AboAbonnieren

Sorge an NRW-SchulenImmer mehr Kinder kommen mit seelischen Belastungen nicht zurecht

Lesezeit 4 Minuten
Ein junges Mädchen zeigt das  Display eines Smartphones mit einem weinenden Emoji bem Messenger «WhatsApp» (gestellte Szene).

Die SPD im NRW-Landtag möchte die seelische Gesundheit Heranwachsender stärker in den Blick nehmen. „Von den 205 Stellen des Landes für Schulpsychologinnen und -psychologen sind aktuell weniger als 160 besetzt", kritisiert Dilek Engin, Schulexpertin der SPD-Landtagsfraktion.

Schwere Ängste, Depressionen und sozialer Rückzug infolge von Krisen haben vor allem bei jungen Menschen deutlich zugenommen. Viele Schulen sehen sich überfordert. Es gibt zu wenig Schulpsychologen – und wer Hilfe benötigt, muss oft lange warten.

Jana Schrage ist im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen Landesbeauftragte für Schulpsychologie in NRW. Seit 10 Jahren kümmert sie sich in Remscheid um Lehrer und Schüler, die sich in einer Krisensituation befinden. „Die Situation an den Schulen ist derzeit extrem angespannt“, sagt Schrage im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Viele Schüler kämen mit den multiplen Belastungen nur schwer zurecht.

„Der Krieg in der Ukraine ist allein wegen des Zuzugs neuer Klassenkameraden allgegenwärtig. Hinzu kommt der Klimawandel, mit erschreckenden Bildern von Unwettern und brennenden Wäldern. Letztlich sind auch die Folgen der Pandemie oft noch lange nicht ausgestanden.“

Für schnelle Hilfe fehlt das Personal

Selten waren Kinder und Jugendliche so großen seelischen Belastungen ausgesetzt wie in diesen Tagen. Die Schulen sind wegen Fachkräftemangels völlig unzureichend darauf vorbereitet, Druck aus dem System nehmen zu können. „Bei uns hat die Zahl der Beratungsfälle im vergangenen Jahr sprunghaft zugenommen“, sagt die promovierte Psychologin. „Wer auf der Warteliste steht, muss oft bis zu zwei Monate auf einen Termin warten. Um schneller helfen zu können, fehlt das Personal. Man kommt sich vor, wie bei einem Marathonlauf, der kein Ende nimmt“, so Schrage.

Nach der Pandemie war der Bedarf an psychologischer Betreuung von Kindern und Jugendlichen überdeutlich sichtbar geworden. Die „Copsy-Studie“ brachte ans Licht, dass bei fast jedem dritten Kind negative Veränderungen zu beobachten waren. „Konzentrationsstörungen, Niedergeschlagenheit und Auffälligkeiten im Sozialverhalten haben bei den Schülern zugenommen“, sagt Ayla Celik, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW in NRW. „Der Bedarf an professioneller Unterstützung durch Psychologen ist groß. Auch Schulsozialarbeiter können eine wichtige Stütze sein. Es reicht aber nicht aus, wenn sich eine Fachkraft für ein paar Stunden in der Woche um mehrere hundert Schüler kümmern soll.“

Schulleiter: „In Köln gibt es keine einzige öffentliche Gesamtschule mit Schulpsychologen. Wir Lehrer müssen das irgendwie ausgleichen.“

Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, die Schulsozialarbeit in NRW finanziell besser auszustatten. Laut einer Richtlinie aus dem Jahr 2021 erfolgt die Zuweisung aber immer nur für ein Schuljahr. Das Programm läuft zudem am 31. Juli 2025 aus.

Von den Versprechungen, Schulen besser mit psychologischen Fachkräften auszustatten, sei in seiner Schule „buchstäblich nichts“ angekommen, sagt Martin Süsshenn, Leiter der Katharina-Henoth-Gesamtschule. „Ich weiß, es stehen nicht viele Schulpsychologen zur Verfügung, auch durch den hohen Numerus Clausus für Psychologie. Aber wir haben nicht einmal Bemühungen mitbekommen, solche Menschen anzustellen.“

Gerade jugendliche Schüler würden vermehrt mit Essstörungen, Leistungsdruck, Sozialphobien und suizidalen Gedanken kämpfen, sagt Süsshenn: „In Köln gibt es keine einzige öffentliche Gesamtschule mit Schulpsychologen. Wir Lehrer müssen das irgendwie ausgleichen.“ Angesichts des Problemdrucks sollten auch die Lehrpläne entschlackt werden: „Unsere Kinder werden nicht gebildet, wenn sie an dem Leistungsdruck zerbrechen.“

Kommunen tragen Hauptlast

Die SPD im Düsseldorfer Landtag will jetzt in einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung wissen, wie die Schulpsychologie in NRW auf die zunehmenden Herausforderungen vorbereitet ist. Die Partei wertet die zunehmende Zahl der Straftaten an Schulen als Warnsignal. 2022 hatte die Polizei mehr als 24.000 Straftaten in Schulen registriert – eine Zunahme im Vergleich zu 2019 um fast 19 Prozent.

Dilek Engin, Schulexpertin der SPD-Landtagsfraktion, erklärte, die mentale Gesundheit der Schülerinnen und Schüler brauche dringend einen höheren Stellenwert. Es könne nicht sein, dass die Kommunen die Hauptverantwortung für die Schulsozialarbeit in NRW tragen müssten. „Die Fördermittel vom Land sind bis 2025 begrenzt und nach wie vor nicht dynamisiert. Das heißt: Steigende Kosten gehen allein zulasten der Kommunen. Die Landesregierung muss hier endlich ihrer eigenen Verantwortung gerecht werden“, so Engin.

NRW im Bundesvergleich im Mittelfeld bei schulpsychologischer Betreuung

Das NRW-Schulministerium teilte auf Anfrage mit: Von den landesweit insgesamt 464 Stellen für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen in Nordrhein-Westfalen sind 289 im Landesdienst. Von diesen Stellen waren am 1. Januar dieses Jahres 237 besetzt. „Dabei ist zu berücksichtigen: Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren insgesamt 108 neue Stellen für die Schulpsychologie geschaffen, die nach und nach besetzt werden“, heißt es aus dem Ministerium.

Im bundesweiten Vergleich liegt NRW bei der Versorgung mit Schulpsychologen im Mittelfeld – ein Experte ist für 5952 Schüler zuständig. Bayern ist mit 3730 deutlich besser, auch Berlin, Bremen, Hamburg und das Saarland weisen eine bessere Quote auf.