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Kommentar

Verkehrswende
Wie ich meinen Plan eines autofreien Lebens in Köln vermasselte

Ein Kommentar von
Lesezeit 7 Minuten
Eine Fahrradfahrerin mit Kindersitz ist am Mittwochmorgen (18.01.2017) auf dem Sülzgürtel in Köln unterwegs. Die Temperaturen liegen an diesem sehr kalten Wintermorgen im Minusbereich.

Strampeln durch den Familienalltag in Köln – am Ende scheiterte die Autorin.

Ein Leben ohne Auto wird in der Stadt ja wohl auch für eine Familie möglich sein? Ich war voller Ehrgeiz und bin dennoch gescheitert.

Als der Auspuff abfiel, glaubte ich mich endlich am Ziel. Ein Leben ohne eigenes Auto, dieses Vorhaben hatte ich lange verfolgt, gut geplant, mit immenser Anstrengung unterfüttert. Der Schrottplatz schien nahe. Und nun kommt doch alles ganz anders. Vielleicht könnte man sagen, mein Wagen war zäher als ich. Er hat meine Pläne voller Ehrgeiz durchkreuzt. Er hat durchgehalten. Ich nicht.

Dies ist eine Geschichte des Scheiterns, des Aufgebens, der Kapitulation. Mein altes, schrabbeliges Auto – ich schwöre, ich wollte es immer loswerden. Ich habe es immer seltener, in den letzten Jahren quasi gar nicht mehr genutzt. Ich dachte, ich wäre darüber hinweg. Der wackelnde und röhrende Auspuff als Zeichen. Nie wieder Stau. Nie wieder Parkplatzsuche. Nie wieder klimaschädlich. Aber ich habe es vermasselt. Und das kam so:

Es gab eine Zeit, da kurvte ich viel herum

Das zum Auspuff gehörende Auto ist sechzehn Jahre alt, ein Peugeot Filou. Es ist eines der kleinsten, das auf dieser Welt existiert. Vier Personen mit idealerweise kurzen Beinen können mitfahren. Der Kofferraum ist Modell „Shopping“, wie der Verkäufer ihn seinerzeit anpries. Was bedeutet: Einen Wasserkasten kann man damit nicht transportieren, ganz gut aber eine schmale Tüte mit einem neuen Abendoutfit. Ich habe das damals nicht weiter reflektiert, ausschlaggebend war der Preis, einen Wagen, dessen Innenraum mit so raumgreifenden Dingen wie unserem Kinderwagen fertig geworden wäre, hätte ich mir eh nicht leisten können.

Es gab eine Zeit, da kurvte ich viel herum. Meine Tochter zur Schule, zur Arbeit, danach einkaufen, Parkplatzsuche in den engen Einbahnstraßen Ehrenfelds. Ich fuhr nach Berlin, Bayern oder ans Meer, ich verfuhr mich oft, kam aber immer an. Die Motorisierung liegt eigentlich in meinen Genen. Einer meiner Großväter war Lastwagenfahrer, der andere Kranführer, mein Vater arbeitete in einem Autohaus. Einige Monate war ich sogar Autorin einer Autokolumne dieser Zeitung. Ich stand aber auch viel im Stau, gerne auf der Venloer Straße. Ich habe sehr viele Nervenzellen bei all diesen Fahrten verloren. Und sicherlich Wäschekörbe voller Strafzettel bekommen.

Meine Zeit als Autofahrerin, sie war nicht wirklich ideal. Und so entschied ich mich spätestens mit der Geburt meines jüngsten Kindes für ein klimafreundlicheres Leben. Ich zog in die Innenstadt, ich erledigte während der Elternzeit fast alles zu Fuß, ich kaufte mir anschließend ein besseres Fahrrad, ich radelte zur Tagesmutter, zur Arbeit, zu Terminen, ich zwang das große Mädchen zum Bahnfahren. Ich legte mir selbst ein Deutschlandticket zu, ich schloss eine Mitgliedschaft beim Carsharing-Anbieter ab – für den Notfall. Denn eigentlich blieb mein Ehrgeiz, so wenig Auto wie nur irgend möglich zu nutzen.

Ich war so unglaublich stolz. Ich wurde deutlich fitter. Ich schaffte das Dreieck Zuhause (Neustadt) – Tagesmutter (Braunsfeld) – Büro – (Niehl) in einer guten Stunde (inklusive Kind abgeben, bzw. abholen). Trödeln durfte ich dabei freilich nicht, denn viel Transportzeit gesteht die Gesellschaft ganztagsarbeitenden Elternteilen nicht zu. Nach Dienstschluss heißt es flugs in den Sattel und treten, sonst bricht bei den knapp bemessenen Betreuungszeiten der ganze Tagesplan zusammen. Es war mitunter so, als würde man versuchen, mit einem Medizinball Fußball zu spielen. Auch wenn es an gutem Willen und Einsatzbereitschaft nicht mangelt, es fluppte einfach nicht. Es hat mich erschöpft.

Die Zusatzlevel hießen Pandemie, Schrebergarten, Fußballtraining, Enkelkind

Erst war es das Einkaufen. Schnell zwischen Tagesmutter und Zuhause noch zum Supermarkt? Ging, aber nur in Single-Mengen. Wer schon mal versucht hat, regelmäßig, mit dem Fahrrad und einem Kleinkind für eine fünfköpfige Familie einzukaufen (ja, die Getränke habe ich weise an den Lieferdienst ausgelagert) und dabei nicht mindestens einmal weinend mit geplatzten Tüten und Schokoriegel essend am Straßenrand gesessen hat, kann mir gerne schreiben, vielleicht kann er (oder sie) mir Tipps geben, in jedem Fall werde ich mich vor Bewunderung verneigen.

