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Klimawandel kostet NRW MilliardenKlimaforscher: Längst klar, dass „die 1,5 Grad niemals gehalten werden können“

Lesezeit 4 Minuten
Extremes Niedrigwasser am Rhein im Sommer 2022

Extremes Niedrigwasser am Rhein im Sommer 2022

Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein, Köln bis 2035. Ein Drittel der deutschen Emissionen kommt aus NRW.

Um sich gegen den Klimawandel zu wappnen, sind in NRW Investitionen in Milliardenhöhe notwendig. „Die Klimakrise trifft uns mit voller Wucht“, sagte der nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Tage mit Temperaturen „von mehr als 30, manchmal sogar 40 Grad Celsius“ würden in Zukunft noch zunehmen. „Dazu lange Dürreperioden, das wird gravierende Folgen für Mensch, Umwelt und Infrastruktur haben“, betonte der Minister.

Der Klimawandel ist in den nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden längst angekommen. Die Flutkatastrophe 2021 mit 47 Toten alleine in NRW, die Hitze- und Dürresommer 2019 und 2022 mit rekordverdächtigen Niedrigwasserständen an Rhein und Ruhr sowie Waldbränden im Sauerland, aber auch das Hochwasser an Weihnachten 2023 und zum Jahreswechsel 2023/24: Die gravierenden Folgen sind vielerorts spür- und sichtbar geworden.

Für die Umsetzung der notwendigen Klimamaßnahmen stünden mehr als eine Milliarde Euro für 2023 und 2024 im Landeshaushalt bereit, vor allem für klimafreundliche Mobilität, die Wärmewende und den beschleunigten Ausbau von Windkraft und Photovoltaik, berichtete Krischer. Gut eine weitere Milliarde Euro stelle die EU bis 2027 „für klimaschutzrelevante Projekte“ zur Verfügung. Und weitere Klimaschutzpakete würden im Lauf der schwarz-grünen Legislatur in NRW auf den Weg gebracht werden.

Ein Drittel der deutschen Emissionen kommt aus NRW

„Die dringend notwendigen Anpassungen an den Klimawandel werden in NRW weitere Milliarden Euro kosten, aber das ist in meinen Augen eine alternativlose Investition in die Zukunft und aktive Daseinsvorsorge, um die Folgen des Klimawandels zu begrenzen“, so der Minister. Ohne NRW werde „Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen und ohne die Bundesrepublik wird die Europäische Union diese verfehlen“. NRW sei für etwa ein Drittel der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Wir wollen bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität erreichen, wofür die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent gesenkt werden müssen“, sagte der Grünen-Politiker: „Das Land wird damit seiner Verantwortung gerecht und trägt zur Erreichung des Pariser Klimaziels bei.“

Dass es ohne NRW nicht gehen würde, meint auch der Klimaforscher Mojib Latif. „Als bevölkerungsreichstes Bundesland ist NRW natürlich ganz besonders verantwortlich, erheblich dazu beizutragen, dass Deutschland seine Klimaziele nicht reißt“, betonte der Wissenschaftler auf Anfrage dieser Zeitung: „Ohne jedenfalls bekommt man die deutschen Ziele nicht gebacken.“ Dass sich die Politik indes „so darauf konzentriert und fokussiert“ habe, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei nicht nur „vollkommen falsch“, sondern auch „kontraproduktiv“: „Dadurch hat man den Leuten, gerade den jungen Menschen, das Gefühl gegeben, dass dann die Welt untergeht, wenn wir das nicht schaffen.“ Derartige „Untergangsszenarien“ jedoch würden nicht weiterhelfen, wobei doch längst klar sei, dass „die 1,5 Grad niemals gehalten werden können“, so Latif. „Und dann wird man sehen, dass es nicht der Fall ist, dass die Welt tatsächlich untergeht“, ergänzt der Klimaforscher. Wichtig wäre seines Erachtens aber, unter zwei Grad Erwärmung zu bleiben: „Auch das ist schon eine Herkulesaufgabe, die schwer zu stemmen sein wird.“

Deutlich mehr Hitzetage

Die durchschnittliche Lufttemperatur in NRW betrug in den Jahren von 1991 bis 2020 zehn Grad Celsius und damit bereits 1,6 Grad mehr als zwischen 1881 und 1910. Im Zeitraum von 2071 bis 2100 wird die Lufttemperatur im günstigsten Fall auf dem derzeitigen Niveau bleiben, errechneten Experten des NRW-Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Wenn weltweit alles „so weiter wie bisher gehen“ würde, könnte sie auf bis zu 13,7 Grad Celsius steigen, zeigten die Wissenschaftler in einem Szenario.

Die Zahl der Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad würde zum Ende des Jahrhunderts in NRW dann von acht auf 28 Tage steigen. Hitzewellen, definiert als drei aufeinander folgende Tage mit mindestens 30 Grad, gibt es bisher etwa alle drei Jahre in NRW. Im schlimmsten Fall könnten sie nach den Berechnungen der Lanuv-Experten dann bis zu fünfmal im Jahr an Rhein und Ruhr auftreten.

Die Auswirkungen dieses „Wort-Case-Klimawandels“ seien in den Regionen unterschiedlich. Für die dicht besiedelten Bereiche entlang von Rhein und Ruhr etwa, die bereits heute zu den wärmsten Regionen Deutschlands zählen, werden die Hitzewellen besonders relevant sein. In den zugebauten „Hitzeinseln“ der Großstädte könnte es bis zu zehn Grad heißer werden als im Umland.