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Infografik

Attacken, Beleidigungen
Wie oft wird Krankenhauspersonal in Köln und Region angegriffen?

Lesezeit 5 Minuten
Eine Krankenpflegerin schiebt ein Krankenbett durch einen Krankenhausflur.

Die Zahl der Gewalttaten in nordrhein-westfälischen Kliniken steigt seit Jahren an.

Der Angriff auf Klinikpersonal in einem Essener Krankenhaus hat landesweit für Empörung gesorgt. Dabei sind solche Übergriffe längst keine Seltenheit mehr, wie Zahlen zeigen.

„Gerade die Menschen, die sich in Kliniken an vorderster Front abra-ckern und dafür sorgen, dass Kranke wieder gesund werden, sollten den ganzen Tag nichts Anderes erfahren als Respekt und Dankbarkeit. Die Kümmerer unserer Gesellschaft sollten sich sicher fühlen und sicher sein.“ Diese Aussage von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dürfte gesellschaftlicher Konsens sein. Gesprochen wurden die Sätze vor wenigen Tagen bei der Vorstellung eines neuen Leitfadens mit Sicherheitsempfehlungen für Beschäftigte in Kliniken, die das Präventionsnetzwerk #sicherimDienst in Zusammenarbeit mit der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) herausgebracht hat. Warum so etwas nötig ist, zeigte sich zuletzt in einem Krankenhaus in Essen.

Angriff auf Klinik-Personal ist kein Einzelfall

Dort hat der Tod eines 87-Jährigen für einen Gewaltexzess gesorgt: Als sie erfuhren, dass der Mann verstorben war, gingen Angehörige auf Klinik-Personal im Elisabeth-Krankenhaus los und schlugen auf die Angestellten ein. Eine junge Ärztin wurde von den vorbestraften Männern, die von der Polizei der Clan-Kriminalität zugerechnet werden, schwer verletzt. Weitere Klinik-Mitarbeiter erlitten ebenfalls Verletzungen.

Ein Fall von großem Ausmaß, doch tatsächlich kein Einzelfall. Immer wieder sind Angestellte in Krankenhäusern Gewalt ausgesetzt. In einer Studie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zu Übergriffen im Gesundheitswesen heißt es: „Betroffen sind vor allem Beschäftigte in der Notaufnahme, die körperliche, verbale und nonverbale Gewalt durch Patient:innen und deren Begleitpersonen direkt erleben.“

Alles zum Thema Herbert Reul

Die Gründe dafür sind vielfältig: „Der Konsum von Alkohol oder anderen Drogen sowie psychiatrische, neurologische oder schmerzhafte Erkrankungen bei Patient:innen können eine Rolle spielen“, heißt es in der Studie. Zudem erlebten Patienten und ihre Begleitpersonen in Notaufnahmen oft Angst, Anspannung, Sorge und Ungewissheit. Ebenso zählen lange Wartezeiten sowie die Abend- und Nachtstunden zu den Risikofaktoren. „Auch Belastungen aufseiten des Personals, wie beispielsweise Zeit- und Handlungsdruck und daraus resultierend ein rauer Umgangston mit Patient:innen und Begleitpersonen können zu Gewaltvorfällen beitragen.“

87 Prozent der Angestellten in Notaufnahmen erlebten körperliche Gewalt

Eine Befragung aus dem Jahr 2022 unter 349 Angestellten aus deutschen Notaufnahmen vermittelt einen Eindruck davon, wie häufig verbale und körperliche Gewalt in deren Arbeitsalltag auftauchen: So gaben 97 Prozent an, in den vergangenen zwölf Monaten verbale Gewalt durch Patienten erlebt zu haben, 87 Prozent waren körperlichen Übergriffen durch Patienten ausgesetzt.

Belastbare Zahlen zur Fragestellung, wie häufig es in Krankenhäusern zu Übergriffen kommen, sind nur schwer zu finden, da sie nicht gesondert erfasst werden.

Belastbare Zahlen zu Übergriffen sind schwer zu finden

In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden zwar Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit erfasst, worunter Delikte wie Körperverletzungen, Raub oder Nötigung fallen, ebenso wie die sogenannte Tatörtlichkeit. Dennoch sind die Daten nur bedingt aussagekräftig, wie eine Mitarbeiterin des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts (LKA) betont. Die Tatörtlichkeit gibt zwar an, wo die tatverdächtige Person gehandelt hat. Delikte, die mit Tatörtlichkeit Krankenhaus, Klinik, Sanatorium oder Kureinrichtung (eine kleinteiligere Auswertung ist nicht möglich) erfasst werden, müssen jedoch nicht zwingend im Krankenhaus stattgefunden haben, sondern können sich zum Beispiel auch auf einem angrenzenden Parkplatz zugetragen haben.