Und dann haben die logistischen Herausforderungen einer Mutter mystischerweise die Eigenschaft zu wachsen und sich auszudehnen. Wer denkt, er habe die Challenge Kleinkind, Arbeit, Einkaufen auf dem Fahrrad jetzt super drauf und sich zurücklehnen will, dem beschert das Schicksal einen neuen Thrill. In meinem Fall hießen die Zusatzlevel: Pandemie mit Teenagerkindern, die plötzlich nicht mehr Bahnfahren sollten. Ein Schrebergarten in Westhoven. Das Fußballtraining des Jüngsten in Müngersdorf. Ein Enkelkind in Dellbrück.

Ich habe all das versucht, in meinen klimaneutralen Logistikplan einzufügen. Ich bin mit der Bahn bis zur Kölner Straße gefahren und den restlichen Kilometer zum Garten gelaufen. Mit Blumenzwiebeln, Gartengerät, Blaubeersträuchern oder einem Kiwibaum. Ich holte meinen Sohn mit dem Fahrradsitz von der Schule ab und strampelte mit ihm zum Training nach Müngersdorf. Im Winter wurde der Kurs in die Soccerhalle verlegt. Also strampelten wir nach der Arbeit nach Lövenich. Bei Starkregen nahmen wir die Bahn und anschließend den Bus. Es hat irgendwie funktioniert, wenn wir gerade auf dem Rückweg auch manchmal eine gute Stunde unterwegs waren. Manchmal war das lustig, aber bis wir heimkamen, war der Kindertag zu Ende, weshalb ich zwischenzeitlich zur Optimierung sogar über die Möglichkeit eines Bus-Abendbrot-Picknicks nachdachte (was glaube ich verboten, mindestens aber nicht gern gesehen ist).

Carsharing zögerte den Transport-Burnout hinaus

Das größte Problem war irgendwann der fehlende Stauraum, der so ein handelsübliches Fahrrad bietet. Wer von der Arbeit kommend sein Kind von der Schule abholt, um zum Training zu eilen oder zum Enkelkind oder zum Gießen, der hat nicht nur einen eigenen Rucksack inklusive Laptop dabei, sondern auch einen Schulranzen, Fußballschuhe, Schienbeinschoner, Stutzen, Regenjacke, Snacks, Getränke, eine Tupperdose mit Zimtschnecken für die gestresste Babymutter.

Ich habe versucht, durch vermehrte Carsharing-Nutzung den Transport-Burnout hinauszuzögern. Und fast hat das funktioniert. Ich muss dazu sagen: Ich liebe unsere Carsharing-Station. Schon dafür, dass man so viele Kindersitze mitnehmen kann, wie man möchte, man kann also auch spontan mal drei weitere Kinder zuladen. Ein Wermutstropfen ist, dass Carsharing zur Sparsamkeit verleitet. Gerade Ketten-Verpflichtungen, wie sie Menschen mit Kindern den gesamten Tag über begleiten (erst Arbeit, dann Schule, dann Einkaufen, dann Garten) gehen wegen des langen Nutzungszeitraums dann doch ins Geld. Aus Klimasicht ist das natürlich begrüßenswert. Aus Nervensicht eher nicht. Denn wer für jede Stunde und jeden Kilometer extra zahlt, nutzt geizig. Ich lieh ein Auto also nur dann, wenn ich am Rande des Zusammenbruchs stand.

Die Wende brachte vor wenigen Tagen ein befreundeter Autoschrauber, der sich dem winzigen, gammligen Stadtflitzer ohne Auspuff annahm. Zum Wegwerfen sei gerade dieses Modell zu schade, versicherte er mir. Für die Stadt gebe es kaum geeigneteres. Ich wehrte mich. Wieder ein eigenes Auto nutzen? Das konnte ich mit meinem Selbstbild von der sportlichen Städtemutter gar nicht überein bringen. Ich gab vor, den Wagen nur zum Ausschlachten in die Werkstatt bringen zu lassen. Und zum Verschrotten. Ich dachte, ich hätte es besiegt. Und dann rief der Schrauber an. „Ich krieg’ den Wagen günstig durch den TÜV. Ein super Auto habt ihr da. Das fährt noch eine Weile.“

Was soll ich sagen? Sie ahnen es. Ich bin eingeknickt und habe ihm zugesagt, die Rechnung zu bezahlen. Und schäme mich sehr.

Zu meiner Verteidigung lässt sich höchstens sagen: Das Fahrrad als Transportmittel – und der öffentliche Nahverkehr erst recht – verträgt sich am Ende nicht allzu gut mit den logistischen Herausforderungen eines Mütteralltags. Erst recht nicht auf dem Land, aber oft nicht einmal in der Stadt. Das Warten auf die Bahn, das gemütliche Spazierenfahren, das Bummeln zu Fuß – es ist nicht eingeplant in so einer Familienrushhour. Und am Ende ist weder das Fahrrad zu langsam noch die Bahn zu unzuverlässig, sondern das Leben gerade von Eltern zu überladen.

Ich werde den Plan des autofreien Lebens also nicht ganz aufgeben. Höchstens verschieben. Denn grundsätzlich ist ein eigener Wagen in der Stadt natürlich auch keine Lösung. Ich werde das Autofahren hassen, das Parkplatzsuchen, das Im-Stau-stehen, das Abgase-Verursachen sowieso. Aber wer weiß? Vielleicht gibt es irgendwann kluge Gesetze und Erfindungen, die Familien das Leben und den Transport erleichtern. Dann, das verspreche ich, bin ich stark genug, um mein Auto endgültig kleinzukriegen.