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Staatsanwältin intern umstrittenKölner Fahnder zahlen Firmen sechsstellige Summen, um Cum-Ex-Flut zu bewältigen

Lesezeit 5 Minuten
Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker (r) sitzt vor dem Landgericht auf dem Platz des Anklägers. Vor dem Bonner Landgericht hat der erste Strafprozess zu den hochumstrittenen "Cum-Ex"-Steuerdeals begonnen. Den beiden angeklagten Ex-Aktienhändlern wird besonders schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen: Sie sollen zwischen 2006 und 2011 einen Steuerschaden von mehr als 440 Millionen Euro verursacht haben. +++ dpa-Bildfunk +++

Anne Brorhilker gilt als hartnäckige Strafverfolgerin – ihr Führungsstil soll in der Staatsanwaltschaft jedoch für Abgänge gesorgt haben.

Der NRW-Justizminister muss sich weiter heftiger Kritik aussetzen – und holte sich vor einer wichtigen Entscheidung wohl doch Rat in der Staatskanzlei.

NRW-Justizminister Benjamin Limbach agiert dieser Tage recht glücklos. Die SPD-Opposition fordert seinen Rücktritt, weil er in der Neubesetzung des Chefpostens beim Oberverwaltungsgericht Münster eine denkbar schlechte Figur abgibt. Gleich zwei Verwaltungsgerichte haben den Grünen-Politiker und die von ihm favorisierte Kandidatin in Beschlüssen abgewatscht. Die Richter in Münster warfen dem Minister gar manipulative Vorgehensweise vor und forderten ein neues Auswahlverfahren. Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht beschloss, die Auswahl zugunsten einer Bewerberin habe auf einer „rechtswidrigen Überbeurteilung“ des Landesjustizministers beruht. Über die Besetzung müsse neu entschieden werden.

Der so Gescholtene ließ zwar die Vorwürfe zurückweisen, dennoch ist der Imageschaden groß. SPD und FDP haben für Dienstag eine Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag beantragt. Sie wollen das Verhalten des Ministers sezieren und ihn dazu befragen.

Wochenlang war der Plan alternativlos, dann wurde er kassiert

Zudem kommt Limbach auch an seiner zweiten Baustelle nicht zur Ruhe. Es geht um den Cum-Ex-Skandal. Im größten Steuerraub der Nachkriegsgeschichte rund um Aktiengeschäfte wollte der Grünen-Politiker die bundesweit größte Schwerpunktabteilung bei der Kölner Staatsanwaltschaft ummodeln. Neben Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker sollte ein zweiter Chef die mit 32 Staatsanwälten großzügig ausgestattete Cum-Ex-Sparte lenken. Und zwar mit dem Ziel, die Zahl der Anklagen in dem Mammutkomplex deutlich zu erhöhen.

Minister Benjamin Limbach (Minister der Justiz Nordrhein Westfalen) redet bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Bundesinnenministerin Nancy Faeser möchte sich vor Ort über die Arbeitsweise und Ergebnisse der bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft angesiedelten ZeOS informieren und über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern austauschen. +++ dpa-Bildfunk +++

Die SPD fordert den Rücktritt von Justizminister Benjamin Limbach.

Wochenlang hatte Limbach seinen Plan als alternativlos deklariert, hatte Brorhilker und die Kölner Staatsanwaltschaft massiv in der Cum-Ex-Bearbeitung kritisiert, hatte den Behördenleiter abserviert, um dann plötzlich umzufallen. Vergangene Woche machte der Minister seinen Entschluss rückgängig. Bei einer Krisensitzung mit Brorhilker und ihren Vorgesetzten kamen beide Seiten einvernehmlich zu dem Schluss, alles beim Alten zu lassen. Als Bonbon erhielt die streitbare Chefanklägerin vier weitere Staatsanwälte aus dem ohnehin so dünn besetzten Landespersonaltopf.

Zweifel an den Gründen des Sinneswandels

In einer Sondersitzung des Rechtsausschusses erkundigte sich die rot-gelbe Opposition nach den Gründen für Limbachs Sinneswandel. Immerhin hatte sich der oberste Dienstherr von einer Oberstaatsanwältin düpieren lassen. Auf die Frage, ob es einen Anruf durch den Ministerpräsidenten Hendrik Wüst oder den Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (beide CDU), gegeben hätte, antwortete der Justizminister mit einem klaren „Nein“.

