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Grüne vermissen „Stallgeruch“Massive Kritik an NRW-Justizminister nach Klüngel-Berichten

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 11.08.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, stellt auf einer Pressekonferenz den "Altstadt-Staatsanwalt" vor. Das Verwaltungsgericht in Münster hat die Besetzung eines Spitzenpostens der NRW-Justiz gestoppt und dabei nicht mit Kritik an NRW-Justizminister Limbach gespart. (zu dpa «Gericht stoppt Besetzung von Spitzenposten der NRW-Justiz») Foto: David Young/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Justizminister Benjamin Limbach wird vorgeworfen, Bewerber um einen hohen Posten zum Rückzug gedrängt zu haben.

Benjamin Limbach soll zwei Bewerber zum Rückzug gedrängt haben, um eine Duz-Bekannte zu bevorteilen. Der Minister weist den Vorwurf zurück.

Eher selten ertönt der Rockklassiker von BAP „Verdamp lang her“ auf einer Trauerfeier. Es war eines der Lieblingslieder von Joachim Roth. Und so begleitete der legendäre Refrain am Mittwoch den letzten Gang des nach kurzer Krankheit verstorbenen ehemaligen Leitenden Oberstaatsanwalts in Köln. Etwa 300 Trauergäste erwiesen dem 63-jährigen Chefankläger auf dem Melaten-Friedhof die letzte Ehre. Teilnehmer berichten, dass Emissäre aus dem Landesjustizministerium fehlten. Diese seien auch nicht erwünscht gewesen.

Der Groll über Justizminister Limbach sitzt tief

Zu tief sitzt in Kölner Justizkreisen der Groll über den Umgang mit dem verdienten Strafverfolger. Gut vier Monate ist es her, dass Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) den Kölner Behördenleiter in der Cum-Ex-Affäre um den größten Steuerraub hierzulande zum Sündenbock machte. Demnach sollten Roth und andere die Herausgabe von Cum-Ex-Ermittlungsakten aus Verfahren gegen Hamburger Banker und Politiker an den hanseatischen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fahrlässig verzögert haben. Auf Druck des Justizministers warf Roth Anfang Juli das Handtuch und trat zurück.

Limbach aber ließ nicht locker. Selbst in Erklärungsnöte im Akten-Chaos geraten, stellte der Grünen-Politiker Ex-Chefankläger Roth gleich zwei Mal im Rechtsausschuss des Landtags öffentlich an den Pranger. Ein Affront sondergleichen, der sich später wie ein Bumerang gegen den Minister zurückdrehte. Letztlich stellte sich heraus, dass Limbach die chronologischen Abläufe zur Herausgabe der Cum-Ex-Unterlagen falsch dargestellt hatte.

Seither agierte der Verwaltungsjurist Limbach unglücklich. Da ist etwa der Bewerberstreit um den Präsidentenposten beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Unter seinem Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) längst entschieden, schnürte Limbach das Personalpaket im Juni 2022 nach der Landtagswahl nochmal auf. Drei Monate später tauchte eine Abteilungsleiterin aus dem Innenministerium mit CDU-Parteibuch auf.

Limbach wollte eine Duz-Bekannte zur OVG-Präsidentin machen

Obschon die neue Kandidatin im Gegensatz zu Mitbewerbern keine Erfahrung in höchstrichterlichen Ämtern aufzuweisen hatte, wollte Limbach die Duz-Bekanntschaft im Mai 2023 zur neuen OVG-Präsidentin ernennen. Seine Fachabteilung hatte der Bewerberin im Auswahlverfahren die besten Noten erteilt. Dagegen klagten zwei Konkurrenten: ein Bundesrichter und ein Abteilungsleiter aus dem Justizministerium.

Jetzt muss das Oberverwaltungsgericht Münster über die Einsprüche entscheiden, nachdem gleich zwei Kammern aus den unteren Instanzen das Auswahlverfahren gestoppt hatten. Das Verwaltungsgericht Münster unterstellte dem Minister gar eine „manipulative Verfahrensgestaltung“. Der so Gescholtene hat die Vorwürfe im Landtag stets zurückgewiesen. Immer wieder betonte Limbach, dass er keinen Einfluss auf die Personalauswahl genommen habe.

Das Gegenteil aber scheint der Fall zu sein. Wie die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ jetzt berichtete, wirkte der Minister persönlich auf zwei aussichtsreichen Konkurrenten ein, ihre Bewerbung zurückzunehmen. So soll er einem Bundesverwaltungsrichter mitgeteilt haben, es gebe eine „Bessere“. Zu jenem Zeitpunkt lag aber noch gar keine sogenannte „Überbeurteilung“ für seine Favoritin vor. Hatte sich Limbach bereits in jener Phase auf die Nachzüglerin aus dem Innenministerium festgelegt?

