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Missbrauch in Schule
Reul: „Ich bin irre erschrocken“ – Was über den Tatverdächtigen bekannt ist

Lesezeit 7 Minuten
Ein Junge kauert sich auf seinem Bett zusammen.

In Krefeld sollen zwei Jungen auf der Schultoilette sexuell missbraucht worden sein. (Symbolfoto)

Zu zweit auf die Toilette gehen oder Videoüberwachung: Nach dem mutmaßlichen sexuellen Missbrauch von zwei Jungen auf Schultoiletten in Krefeld gibt es immer mehr Vorschläge zur Sicherheit.

Der gefährliche oder elend lange Schulweg, das neue Umfeld, Mobbing, der Lernstress, Gewalt auf dem Schulhof: Es gibt genug Probleme, mit denen Eltern von Schul- und insbesondere von Grundschulkindern konfrontiert sein können. „Schule aber muss jederzeit ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit sein“, betont Jochen Ott, SPD-Fraktionsvorsitzender im nordrhein-westfälischen Landtag, und ergänzt: „Dass sie es in diesem Fall nicht war, muss allen Verantwortungsträgern zu denken geben.“

„Dieser Fall“ hat sich vergangene Woche in Krefeld gleich zweimal zugetragen. Ein schlimmes Verbrechen gegen zwei Jungen, durch das deutlich wurde, wie brüchig die vermeintliche Sicherheit sein kann. Am Mittwochmorgen schlich sich ein Mann in die Toilettenräume der Paul-Gerhard-Grundschule im Stadtteil Uerdingen.

Dort traf er nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf einen Schüler aus der ersten Klasse. Der Mann verging sich an dem hilflosen Jungen. Nachdem der Täter von ihm abließ und verschwand, rannte der Erstklässler völlig verstört zum Sekretariat und schilderte den Missbrauch. Umgehend wurde die Polizei eingeschaltet. Das Opfer konnte den Beamten zum Glück eine Täterbeschreibung mitgeben. Die Fahndung nach dem Flüchtigen lief an.

Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen

Kurz darauf ging eine neue Alarmmeldung aus der wenige Kilometer entfernten Johansen-Grundschule im Stadtteil Linn bei der Polizei ein. Auch hier hatte ein ähnlich aussehender Mann einen Jungen auf der Toilette überrascht, ihm die Hose heruntergezogen und sich an seinem Opfer vergangen. Danach lief der Täter weg. Umgehend warnte die Schulleitung weitere Lehranstalten vor dem Sexualverbrecher.

Polizeibeamte konnten den Tatverdächtigen dann nahe der Johansen-Grundschule stellen. Es handelte sich um einen 26-jährigen Obdachlosen. Das erste Opfer identifizierte den Pädokriminellen auf Fotos. Das zweite Kind war so geschockt, dass es sich nicht erinnern konnte. Bei den weiteren Nachforschungen setzten die Ermittler einen Maintrailer-Personensuchhund ein, der die Spur des Verdächtigen vom zweiten Tatort bis zum Punkt der Festnahme nachverfolgen konnte.

Können solche Übergriffe verhindert werden?

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ weiter erfuhr, verfügt der Beschuldigte über keine Meldeanschrift. Sporadisch lebte er bei seinem Zwillingsbruder. Bislang war der Tatverdächtige nicht durch Sexualdelikte aufgefallen. Bei der Polizei ist er allerdings bereits bekannt. Körperverletzung und Drogenverstöße gehen auf sein Konto. Seit vergangener Woche sitzt der Krefelder wegen schweren Missbrauchs in Untersuchungshaft.

Nach den Vorfällen hat die Krefelder Polizei ihre Präsenz in der Nähe von Grundschulen erhöht. Kinder und Eltern sollen sich wieder sicher fühlen.

Aktionen wie diese sind Sicherheitskosmetik. Was aber wirklich tun gegen Übergriffe wie die in Uerdingen? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, solche Straftaten zu verhindern? Die Diskussion geht längst über Krefeld hinaus, sie hat mittlerweile auch die Landespolitik erreicht.

