Tito J. saß schon im Mannschaftswagen der Polizei und im Flugzeug, er sollte abgeschoben werden. Dies ist die Geschichte des Familienvaters.
Als Jugendlicher straffälligKölner Gericht stoppt Abschiebung, als Familienvater schon im Flieger sitzt
Am Internationalen Tag gegen Rassismus (21. März) hämmerten um 5.45 Uhr Polizisten und Mitarbeiter des Kölner Ausländeramts an die Haustür von Familie J. „Aufmachen, Stadt Köln“, hätten die Männer gerufen, erinnert sich Tito J. Durch den Spion habe er einen Polizisten mit Pistole im Halfter gesehen und die Silhouetten anderer Menschen. Er hätte am Morgen des 21. März einen Termin für die Verlängerung seiner Duldung gehabt – dazu sollte es nicht mehr kommen.
„Herr J., heute geht es für Sie nach Hause!“, hätte einer der Männer gesagt, als er im Pyjama die Tür geöffnet habe. „Wieso nach Hause, ich bin doch hier geboren?“, habe er geantwortet, erinnert sich J. Die Männer hätten ihn durchsucht, Handschellen angelegt, seine Frau und die kleine Tochter Sissy hätten im Schlafzimmer bleiben müssen, Beamte hätten die Tür bewacht. „Meine Tochter und ich durften nicht zu ihm, wir konnten uns nicht mal verabschieden“, erinnert sich die Ehefrau. „Ich habe gerufen: Sie dürfen meinen Mann nicht mitnehmen, ich bin hochschwanger, die Kinder brauchen ihren Vater, aber ich habe keine Antwort bekommen.“
Am Internationalen Tag gegen Rassismus wurden 70 Menschen aus NRW abgeschoben
Ein Mannschaftswagen der Polizei brachte Tito J., der zur Minderheit der Roma gehört, zum Düsseldorfer Flughafen. Wenige Stunden später saß er mit rund anderen 70 Geflüchteten, darunter einige Familien mit Kindern, in einem Flieger Richtung Serbien und Nordmazedonien – in Köln demonstrierten derweil mehrere Tausend Menschen gegen Rassismus.
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Dass der 23-jährige Tito J., geboren und aufgewachsen in Köln, staatenlos, als Jugendlicher vorbestraft und für 19 Monate inhaftiert, zwischenzeitlich in Arbeit und straffrei, wenige Tage nach seiner Abschiebung mit Frau und Tochter am Küchentisch seiner 41-Quadratmeter-Wohnung in Holweide sitzt, liegt daran, dass Ehefrau Rada J. Marianne Arndt von der Mülheimer Flüchtlingsinitiative Mosaik anrief, sobald die Beamten ihren Mann aus der Wohnung abgeführt hatten. Arndt schaltete eine Anwältin an, die einen Eilantrag stellte, Tito J. nicht abzuschieben – das Kölner Verwaltungsgericht gab dem Antrag statt.
Laut aktueller Rechtslage müssen Menschen, die schon im Flieger sitzen, zurückgebracht werden, wenn ein Gericht eine Abschiebung für unrechtmäßig hält. Tito J. dürfe nicht abgeschoben werden, weil er in einer familiären Gemeinschaft lebe und diese nicht weiterbestehen könne, wenn der Vater in Serbien und die Mutter in Köln lebe, argumentierte das Verwaltungsgericht. „Kurz vor der Landung in Belgrad sagte mir ein Polizist: Es ist etwas passiert, was ich bisher fast noch nie erlebt habe: Du fliegst zurück nach Deutschland“, erinnert sich Tito J.
Stadt Köln: Straftaten, unerlaubte Einreise oder Täuschung über Identität sprechen gegen Aufenthalt
Die Abschiebung des Familienvaters Tito J. könnte eine Folge der Ankündigung der Bundesregierung sein, restriktiver abschieben zu wollen. Die Stadt Köln verweist nach Fragen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf den Datenschutz, äußert sich aber allgemein: Ein Aufenthaltsrecht könne „nicht gewährt werden, wenn die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen und auch die besonderen Bleiberechtsregelungen und Chancenaufenthaltsrechtvoraussetzungen nicht erfüllt werden“.