Limbach räumt Treffen ein, dementiert aber Einflussnahme

Befragt zu den neuen Vorwürfen, räumte Limbach die beiden persönlichen Treffen mit den Konkurrenten ein: „Es ist auch in der Justiz durchaus üblich, mit Bewerberinnen und Bewerbern Gespräche zu laufenden Bewerbungsverfahren zu führen. Aufgrund der herausgehobenen Stellung des OVG habe ich in dem Verfahren zur Besetzung der Spitze die Gespräche mit den Bewerbern persönlich unter vier Augen geführt.“ Dies sei auf Wunsch dieser Kandidaten geschehen. Erst danach hätten die beiden Bewerber geklagt.

„In meinen Gesprächen wurde kein Bewerber aufgefordert oder in irgendeiner Weise dazu gedrängt, seine Bewerbung zurückzuziehen.“ Vielmehr will Limbach einen Kandidaten im September 2022 gebeten haben, seine verdienstvolle Tätigkeit als Abteilungsleiter fortzusetzen. Den Bundesverwaltungsrichter habe er nur gebeten, seine Bewerbung nochmals zu überprüfen. Zugleich machte der Grünen-Minister klar, dass sich seine Fachabteilung in jener Zeit noch nicht auf einen Favoriten festgelegt habe.

Ehemaliger Verfassungsrichter Bertrams übt Kritik

Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts für NRW, Michael Bertrams, übt im Gespräch mit dieser Zeitung am Justizminister deutliche Kritik: „Das Bewerberverfahren ist nicht korrekt abgelaufen, und ich kann nachvollziehen, dass Herrn Limbach dafür die rote Karte gezeigt wird.“ So hätten die Verwaltungsgerichte in Münster und Düsseldorf „evidente Verfahrensfehler festgestellt“.

Es gehöre zwar zu den Aufgaben eines Justizministers, an der Besetzung höchster Richterposten mitzuwirken und dem Landeskabinett einen entsprechenden Personalvorschlag zu unterbreiten. „Aber es ist völlig unüblich, dass der Minister im Interesse seiner eigenen Kandidatin Mitbewerber persönlich anspricht, mit dem Ziel, dass diese ihre Kandidatur zurücknehmen. Das wäre ein deutlicher Ausdruck seiner Befangenheit“, folgert Bertrams.

Schon jetzt bedeutet die Vakanz eine völlig inakzeptable, unerträgliche Situation
Michael Bertrams, ehemaliger Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs

Sollte auch das OVG in Münster gegen das ministerielle Votum entscheiden, so würde sich die dreijährige Vakanz an der Spitze des höchsten Verwaltungsgerichts im Land nochmals deutlich verlängern. „Schon jetzt bedeutet die Vakanz eine völlig inakzeptable, unerträgliche Situation“, resümiert der einstige höchste Richter in NRW.

Opposition fordert Rücktritt

Die Landtagsopposition reagiert ähnlich: Elisabeth Müller-Witt, SPD-Vize-Fraktionsvorsitzende in NRW sieht sich „in unserer Rücktrittsforderung einmal mehr bestätigt“. Henning Höne, FDP-Landesfraktionschef, wirft Limbach vor, den Rechtsausschuss und die Öffentlichkeit belogen zu haben. „Geht der Justizminister nicht von selbst, steht Ministerpräsident Hendrik Wüst in der Pflicht, ihn zu entlassen.“

Die schwarz-grüne Regierungskoalition hält sich bedeckt. Hinter den Kulissen sprechen CDU-Kreise von einer „misslichen Lage“. Der Fall zeige, dass Limbach als politisch unerfahrener Seiteneinsteiger zu viele Fehler mache. Schon der gescheiterte Plan zur Teilung der Cum-Ex-Abteilung bei der Kölner Staatsanwaltschaft sei „Banane“ gewesen. Nun habe sich der Minister erneut selbst angreifbar gemacht, in dem er „maximal ungeschickt“ kommunizierte, so das Fazit. Von daher hänge viel davon ab, wie glaubwürdig Limbach die Vorwürfe im Rechtsausschuss am Dienstag entkräften könne.

Die Grünen sehen die Performance ihres Parteifreundes ebenfalls skeptisch. Der Minister habe „keinen Stallgeruch“ und wirke bisweilen überheblich. „Es gibt viele, die ihm keine Träne hinterherweinen würden“, bekennt eine Landtagsabgeordnete.