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Mykoplasmen-InfektionenWarum die Behörden in NRW mit einer Erkrankungswelle rechnen

Lesezeit 4 Minuten
Ein Kind liegt mit Wärmflasche im Bett.



Wer eine Erkältung hat, braucht Ruhe.

Trockener Husten, Fieber, Kopfschmerzen. Eine Infektion mit Mykoplasmen ähnelt in den Symptomen einer Erkältung, kann aber zu einer Lungenentzündung führen.

Die Symptome gleichen denen einer Erkältung, können aber zu einer Lungenentzündung führen: Mykoplasmen verbreiten sich derzeit in ganz Europa. Auch in NRW rechnet man mit vermehrten Infektionen.

Der Kopf dröhnt, den kleinen, manchmal vor Fieber heißen Kinderkörper schüttelt ein trockener Husten. Oft schleichen sich die Beschwerden ein, verharren in einem milden Stadium, dann halten sie sich aber hartnäckig über Wochen. Gerade Kinder im Schulalter und Teenager sind derzeit auch in Nordrhein-Westfalen von einem Bakterium bedroht, das sich europaweit seit Ende vergangenen Jahres ausbreitet. Sein Name ist Mycoplasma pneumoniae, es verursacht Infektionen der oberen Atemwege und kann sich in der Folge zu einer atypischen Lungenentzündung mit Sauerstoffmangel auswachsen.

Verlässliche Zahlen aus NRW gibt es nicht, es besteht keine Meldepflicht. Aufgrund von „stark erhöhten Fallzahlen“ in Europa und auch in Sachsen, wo positive Tests an die Gesundheitsämter weitergegeben werden müssen, ist laut NRW-Gesundheitsministerium allerdings „auch in Nordrhein-Westfalen von einer Erkrankungswelle mit dem Erreger auszugehen“.

In Köln registrierte das Gesundheitsamt im dritten Quartal 2024 einen Fall eines unter-dreijährigen Kindes, das sich mit Mykoplasmen infiziert hatte. Der Einzelfall wurde laut Gesundheitsamt der Stadt allerdings nur deshalb bekannt, da sich das Kind in Sachsen aufgehalten hatte. Dort kamen bis Ende September dieses Jahres mehr als 11.000 durch Mykoplasmen verursachte Lungenentzündungen zur Meldung. Die Zahlen haben sich laut dortigem Sozialministerium damit im Vergleich zu 2023, als man gut 1000 Infektionen registrierte, schon jetzt verelffacht.

Der Kinder- und Jugendarzt Axel Gerschlauer aus Bonn sagt, die Infektion trete alle paar Jahre in Wellen auf, die derzeitige sei aber „recht heftig“. Meldepflichtig ist in Köln und ganz NRW der Erreger nur dann, wenn er gehäuft in Gemeinschaftseinrichtungen auftaucht oder in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang. Von so einer Häufung hat das Gesundheitsamt Köln auf Anfrage derzeit keine Kenntnis. Auch beim Gesundheitsministerium NRW liegen keine derartigen Meldungen über Infektionsherde vor.

Die verstärkte Zirkulation lässt sich nach Aussage des Gesundheitsministeriums möglicherweise durch Nachholeffekte aufgrund der Covid-19-Pandemie erklären. „Auch Veränderungen des Erregers werden als mögliche Ursache diskutiert“, schreibt das Ministerium. Nicht außer Acht gelassen werden dürfe aber auch die Tatsache, dass seit der Pandemie häufiger gerade in Kliniken sogenannte Multiplex-PCRs zum Einsatz kämen, mit welchen sich mehrere Erreger auf einen Blick nachweisen ließen. Viele Krankheiten, die früher in der allgemeinen Husten-Schnupfen-Heiserkeitswelle untergingen, würden dadurch schlicht „häufiger erkannt“. Und führten dann in Ländern und Bundesländern mit Meldepflicht zu einer höheren Sichtbarkeit in den Daten.

So gesehen sind die steigenden Zahlen in Teilen auch eine gute Nachricht. Bestand das Problem mit dem Erreger doch lange Zeit auch darin, dass Ärzte ihn nicht oder erst spät erkannten. Dadurch ging oft wertvolle Zeit verloren. Denn: Ist die Ursache der Infektion unklar, verschreiben Ärzte oft eines der üblichen Antibiotika wie zum Beispiel Penicillin. Dieses ist gegenüber Mykoplasten allerdings wirkungslos, da es darauf ausgerichtet ist, die Erreger-Zellwände anzugreifen. Über solche verfügen die Mykoplasten aber gar nicht. Wer Mycoplasma pneumoniae in sich trägt, der benötigt deshalb ein spezifisches Antibiotikum mit anderem Wirkmechanismus.

Hier offenbart sich, wie gefährlich die Kombination eines ohnehin überlasteten Gesundheitssystems mit Krankheitswellen sein kann, selbst wenn es sich um einen zunächst eher harmlosen Erreger handelt: Denn auf der langen Liste der Kinderantibiotika, die derzeit von Lieferschwierigkeiten betroffen sind, findet sich laut Gerschlauer auch just eines, das Mykoplasmen zuverlässig den Garaus machen könnte: Clarithromycin.

Eine Impfung gegen Mykoplasten gibt es nach Aussage des Gesundheitsministeriums bislang nicht. Wer mit einem niesenden und hustenden Infizierten ungeschützten Kontakt hatte und es mit den allgemeinen Hygienemaßnahmen nicht allzu genau nimmt, kann deshalb zwei bis drei Wochen später mit Symptomen rechnen.

Die Teenager zum Händewaschen zu motivieren reiche laut Gerschlauer als Prophylaxe aber dennoch aus. Aus Angst zu Hause bleiben müsse niemand, sagt der Mediziner: „Durch Corona haben wir auf die harte Tour gelernt, dass Infektiologie nicht so wichtig ist wie Soziologie. Die Kinder sollen also bitte weiter in die Schule gehen und miteinander ihre Freizeit verbringen.“