„Wir können nicht zulassen, dass die Schulen zu Gefängnissen werden“

„Ich bin irre erschrocken, so einen Vorfall hatten wir noch nie“, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das besorge ihn „überaus“, so der CDU-Politiker: „Nach so einem Vorfall, da müssen wir schon reden, da kann man nicht einfach drüber hinweggehen.“ Vermutlich wären technische Lösungen wie etwa eine Videoüberwachung „der klügste Weg“. „Aber das muss erstmal durchdacht werden, ob und wie das gehen könnte.“

Bei allem Verständnis etwa für die Besorgnis der Eltern an den betroffenen Krefelder Schulen, die in einer Petition an den Oberbürgermeister unter anderem Sicherheitspersonal während der Unterrichtszeit fordern, dürfe man nicht in Panik verfallen. „Wir müssen abwägen, können jetzt auch nicht zulassen, dass die Schulen zu Gefängnissen werden.“ Wenn dann private Aufpasser „wie eine Bürgerwehr wirkten“, sei das „schwierig“, betonte der Minister: „Und Schulen mit amtlichem Sicherheitspersonal zu denken, fällt mir schwer nachzuvollziehen“. Die Kontrolle des Schulgeländes sei zudem die Aufgabe der Lehrer und Lehrerinnen: „Und ich glaube auch, dass dies bei normalen Gelegenheiten, etwa in Pausen, auch möglich ist.“

Videoüberwachung gefordert

Andreas Bartsch, Präsident des nordrhein-westfälischen Lehrerverbandes, schlägt vor, dass Schüler nur zu zweit zur Toilette geschickt werden. „Wenn die Kinder während des Unterrichts müssen, dass man dann sagt, ein anderes Kind geht zur Begleitung mit“, so Bartsch zum „Kölner Stadt-Anzeiger“. Mit wenig Aufwand verbunden hält er eine Videoüberwachung im Eingangsbereich.

„Man kann auch sagen, jeder, der das Gebäude betritt, außer Schülern und das Lehrpersonal, hat sich im Sekretariat anzumelden“, überlegt der Verbandschef. Und bei der Auswahl eines Standortes oder Büros für den Hausmeister könnte darauf geachtet werden, dass er den Eingangsbereich und weite Teile des Schulhofes überblicken kann. „Alles kleine Dinge, die insgesamt aber zu mehr Sicherheit und Kontrolle führen“, so Bartsch. An vielen Schulen seien die Toiletten zudem nicht außerhalb des Hauptgebäudes – ein Vorteil. Hundertprozentige Sicherheit jedoch sei nicht machbar. „Zudem können und wollen wir aus den Schulen jetzt doch auch kein Fort Knox machen, das wäre doch furchtbar“, so der Verbandspräsident.

Müssen die Eltern der Schulkinder das Sicherheitspersonal selber bezahlen?

Auch Christian Beckmann, Vorsitzender der Landeselternkonferenz NRW, hält eine Videoüberwachung und die Toilettennutzung nur zu zweit für denkbare Lösungen. „Das Verschließen der Toiletten während der Unterrichtsstunden verhindert unbefugten Zutritt“, ergänzt Beckmann. Schülerinnen und Schüler sollten sich einen Schlüssel abholen müssen, so wäre mehr Überblick geboten. Der Einsatz von Security-Personal wie an amerikanischen Schulen dürfte aber „wohl am Budgetträger liegen“.