Nicht erfasst wird zudem die Täter-Opfer-Beziehung und die Eigenschaft, in der Personen in den Übergriff involviert waren, also ob es sich um medizinisches Personal, Patienten, Besucher oder sonstige Angestellte handelt. „Sprich: Auch die Nötigung zwischen zwei Verkehrsteilnehmern im Bereich des Krankenhausparkplatzes kommt hier zum Tragen“, erklärt die LKA-Sprecherin.

Deutlicher Anstieg bei Zahl der Gewalttaten in NRW-Kliniken

Trotz der mangelnden Belastbarkeit werden die Zahlen als Indiz für steigende Gewalt in Krankenhäusern gelesen, wie aus einer Antwort des Landesinnenministeriums auf eine Anfrage der SPD-Fraktion hervorgeht: Demnach ist die Zahl der Gewalttaten in Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen seit 2017 um mehr als 34 Prozent gestiegen. Ein besonders starker Anstieg um 22 Prozent wurde im Jahr 2022 registriert. Ein weiterer Anstieg kam 2023 um fast neun Prozent hinzu, und die Taten summierten sich auf 1705 Fälle – also vier bis fünf pro Tag.

Ein Trend, der sich – zumindest in Teilen – auch in der Region zeigt: So verzeichnete das Polizeipräsidien Köln/Leverkusen von 2022 bis 2023 einen Anstieg um rund 17 Prozent bei der Zahl der Gewaltdelikte in Krankenhäusern. Während im Jahr 2022 noch 134 Übergriffe gemeldet wurden, waren es im vergangenen Jahr bereits 157. Im Bereich des Polizeipräsidiums Bonn belief sich der Anstieg auf zehn Prozent, von 100 Delikten im Jahr 2022 auf 110 im Jahr 2023.

Besonders drastisch war der Anstieg im Rheinisch-Bergischen Kreis: Mit einem Zuwachs um 80 Prozent verdoppelte sich die Zahl der registrierten Delikte innerhalb eines Jahres beinahe (2022: zehn Delikte, 2023: 18 Delikte).

Dass es nur so wenig belastbare Zahlen zu Gewalt in Krankenhäusern gibt, kritisiert Hilmar Riemenschneider, Referatsleiter bei der nordrhein-westfälischen Krankenhausgesellschaft: „Es gibt keine wirklichen Hellfeldzahlen.“ Die Krankenhausgesellschaft fordert nun harte strafrechtliche Konsequenzen und eine Mindeststrafe für die zunehmenden Angriffe auf Pflegekräfte und Ärzte in den Kliniken.

„Es muss klar sein, dass ein solcher physischer Angriff die Freiheit kosten kann und nicht nur eine Geldstrafe droht“, sagt Matthias Ernst, Vizepräsident der Krankenhausgesellschaft NRW. Die Politik müsse mit einem Mindeststrafmaß von sechs Monaten Haft für körperliche Gewalt gegen Klinikpersonal reagieren.

Härtere Konsequenzen für Gewalt gegen Klinikpersonal gefordert

Es sei nicht nur respektlos, sondern in jeder Hinsicht verachtend, Pfleger oder Ärzte anzugreifen, die Menschen in Not behandeln und helfen wollen. Dass diese in den vergangenen Jahren immer stärker von körperlicher und psychischer Gewalt betroffen seien, sei nicht hinnehmbar, sagte Ernst, als im Innenministerium über Gewalt und Gewaltprävention in Krankenhäusern gesprochen wurde.

Auch der nun veröffentlichte Leitfaden soll dazu beitragen, die Arbeit in Kliniken sicherer zu machen. Das Dokument bietet umfassende Empfehlungen, um Gewalt im Krankenhaus vorzubeugen und im Ernstfall adäquat zu reagieren. Der Leitfaden umfasst unter anderem Ratschläge zu Fortbildungen in der Gewaltprävention, baulichen und technischen Maßnahmen in Kliniken sowie Schutz- und Abwehrtechniken. (mit dpa)