Schwieriges Wetter, Verkehrschaos, Flugausfall: Philipp Ripkens Job ist es, die Box mit der Stammzellspende sicher zum Empfänger zu bringen.
Blutkrebs„Wie ein Agent im James-Bond-Film“ – so kommt eine Stammzell-Spende zum Patienten
Wenn sein Telefon klingelt, geht es um Menschenleben. Philipp Ripkens aus Andernach ist seit mehr als dreizehn Jahren Stammzellenkurier für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS). Er ist dafür verantwortlich, dass die Stammzellen sicher und schnell ihren Weg von Spender zu Empfänger finden – ganz gleich, wo auf dieser Welt sich beide Personen befinden und ganz gleich, welche äußeren Widrigkeiten vorherrschen mögen.
Ripkens arbeitet für ein Logistikunternehmen, das im Auftrag der DKMS handelt. Wenn er nicht mit Stammzellen unterwegs ist, kümmert er sich um die IT. Die DKMS verwaltet eine Datenbank mit mehr als 12 Millionen registrierten Spendern weltweit, davon mehr als 7,7 Millionen in Deutschland.
Eine Stammzellenspende kann Menschen mit Leukämie (Blutkrebs) das Leben retten. Allerdings muss eine Übereinstimmung zwischen Spender und Patient bestehen. Da solche Übereinstimmungen selten vorkommen, sind oft weite Reisen erforderlich, um die gespendeten Stammzellen zum Empfänger zu bringen.
Der Weg einer Stammzellenspende: Eine Reise von Köln nach New York
Ein Stammzellentransport läuft in seinen Grundzügen immer gleich ab. Ein Auftrag führt Ripkens etwa von Köln nach New York. Dafür reist er am Abend vor dem Flug nach Köln an. Am nächsten Morgen nimmt er die Stammzellen nach der Entnahme in einem Kölner Krankenhaus entgegen. Verwahrt werden sie in einer speziellen Transportbox mit konstanter Kühlfunktion.
Ripkens überprüft, ob alle Dokumente vollständig sind, und steigt in den Zug zum Frankfurter Flughafen. Dort angekommen stehen Pass-, Zoll- und Sicherheitskontrollen an. „Das dauert mit den Stammzellen immer etwas länger, da sie nicht durch den normalen Gepäckscanner dürfen, die Zellen können dabei Schaden nehmen.“ Ripkens braucht also eine spezielle Genehmigung.
Ganz ohne eine Kontrolle geht es trotzdem nicht. Die Box werde am Flughafen von außen und innen durch die Sicherheitsbehörden geprüft, sagt Ripkens. Dazu gehöre auch ein Sprengstofftest. Die großen deutschen Flughäfen kennen sich mit dem Prozedere aus, meist laufe alles zügig und reibungslos.
Dann fliegen die Zellen mit Ripkens im Flugzeug nach New York. Dort müssen die Stammzellen zunächst angemeldet werden. Anschließend geht es mit dem Taxi und der neuen Lebenschance schnellstmöglich in das Krankenhaus, in dem der Empfänger wartet. Ripkens bekommt weder Spender noch Patient beim Transport zu Gesicht.
DKMS-Stammzellenkurier: Flexibilität, Verantwortung und die 72-Stunden-Regel
Für einen Transport hat Ripkens etwa 72 Stunden Zeit. Solange sind Stammzellen haltbar, danach sterben sie allmählich ab, es sei denn, sie werden aufbereitet oder schockgefroren. Während der Reise kann es durchaus zu Verzögerungen kommen. Wetterbedingungen wie Schnee, Eis, Streiks oder sogar Vulkanausbrüche können die Route beeinträchtigen, sagt Ripkens.
„Als Stammzellenkurier ist es wichtig, flexibel zu sein und Lösungen für unerwartete Probleme zu finden. Bisher habe ich noch jede Spende ans Ziel bringen können, auch wenn das Wetter nicht mitgespielt hat, Flüge umgeleitet wurden und Bahnen ausgefallen sind.“
Erst, wenn die Spende sicher am Ziel ist, löst sich die Anspannung. „Unterwegs habe ich die Transportbox mit dem wertvollen Gut zu jeder Zeit im Blick. Ich fühle mich immer ein wenig wie in einem James-Bond-Film, als Agent für die Stammzellenspende. Die Box ist quasi mit durchsichtigen Handschellen an mein Handgelenk gebunden. Ich habe sie bis zur Übergabe bei mir, schlafe während der Reise nicht und nehme sie auch mit auf die Toilette.“
Trotz aller Herausforderungen, den Stress empfindet Ripkens als positiv. „Nachdem ich die Spende abgegeben habe, bin ich sehr geerdet und ausgesprochen dankbar für meine Gesundheit. Oftmals zehre ich noch ein bis zwei Wochen von einem Transport.“ Mittlerweile habe er mehr als 200 Boxen zum Empfänger begleitet, ist rund 20 Tage pro Jahr unterwegs und flog im vergangenen Jahr rund 370.000 Kilometer mit Stammzellen im Gepäck um die Welt.
Ripkens’ Weg zum Stammzellenkurier – Ehrenamtlich neue Lebenschancen überbringen
Ripkens ist früh mit dem Thema Blutkrebs in Berührung gekommen, als ein Nachbarsjunge an Leukämie erkrankte und früh verstarb. Eine passende Spende wurde nicht gefunden. Jahrzehnte später, während des Studiums, erfuhr er von der Aufgabe als Stammzellenkurier und bewarb sich. „Hier schloss sich der Kreis zu meinem Kindheitsfreund. Ich hoffe durch den Transport möglicherweise lebensrettender Stammzellenspenden etwas dazu beizutragen, dass solche Schicksale vermieden werden können.“
Seine Botschaft: „Blutkrebs kann jeden treffen. Ich kann nur jedem raten, sich typisieren zu lassen. Die wahren Helden sind nämlich die Spender, ich agiere nur als Undercover-Bote“. Gerade junge Menschen sind aufgerufen sich bei der DKMS zu registrieren. Sie würden besonders oft für eine Stammzellentnahme infrage kommen, sagt Simone Henrich, Sprecherin der DKMS. Vergangenes Jahr vermittelte die DKMS 8300 Stammzellspenden, 75 Prozent davon wurden von Kurieren ins Ausland transportiert.
Zeitgleich verzeichnete die DKMS mehr als 400.000 neue Registrierungen in Deutschland. „Das ist zunächst sehr erfreulich, aber gleichzeitig sind etwa 125.000 Personen aufgrund des Alters aus der Datei ausgeschieden. Mit 61 Jahren und älter kommt man für eine Spende nicht mehr infrage“, sagt Henrich. Für 2024 erwarte die DKMS, dass weitere 135.000 Registrierte betroffen sein werden. „Wir appellieren an die gesamte Bevölkerung“, sagt Henrich. Indem man sich typisieren lasse, könne man einem Leukämie-Patienten eine neue Chance auf Leben ermöglichen.
Viele Menschen hätten immer noch Angst, eine Spende abzugeben, sagt Ripkens. Dabei sei der Aufwand überschaubar. Meist können die Stammzellen aus dem Blut gewonnen werden. Dann könne man sich den Aufwand wie bei einer etwas längeren Blutspende vorstellen. Nur in zehn Prozent der Fälle kommt es zu einer Knochenmarkentnahme. Aber auch hier entspräche die weit verbreitete Vorstellung einer schmerzhaften Entnahme aus dem Rücken nicht der Realität. Tatsächlich werde das Knochenmark aus dem Beckenknochen entnommen.