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Abschiebungen in NRWWarum die Rückführung von ausreisepflichtigen Migranten oft nicht gelingt

Lesezeit 4 Minuten
Polizeibeamte begleiten einen Afghanen zur Abschiebung in ein Charterflugzeug.

Polizeibeamte begleiten einen Afghanen zur Abschiebung in ein Charterflugzeug.

Im vergangenen Jahr ist in NRW deutlich mehr als jede zweite Abschiebung gescheitert. Ein Grund sticht heraus.

Im vergangenen Jahr ist in Nordrhein-Westfalen deutlich mehr als jede zweite Abschiebung gescheitert. Nach Angaben des Flüchtlingsministeriums kam es zwar zu 3663 Rückführungen, in 3967 Fällen hätten diese trotz richterlichem Beschluss aber nicht durchgeführt werden können.

Bei den genannten Zahlen handele es sich lediglich um die „Rückführungsflüge von Personen in der Zuständigkeit der nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden“, heißt es in dem Papier aus dem Ministerium. „Eine Statistik zu der Gesamtzahl der gescheiterten Abschiebungen und Überstellungen“ indes, „die auf dem Landweg vollzogen werden sollten, liegt der Landesregierung nicht vor.“

231 Flüchtlinge in Kirchenasyl

Zwar wurde auch bei den Flügen nicht vollständig erfasst, wieso die Rückführungen nicht funktioniert haben. Immerhin aber gibt es Einschätzungen zu 2757 Versuchen. Der mit weitem Vorsprung am häufigsten genannte Grund für die Pleiten war demnach, dass die Ausreisepflichtigen schlichtweg nicht mehr an ihrem gemeldeten Wohnort waren, als die Polizei sie abholen wollte. Von diesen 1877 Personen wurden 511 sogar schon als „untergetaucht“ eingestuft.

Weitere 250 seien aus gesundheitlichen Gründen nicht reisefähig gewesen, 231 haben sich demnach in einem Kirchenasyl aufgehalten und waren deshalb nicht greifbar. Bei 221 habe sich das Zielland geweigert, ihre ehemaligen Staatsbürger wieder aufzunehmen und von 178 Ausreisepflichtigen sei der Widerstand so massiv gewesen, dass man sie nicht in ein Flugzeug setzen konnte. „Neben den in der Tabelle genannten Stornierungsgründen sind in 220 Fällen die Personen freiwillig ausgereist“, heißt es weiterhin.

160 gescheiterte Abschiebungen sollten nach Russland gehen

Das Ministerium nannte auch die Herkunftsländer der Personen, bei denen die geplante Rückführung im vergangenen Jahr gescheitert ist. Mit 922 Ausreisepflichtigen lag Syrien demnach an erster Stelle, gefolgt von Afghanistan (366), Irak (356), der Türkei (230) und Georgien (199). 160 Menschen, die trotz den rechtlichen Voraussetzungen nicht abgeschoben werden konnten, stammen aus Russland.

Trotz der vergeblichen Versuche sei die Zahl der vollzogenen Rückführungen aus Nordrhein-Westfalen im Bundesvergleich „dennoch hoch“, sagte eine Sprecherin des Landesflüchtlingsministeriums. Tatsächlich wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums beispielsweise im Jahr 2022 genau 12.945 Menschen aus Deutschland abgeschoben, 23.337 Abschiebungen scheiterten – also fast zwei Drittel.

Abschiebehaftanstalt in Büren nur zur Hälfte ausgelastet

Im vergangenen Jahr jedenfalls hätten „knapp 23 Prozent der bundesweiten Ausreisen und Rückführungen“ aus NRW heraus stattgefunden, so die Sprecherin des hiesigen Flüchtlingsministeriums. Gleichwohl bleibe „als wesentliches Hindernis in vielen Fällen“ die fehlende Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen. Hier sei „die Bundesregierung gefordert, mit relevanten Zielstaaten stabile und praxiswirksame Rahmenbedingungen gerade in den wichtigen Bereichen Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung zu erreichen“.

Nach einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom November 2023 sollen in den Ländern zudem die Kapazitäten für erweiterte Haft- und Gewahrsamsmöglichkeiten geprüft und wo nötig ausgebaut werden. „Für NRW lässt sich sagen, dass die hierzulande vorhandenen Kapazitäten mehr als ausreichend sind“, so das hiesige Flüchtlingsministerium. Die Abschiebehaftanstalt in Büren, durch die NRW etwa 23 Prozent der bundesweiten Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung stelle, ist mit 175 Plätzen die größte ihrer Art in Deutschland. Das Gefängnis ist seit Beginn des Jahres laut Ministerium nur knapp zur Hälfte ausgelastet gewesen: In dieser Zeit waren dort demnach 505 Personen aus NRW und 104 „Amtshilfefälle“ aus anderen Bundesländern untergebracht.

Der überwiegende Teil der Ausreisepflichtigen hat eine Duldung

Die Zahlen der geglückten und gescheiterten Abschiebungen zeigen nur einen kleinen Teil der Realität. Von den 59.373 Geflüchteten in Nordrhein-Westfalen, die Ende des vergangenen Jahres ausreisepflichtig waren, hatten 48.902 eine Duldung. Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb jemand nicht abgeschoben werden darf. Dazu zählt beispielsweise eine laufende Ausbildung oder eine „Beschäftigungsduldung“, wenn die Menschen also als Arbeitskräfte in Deutschland benötigt werden. Auch gesundheitliche Probleme der Betroffenen können eine Rolle spielen.

Von den 31 in NRW genannten Gründen für eine Duldung wurden „fehlende Reisedokumente“ in 12.052 Fällen, „familiäre Bindungen“ (6582), eine „ungeklärte Identität“ (2956) und „unbegleitete Minderjährige“ (1470) am häufigsten genannt. Bei 19.195 Geflüchteten wurden in der Liste des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Flucht und Integration nicht näher benannte „sonstige Gründe“ angegeben.