Letztlich hänge auch das an der Finanzierung. Entweder würden es Schulen, also die Eltern, selber bezahlen. „Wobei jetzt schon nur wenige Familien die Kosten für Bücher, die Offene Ganztagsschule, Essen, Busticket und so weiter mal eben so stemmen“, so der Konferenz-Vorsitzende: „Und die Schulträger haben bereits Zusatzkosten für nächtliche Wachdienste wegen Vandalismus, da wird im kommunalen Haushalt kein Geld mehr für die Tagschicht frei sein.“

SPD-Opposition: „Die Schulen müssen auf Unterstützung durch Bezirks- und Landesregierung vertrauen können“

Pauschale Lösungen werde es sowieso nicht geben können, befürchtet der SPD-Politiker Jochen Ott: „Denn jede Situation vor Ort ist anders.“ Daher könne es nur individuelle Schutzkonzepte geben, die von der jeweiligen Schulgemeinschaft getragen werden müssten. „Was aber für alle gelten muss: Die Schulen müssen auf die uneingeschränkte Unterstützung durch Bezirks- und Landesregierung vertrauen können – um nötigenfalls auch in Zusammenarbeit die individuellen Konzepte zu entwickeln“, so der Fraktionsvorsitzende. Hierfür müsse das Schulministerium „psychologisch und kriminologisch geschulte Experten bereitstellen und jederzeit mit Beratung zur Seite stehen“.

NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) sucht derzeit nach Lösungsmöglichkeiten. Sie kann in diesem Zusammenhang zwar nichts anordnen, weil die Vorkehrungen innerhalb der Schulen in der Verantwortung der meist kommunalen Träger liegt. Dennoch will sie nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ausloten, was machbar und sinnvoll sein könnte und wie sich das Land an den Maßnahmen beteiligen könnte. „Ereignisse wie diese nehmen wir stets zum Anlass, um noch einmal genau hinzuschauen und zu prüfen, ob und wenn ja welche weiteren Maßnahmen zur Prävention und Intervention erforderlich sind“, so Feller. Aktuell würden viele Vorschläge gemacht, „die wir uns genau daraufhin anschauen müssen, ob sie hilfreich sind“. Es sei ihr wichtig, „mit allen Partnern von den Kommunen bis zu den Verbänden in den Austausch“ zu gehen. Viele der Gespräche hätten bereits stattgefunden oder seien kurzfristig terminiert, heißt es im Umfeld des Ministeriums.

193 Messerangriffe und 5400 Tätlichkeiten an Schulen in NRW

„Wer sein Kind morgens in die Schule gibt, erwartet jedenfalls zu Recht, dass es dort gut aufgehoben ist“, betonte Feller: „Gewalttaten wie in Krefeld, Mönchengladbach oder Duisburg sind furchtbar.“ In Duisburg soll vergangene Woche ein 15-jähriger Jugendliche ein neunjähriges Mädchen auf der Schultoilette gewürgt haben. In Mönchengladbach fahndet die Polizei nach einem Unbekannten, der eine Zwölfjährige vor zehn Tagen im Vorraum einer Schultoilette, die derzeit außerhalb des eigentlichen Schultraktes liegt, sexuell belästigt haben soll. Der Mann soll ihr in den Raum gefolgt sein, sie bedrängt und die Arme von hinten um sie gelegt haben, wie die Polizei berichtete. Das Mädchen habe sich losreißen können, woraufhin der Unbekannte in Richtung eines nahegelegenen Schwimmbads geflohen sei.

Das Thema Sicherheit an den Schulen avanciert zu einem gravierenden Problem. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 193 Messerangriffe und 5400 Tätlichkeiten. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat vor Kurzem tausend Lehrer zu ihren Erfahrungen im Schulalltag befragt. 44 Prozent der Befragten berichteten, dass körperliche Gewalt wie Tritte und Schläge zugenommen hätten. 56 Prozent der Lehrer erlebten zudem eine Zunahme psychischer Gewalt wie Beleidigungen, Beschimpfungen und Mobbing. Nun kommen Sexualdelikte durch Außenstehende dazu. Am Tor der Paul-Gerhard-Schule hängt mittlerweile ein Schild. Besucher und Besucherinnen mögen sich beim Betreten des Areals erst einmal beim Sekretariat melden.