschmacks sofort wieder aus.“ Bisher wehrt sich die Reinigungsindustrie dagegen, solche Stoffe beizumischen. Link sieht daher den Gesetzgeber in der Pflicht.
Nur zwei Bundesländer führen Statistiken zu K.o.-Tropfen-Taten
Experten bemängeln, dass bundesweit keine Zahlen zu K.o.-Tropfen-Attacken existieren. Nur in zwei Bundesländern zählt man die Straftaten in speziellen Statistiken. In Baden-Württemberg konstatierte die Polizei im Herbst vergangenen Jahres, dass die registrierten Fälle seit 2014 um 160 Prozent zugenommen haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass nur ein Bruchteil der Übergriffe bekannt werden, weil viele Taten aus Scham oder aus Selbstzweifeln nicht bei der Justiz landen. Das Landeskriminalamt Sachsen hat für 2023 insgesamt 60 Straftaten im Zusammenhang mit K.o.-Tropfen aufgelistet, das sind zehn mehr als jeweils in den zwei Jahren zuvor.
Der Berliner Senat hat jüngst eine Bundesratsinitiative beschlossen, die härtere Strafen bei der Verwendung von K.o.-Tropfen und anderer Substanzen vor allem bei Sexualdelikten vorsehen. Hauptziel ist es, solche Mittel im Strafgesetzbuch als „gefährliche Werkzeuge“ zu verankern. Der Bundesgerichtshof stuft derzeit den Einsatz solcher Knock-Out-Substanzen nicht automatisch in die Kategorie „Tatwerkzeug“ ein. Erst wenn das Opfer konkret in Lebensgefahr gerät, so die Richter, könne bei Raub und Vergewaltigung eine Strafe nach diesen Vorschriften verhängt werden.
Auch die schwarz-grüne Landesregierung in NRW will eine spürbare Strafverschärfung über die Bundesratsschiene auf den Weg bringen. „Jedem, der eine Vergewaltigung oder einen Raub mit K.o.-Tropfen begeht, muss klar sein, dass er künftig für mindestens fünf Jahre ins Gefängnis geht“, sagte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Tropfen seien „nicht anders zu bewerten wie der Einsatz einer Waffe oder eines Messers, mit dem der Widerstand des Opfers gebrochen“ werden solle.