Gegen einen Aufenthaltstitel sprächen zum Beispiel „die Begehung von Straftaten, wiederholte unerlaubte Einreisen entgegen eines bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbotes“ oder, wenn „über Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht wird“. Im Rahmen einer Aufenthaltsprüfung würden „immer die individuellen Bleibeinteressen gegenüber öffentlicher Ausweisungsinteressen abgewogen. Hier würden „neben Integrationsleistungen und familiären Gründen eben auch gefährdende Aspekte Berücksichtigung und Gewichtung“ finden.
Kölner Gericht: Ausländerbehörde hat familiäre Situation nicht ausreichend berücksichtigt
Das Verwaltungsgericht Köln hat im Fall von Tito J. befunden, dass die Behörde die familiäre Situation nicht ausreichend berücksichtigt habe. Marianne Arndt meint, dass „diesem jungen Mann leider keine Chance gegeben wurde, in Deutschland Fuß zu fassen“. Obwohl er mehrfach für mehrere Monate gearbeitet habe – zum Beispiel bei einem Reinigungsunternehmen und als Beikoch – habe man ihm die Arbeitserlaubnis entzogen, weil er seine Identität nicht nachweisen konnte. „Tito J. hatte ein Angebot, unbefristet zu arbeiten, konnte es aber nicht annehmen, weil er nicht arbeiten durfte.“
Der junge Mann selbst spricht vom Angebot einer Lehrstelle in der Küche einer großen Kölner Brauerei. „Als man mir die Arbeitserlaubnis entzog, dachte ich: Will der Staat nicht, dass ich arbeite und mich integriere? Will man, dass ich wieder Straftaten begehe?“, sagt Tito J. Er habe Nordrhein-Westfalen seit seiner Geburt nie verlassen dürfen. Seine Duldungen seien zuletzt alle vier bis sechs Wochen verlängert worden.
„Rassismus beziehungsweise Antiziganismus anzunehmen, ist im Fall von Tito sehr naheliegend“, meint Marianne Arndt. „Wenn bei einer Abschiebung nicht die Lebenssituation des Menschen berücksichtigt wird, wirkt das willkürlich und zynisch.“ Sie sei froh, dass die Abschiebung auch dank einer großzügigen Privatspende für die Anwältin verhindert werden konnte.
Arndt will nun gemeinsam mit dem Kölner Flüchtlingsrat dafür sorgen, dass Tito J. ins Kölner Bleiberechtsprogramm kommt, das Menschen, die seit mindestens acht Jahren geduldet hier leben, einen gesicherten Aufenthalt ermöglichen soll. „Das Ausländeramt hat auf ihrem Weg zur Willkommensbehörde in den vergangenen zwei Jahren gute Schritte gemacht“, sagt Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats. Über den Fall Tito J. werde er bald mit der Amtsleitung sprechen. „Es hat uns überrascht, dass bei einem Familienvater, deren Frau kurz vor der Entbindung steht, eine Abschiebung angeordnet wurde.“
In dem Gespräch mit der Verwaltung wird auch der Fall einer 56-jährigen Albanerin zur Sprache kommen. Kurz vor ihrer Abschiebung am 9. März sei die „psychisch schwerstkranke Frau noch in der Psychiatrie der Uniklinik gewesen“, sagt Marianne Arndt. Die beiden Geschichten seien „nur die Spitze des Eisbergs“. Wenn Köln den Namen Willkommensbehörde mit Leben füllen wolle, „dann dürfen wir dabei die Rechte der Schwächsten nicht außer Acht lassen“.
Die Stadt Köln teilt mit, dass in Fällen wie jenem von Tito J. die Gründe für eine weitere Duldung geprüft würden. „Sie müssen aber nicht in jedem Fall zu einer tatsächlichen Gewährung eines Aufenthaltsrechts führen.“ Tito J. sagt, er freue sich, die Geburt seines Sohnes in wenigen Wochen miterleben zu dürfen. „Und dann würde ich gern möglichst bald arbeiten – und ein Teil der Gesellschaft werden.“
Aus Köln gab es bis Ende März 27 Abschiebungen. Im Jahr 2023 waren es insgesamt 172, 2022 insgesamt 111 und 2022 laut Stadt Köln 215 Rückführungen.