Der Lehrermangel dominiert die NRW-Schulpolitik, als eine „Bildungskatastrophe“ wollte Feller den Status Quo aber nicht bezeichnen.
Klassenarbeiten, Alltagshelfer, LesezeitSchulministerin Feller will mit großen Plänen NRW-Grundschulen stärken
In den vergangenen drei Jahren war Corona der bestimmende Begriff, wenn NRW-Schulministerinnen zum Start des neuen Schuljahres einen Ausblick auf die anstehenden Herausforderungen gaben. Am Freitag erwähnte ihn die amtierende Schul- und Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) nur einmal – um ihre Freude auszudrücken, dass Corona ihre Ausführungen nicht mehr dominiert. Ein anderes Wort kam ihr dagegen wieder und wieder über die Lippen: „Marathon.“ Als solchen sieht sie die Beseitigung der mannigfaltigen Probleme im Bildungssystem.
Als „Bildungskatastrophe“ wollte Feller den Status Quo – anders als zuletzt Dilek Engin, die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag – aber nicht bezeichnen. Sie nennt die aktuelle Situation mit gravierendem Lehrermangel, aus allen Nähten platzender Infrastruktur und sinkenden Bildungsstandards in den Fächern Deutsch und Mathe bei den Viertklässlern im Land „eine herausfordernde Bildungslage“. Die will sie nun also mittels eines Marathonlaufs verbessern. Welche ersten Schritte sie für ihren Weg geplant hat, stellte Feller am Freitag in Düsseldorf vor.
Konzept 3 x 20: Lesezeiten werden eingeführt
Ein Schwerpunkt wird im Bereich der Grundschulen gesetzt. „Sie sind unser Basiscamp für die schulische Bildung“, sagte Feller. Und die Ergebnisse der letzten Untersuchung des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hätten gezeigt, dass viel unternommen werden müsse. Danach schaffte 2021 jeder fünfte Viertklässler in NRW es nicht, die Mindeststandards im Lesen zu erfüllen. Feller verteidigte deshalb ihr im Mai vorgestelltes Konzept „3 x 20 Minuten Lesen“ und betonte, dass es für weit mehr stehe als einfach nur Lesen.
„Dahinter steckt ein umfassendes Konzept, zu dem wir den Schulen wissenschaftlich erprobtes und sofort anwendbares Material zur Verfügung stellen“, sagte sie. Über das Portal „Stift“ wird Lehrkräften Hilfe für ihren Deutschunterricht angeboten. Zudem soll in den nächsten Wochen das mit der TU Chemnitz entwickelte Tool LeOn (Leseraum Online) eingeführt werden, eine videogestützte, digitale Umgebung. „Da können Schülerinnen und Schüler zum Beispiel ihr eigenes Lesen aufnehmen und es gibt eine Hörspielwerkstatt“, erklärte Feller.
400 Alltagshelfer sind schon eingestellt
Für Entlastung an den Grundschulen sollen auch die so genannten Alltagshelfer sorgen. 400 habe man bereits einstellen können, weitere Stellen seien ausgeschrieben, teilte Feller mit. Sie sollen die Lehrerinnen und Lehrer bei allem unterstützen, was nicht Unterricht ist: Etwa die Schulranzen einzupacken, die Toilette zu finden oder die Schuhe zu wechseln.
Ebenfalls als Erleichterung für die Grundschul-Lehrkräfte gedacht ist die einheitliche Entwicklung von Arbeitsplänen. Diese wurden bislang entsprechend des Lehrplans von jeder Schule selbst erarbeitet. Über die langwierige Konzeptarbeit und umfangreiche Dokumentationspflichten hätten sich viele Schulen beklagt. Geplant sind zudem verbindliche Screenings aller angehenden Grundschüler. Allerdings stecke man da noch am Beginn der Planungen, betonte Feller: „Nur messen reicht ja nicht, wir müssen dann auch fördern.“ Wie, wo und von wem das dann geleistet werden soll, wird sicher neue Probleme aufwerfen.
Mathe, Deutsch, Englisch: Eine Klassenarbeit weniger im Jahr
Ein weiterer Punkt bei der Stärkung der Grundschulen ist der Ausbau des Offenen Ganztags (OGS), für den ab 2026 ein Rechtsanspruch besteht: Rund 715 Millionen Euro investiere die Landesregierung im laufenden Haushaltsjahr in die OGS, sagte Feller. So könnten im neuen Schuljahr 392.500 Ganztagsplätze finanziert werden, 30.000 mehr als zuletzt. Und der Haushaltsentwurf 2024 sehe einen weiteren Anstieg der Mittel um 65 Millionen Euro vor. Dorothee Feller zeigte sich entschlossen, den Marathon durchzuziehen. Sie sagte: „Das lohnt sich, denn es geht um unsere Kinder, um unsere Gesellschaft, um unsere Zukunft.“
Angesichts der knappen Personaldecke steht Unterstützung auch an den weiterführenden Schulen auf dem Stundenplan. In den Klassen 7 und 8 kann im neuen Schuljahr auf jeweils eine Klassenarbeit in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch verzichtet werden. Diese Maßnahme schaffe unmittelbar Freiräume für eine bessere Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, erklärte Feller.
Eine schon im vergangenen Schuljahr festgelegte Erleichterung wird weitergeführt: Aufgrund der zentralen Prüfungen in Mathematik, Englisch und Deutsch kann weiterhin je eine Klassenarbeit im 10. Jahrgang der weiterführenden Schulen entfallen.