Allerdings hatte der Limbach nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ umgekehrt Liminski und die stellvertretende Regierungschefin Mona Neubaur (Grüne) kontaktiert, um die Lage zu erörtern. Demnach erhielt er dort den Rat, den Zoff mit der Kölner Cum-Ex-Anklägerin beizulegen. Dazu befragt, sagt eine Sprecherin, dass „der Chef der Staatskanzlei im Rahmen seiner Koordinierungsfunktion im ständigen Austausch mit allen Mitgliedern der Landesregierung“ stehe. „Wir bitten um Verständnis, dass sich die Landesregierung zu den Inhalten dieser vertraulichen Gespräche grundsätzlich nicht äußert.“

Als hartnäckige Cum-Ex-Verfolgerin gefeiert

Letztlich hatte die Landesregierung die Wucht der öffentlichen Kritik unterschätzt. Bei etlichen Medien und Politikern keimte die Furcht auf, die als hartnäckigste Strafverfolgerin gegen die deutsche Finanzelite gefeierte Anklägerin könnte entmachtet werden. Zumal zu den 120 Verfahren ihrer Cum-Ex-Abteilung auch jenes gegen die Hamburger Privatbank M. M. Warburg gehört. In dem Fall durchleuchten die rheinischen Strafverfolger mögliche politische Protektion bei Steuergeschenken an das private Geldinstitut. Dabei geht es auch um die Rolle des heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD).

Als dann der „Kölner Stadt-Anzeiger“ auch noch aus einem internen Brandbrief an die höchste Personalvertretung zitierte, in dem Brorhilker ihrem Dienstherrn in der Hamburger Causa unterstellte, nicht die Wahrheit gesagt zu haben, scheute die Landesregierung offenbar davor zurück, die geplante Umstrukturierung in der Kölner Cum-Ex-Abteilung umzusetzen.

Anne Brorhilker gilt als höchst umstritten

Dabei gilt Oberstaatsanwältin Brorhilker im Kölner Justizzentrum als höchst umstritten. So unnachgiebig die Juristin die Steuersünder verfolgt, so problematisch beschreiben manche Kollegen ihren Führungsstil. Mit ihrem Ermittlungskonzept habe sie die Verfahren auf sich zugeschnitten. Stur verfolge sie ihre Linie. Alles müsse nach ihren Vorstellungen laufen. „Ein Kontrollfreak“, heißt es intern.

Ratschläge, etliche Verfahren aus anderen Bundesländern an die örtlichen Staatsanwaltschaften abzugeben, habe sie abgelehnt, sagen Kritiker. Etliche erfahrene Ankläger haben die Abteilung verlassen, weil sie mit der eigenwilligen Chefin nicht zurechtkamen. Folglich mussten Berufsanfänger die Lücken schließen. Dennoch scheint das Klima in der Hauptabteilung nicht zum Besten zu stehen. Wie zu erfahren war, stand ein Seminar zum Thema „Teambuilding“ an.

Durch Ex-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) stets auch gegen ihre Vorgesetzten protegiert, musste sich die streitbare Cum-Ex-Anklägerin bei dem grünen Amtsnachfolger umstellen. Immer wieder ließ Düsseldorf kritisch nachfragen, wie es denn um die Fortschritte in der Kölner Cum-Ex-Abteilung stehe.

Insider: Personelle Aufstockung ist unsinnig

Dabei ist der Verfahrensstau zwei Gründen geschuldet. „Zum einen fehlt es am nötigen Unterbau“, erläutert ein Kenner der Materie. Zwar haben Innen- und Justizministerium etwa 80 Ermittler und Steuerfahnder der Staatsanwaltschaft im Cum-Ex-Komplex zur Verfügung gestellt. „Das reicht aber beileibe nicht, um die großen Mengen beschlagnahmter Aktenkonvolute auszuwerten. Deshalb drehen da auch einige Cum-Ex-Staatsanwälte mitunter Däumchen, weil es in ihren Verfahren nicht vorwärts geht“, so ein Insider. Vor dem Hintergrund sei die weitere personelle Aufstockung der Cum-Ex-Abteilung unsinnig. Das Fazit im Justizzentrum lautet: „Wir brauchen mehr Ermittler und nicht mehr Staatsanwälte.“

In der Not hat Cum-Ex-Anklägerin Brorhilker längst andere Wege beschritten. So beauftragt die Kölner Staatsanwaltschaft forensische IT-Dienstleister, um die konfiszierten Massendaten zu spiegeln, zu sichern und zu analysieren. Auch sollen die privaten Experten die Transaktionsketten des Cum-Ex-Schwindels mit seinen Leerverkäufern, Bankern, Finanzdienstleistern und Aktienhändlern entschlüsseln.

Der Job scheint höchst lukrativ zu sein. Wie zu erfahren war, zahlt die Staatskasse bis zu sechsstellige Summen an die Firmen. Mit dem Hinweis auf die laufenden Strafverfahren im Cum-Ex-Komplex wollte eine Behördensprecherin auf Anfrage dieser Zeitung „zu einzelnen Ermittlungsschritten aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskunft erteilen“.